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Silvana Battisti und Marc Herbert kommen aus Darmstadt und zusammen sind sie die Woog Riots. Ihre Platte Strangelove TV ist gerade bei What's So Funny About erschienen, doch bekannt geworden sind die beiden schon vor zwei Jahren, als sie die Compilation Perverted by Mark E. - A Tribute to The Fall für ZickZack zusammenstellten. Ungewöhnlich, daß eine Band zuerst mit einem Werk reüssiert, daß einer anderen Gruppe gewidmet ist – aber so sind die Woog Riots: im Vordergrund steht weniger der eigene Erfolg als die Bildung von Communities und Netzwerken. Silvana und Marc machen seit über 20 Jahren Musik, Marc war zum Beispiel Teil der Folkpunkband Milton Fisher, Silvana spielte bei Oval. Für Strangelove TV konnten die beiden also aus einem reichen Erfahrungsschatz schöpfen und die Platte ist jede Sekunde wert: eine bunte Wundertüte erwartet die Hörer, gefüllt mit quirligen, lebendigen, charmant-bunten Popsongs, die der notorischen Depristimmung eine lange Nase zeigen. Hier werden Surfgitarren mit singenden Sägen gemixt, trifft Cowpunk auf Walzerklänge, erklingen Harmonicas und Kinderstimmen – aber bitte: die Woog Riots machen keine Kindermusik! Wild und lustig, ja, aber eben nicht kindisch. Die Woog Riots experimentieren gern, nehmen Einflüsse von überall auf und verschenken sie mit vollen Händen an uns alle. Sie verkörpern den Antifolk-Gedanken par excellence, lieben die Musik der sechziger Jahre (Kinks, Byrds, Beatles) ebenso wie die der Jahrzehnte danach (TV Personalities, The Woodentops, Moldy Peaches). Sie erschaffen Indie-Hits mit eingängigen Melodien und Refrains, die man nie mehr vergißt, nicht nur wegen des wunderbar stimmigen Boy-Girl-Gesangs von Marc und Silvana. Dein persönliches Woog-Riots-Lieblingslied kann jeden Tag ein anderes sein – und eh' Du Dich versiehst, haben sie schon wieder fünf neue Songs geschrieben. Im Bett* mit den Woog Riots, 31.3.06Als ich die Woog Riots zum Interview im Frankfurter „Bett“ treffe, diskutieren sie gerade die Setlist des bevorstehenden Auftritts: „Spielt Ihr die Songs jeden Abend in einer anderen Reihenfolge?“ erkundige ich mich, und meine ursprünglich geplante Einstiegsfrage „Langweilt Ihr Euch schnell?“ erübrigt sich hiermit: Abwechslung muß sein, erst recht beim Ablauf der Shows. Abwechslung und Vielfalt bestimmen auch die Songs der Woog Riots, die laut Marc und Silvana nicht länger als drei Minuten sein sollen – das gute alte Punkrockprinzip gilt auch noch heute. „Wir verzichten lieber auf einen sinnlosen zusätzlichen Refrain und machen gleich ein neues Stück“.
Die Woog Riots sprechen ihren Bandnamen englisch aus, auch das erste Wort, obwohl der „Woog“ ein Darmstädter Badesee ist, der einem längst vergessenen Hippieaufstand den Namen gab, bei dem 1968 sogar einige Autos und ein Kiosk in Flammen aufgingen: der Woog Riot eben. „Im Ausland will niemand wissen, was 'Woog' heißt – es klingt einfach gut und wird vielleicht für so was wie einen Moog-Synthesizer gehalten. Nur in Deutschland wird immer gefragt, was der Name bedeutet.“ Silvana und Marc loben die lebendige Darmstädter Szene, der sie selbst entstammen. Die angebliche Provinzialität Darmstadts lassen sie nicht gelten: das Rhein-Main-Gebiet besticht durch seine ideale Mittellage, überhaupt sollte der Wohnort bei Musik ja keine Rolle spielen. Und Berlin? Ach Berlin, das olle Künstlerghetto …die Woog Riots übertragen lieber ein New-York-typisches Miteinander auf ihre Umwelt, und schon so mancher Antifolker durfte bereits auf Marc Herberts Sofa übernachten (zuletzt Jeffrey Lewis). Außerdem ist Silvana Battisti Halbitalienerin und lebte längere Zeit in England und den USA – was heißt hier also Provinz? Aber nicht nur Länder- auch Gendergrenzen überschreiten die Woog Riots gern. „Bei uns muß immer alles gendermäßig ausgeglichen sein“, erzählt Silvana, „deshalb gibt es bei den Woog Riots nicht nur einen King, sondern auch eine Queen of Pop und unser Song Mrs. Pharmacist ist eine Antwort auf das Fall-Stück Mr. Pharmacist (Coverversion des Originals der Sixtiesband „The Other Half“, Anm. CM). Überhaupt The Fall: die gutgelaunte Musik der Woog Riots bringt man ja nicht unbedingt mit dem nörgeligen Mark E. Smith in Verbindung: „Stimmt, aber wir lieben The Fall, wir stehen auf das repetitive Element, aus dem doch immer wieder spannende neue Sachen herauskommen.“ Langfristige Ziele verfolgen die Woog Riots nicht – das würde auch verwundern bei ihrem stetigen Drang nach Veränderung und Weiterentwicklung. „Wahrgenommen zu werden“ ist laut Silvana das Wichtigste, vernetzt sein, zum Beispiel auf myspace.com: durch ihren Eintrag auf dieser Website haben sie viele neue Fans gefunden und Musiker kennengelernt. Diese Seite, die als Flirtportal startete, ist mittlerweile zur Kontaktplattform für viele Independentkünstler geworden. Netzwerken mit den Woog Riots
