Dayna Kurtz:
Postcards From Amsterdam
– Live in Concert
Dass Jazz und Blues uramerikanische Musikstile seien, würde jeder Teilnehmer einer eventuellen Umfrage in jeder beliebigen europäischen Großstadt bejahen. Verwundern würde, dass beide erst den Umweg über London und Liverpool, übrigens zwei Städte mit Hafenwirtschaft, nehmen mussten, um im Gepäck europäisierter Black Music, auch Rock ’n’ Roll genannt, in den USA einen Popularitätsschub erfahren zu können. Eric Hobsbawm in Der Jazz kommt nach Europa: „Allgemeiner kann man sagen, dass um die Mitte der 1950er Jahre typische Teenager in Birmingham eher Chicago Bluesbar-Musiker kannten als typische Teenager in Indiana.“
Dayna Kurtz, Hüterin und Erneuerin amerikanischer Traditionals und zur Zeit auf Tour zwischen Austin, Texas und Mataro, Barcelona, ist es nicht anders ergangen. Beautiful Yesterday, das Album, mit dem sie 2004 einen ersten und längst überfälligen Erfolg feiern konnte, ist in Europa bei Munich Records erschienen. Nicht von ungefähr – während sie in den USA noch in den kleinen Clubs spielte, fand sie sich in den niederländischen Top 20 wieder. In Amsterdam, auch einer Hafenstadt, trat sie im ausverkauften Paradiso auf. Wer Dayna Kurtz bis jetzt live verpasst hat, kann sich einen ersten Eindruck bereits zu Hause verschaffen. Er wird bleiben, soviel sei hier gesagt. Postcards From Amsterdam bietet nicht nur das komplette Konzert – 15 Songs, für die das Wort Magie reserviert bleiben sollte. Komplettisten, sprich Leute wie du und ich, dürfen eine Dokumentation mit ausführlichen Interviews zu einzelnen Titeln sehen. Dayna Kurtz, von der wir noch viele Platten hören und Konzerte erleben möchten, spricht über New Orleans und Jack Nicholson als Inspiration. Und wird am 01. Mai wieder auf der Bühne des Paradiso stehen – solo mit Gitarre. Für Kurzentschlossene: Der Vorverkauf hat bereits begonnen.
Liars:
Drum’s Not Dead
Liars brechen Rekorde. 2004 gelang dem Trio aus Frontmann Angus Andrew, Gitarrist Aaron Hemphill und Drummer Julian Gross das seltene Kunststück, für They We’re Wrong, So We Drowned im Rolling Stone und in Spin die jeweils niedrigste Punktzahl für eine Veröffentlichung zu kassieren. 2006 legen die New Yorker mit Drum’s Not Dead ein Album vor, dass 12 Songs und, richtig gelesen, 36 Videos enthält. Sie selbst und der preisgekrönte Kurzfilm-Regisseur Markus Wambsganns haben das komplette Album dreimal verfilmt – und die Ergebnisse finden sich unter Drum’s Not Bread, The Helix Aspersa und By Your Side auf einer Extra-DVD, die sowohl der LP- als auch der CD-Version beiliegt. Zum Preis einer normalen Neuerscheinung, wohlgemerkt. Angus Andrew kürzlich gegenüber Pitchfork Media: “Wir wollten das ewige Jammern darüber, dass niemand mehr Platten kauft, beenden. Du kannst nicht mehr zwölf Songs aufnehmen, verpacken und einfach mit einem Stück Papier zusammen verkaufen. Die Art und Weise, in der wir ein Album konsumieren, muss revolutioniert werden.“
Liars arbeiten daran schon seit langem und haben sich endgültig vom Dance-Punk ihrer Frühphase verabschiedet. Aufgenommen im seit 1991 nicht mehr genutzten Tonstudio des Rundfunks der DDR in Berlin-Adlershof, lässt Drum’s Not Dead Vergleichsfetischisten am ehesten noch an Public Image Ltd. zur Zeit von Flowers Of Romance oder die Swans denken. Die Band selber geht noch einen Schritt weiter und nennt den Rude Ambient von Boris und Sunn O))) als wichtigen Einfluss. Akustisch wie visuell ein kühnes Unterfangen, fordert Drum’s Not Dead Geduld und Zeit. Retour gibt es Psychedelic und Meditation, Ambitioniertes und Bizarres. Rauschmittel sind überflüssig. Das Album, oder besser Gesamtkunstwerk, ist Trip genug.
Townes Van Zandt:
Be Here To Love Me
Am Ende des sehr schönen Songs "Dear Black Dream" erwacht Robert Forster aus eben diesem Traum und die letzten Zeilen lauten: "wondering who sings better in the dark / is it Townes Van Zandt, or is it Guy Clark". Sehr gute Frage, deren Beantwortung mir ebenfalls schwerfällt. Unbestreitbar reiht sich TVZ in die Riege der ganz großen Singer/Songwriter ein, vor allem hinsichtlich der unglaublich gleichbleibenden Qualität seiner Lieder bis hin zum Spätwerk. (Was man von seinen späten Konzerten leider nicht sagen kann: Ich habe ihn 1996 noch gesehen, und es war ziemlich