Als Gastmusiker begleiten die Woog Riots zur Zeit Jens Engemann von Loxley Beade und Matthias Hill von der Rockformation Diskokugel. Die wechselnde Besetzung (abgesehen von Marc und Silvana) ist Konzept: häufig sind die Zwillinge Flavio und Fabrizio Steinbach mit von der Partie, die hauptberuflich mit Barbara Manning als die Go-Luckys! unterwegs sind. Mit Barbara Manning ist Silvana seit 13 Jahren befreundet, Barbara ist auch die Patentante von Silvanas Kindern. Jens Friebe und seine Band mag man sehr, man tritt auch gern gemeinsam auf, ebenso mit Britta, dem Brockdorff Klanglabor und Knarf Rellöm, den sie als „ersten Antifolker Deutschlands“ sehen. Knarf Rellöms Partnerin DJ Patex ist schon als Aushilfsbassistin mit den Woog Riots aufgetreten und Knarf war es, der Alfred Hilsberg auf Marc und Silvana aufmerksam machte. Hilsberg war angetan – die Woog Riots schätzen Hilsbergs Begeisterungsfähigkeit, auch nach so vielen Jahren im Geschäft. Tobias Levin hat Strangelove TV in seinem Hamburger Studio gemischt und so schließen sich die Kreise und es eröffnen sich stetig neue … Mit den Moldy Peaches (an dieser Stelle sei schon mal auf die im Mai erscheinende neue Platte von Kimya Dawson hingewiesen!) werden die Woog Riots oft verglichen, was sie sehr freut: „Auch die Moldy Peaches entstammen einer lebendigen Künstlercommunity – und wir schätzen sehr, was Kimya und Adam mittlerweile solo treiben.“ Frage an Silvana: Mögen Deine Kinder die Woog Riots? Schließlich singt Deine zehnjährige Tochter bei Martial Arts mit …“Meine Tochter findet uns nicht ganz so gut wie Wir sind Helden, mein fünfjähriger Sohn findet uns allerdings spitze.“ Wie entstehen Eure Texte? Marc: „Wichtig ist der Flow. Ich beginne mit einigen Akkorden auf der Gitarre, darüber singe ich eine Art Phantasieenglisch.“ Silvana „kann nur richtiges Englisch“, die Texte entstehen aus einzelnen Bildern, fügen sich zu Collagen, wollen nicht unbedingt stringente Geschichten erzählen – während ihres Konzerts erzählen die Woog Riots aber zu jedem Song die passende Story, so erfährt man zum Beispiel, was sich hinter dem kryptischen Titel Babuna Honnig verbirgt: Barbara Manning gab unlängst ein Konzert, zu dem sich nur drei Gäste verirrten. Was war geschehen? Ein Blick aufs Konzertprogramm des Clubs gab Aufschluß: statt „Barbara Manning“ hatte jemand „Babuna Honnig“ geschrieben - diese Sängerin lockte offenbar nur recht wenige Menschen herbei … Barbara Manning fand diese Story allerdings so lustig, daß sie nun unter dem Namen „Babuna Honnig“ eine Radiosendung moderiert. Die Woog Riots freuen sich über einen Dackelaufkleber an der Wand des „Betts“ - und bekommen so eine geschickte Überleitung zu Mrs Pharmacist hin, in dem mehrfach „Dachshunds on the Wall“ vorkommen. Sie erzählen von Bill Gridley, The (jetzt nicht mehr so) Unknown Artist aus San Francisco: er malt tausende von Bildern, die er nicht ausstellen oder verkaufen will – das konnten und wollten die Woog Riots nicht akzeptieren, das Cover von Strangelove TV wird von Gridleys Gemälden geziert! Einer ihrer beliebtesten und gefeiertsten Songs, John & Yoko in Bed entstand, weil der mit ihnen befreundete englische Musiker Glyn Bailey ein Lied über Freundschaft für sie schreiben wollte. Baileys ursprünglicher Text war für Silvanas und Marcs Geschmack doch ein wenig zu schwülstig, und so mailten sie sich so lange gegenseitig ihre Entwürfe zu, bis John & Yoko in der jetzigen Fassung fertig war. Und „If I was hungry / will you cook me a soup / yes I will cook soup forever / that's what friends are for“ klingt ja auch wirklich nicht schwülstig! Die Woog Riots spielen live mit Maultrommeln, Melodicas und singenden Sägen, erinnern an den gerade verstorbenen Nikki Sudden, grüßen die TV Personalities und zeigen so ganz unprätentiös, daß die große bunte Welt des Pop überall ist, auch in Frankfurt/Sachsenhausen. |
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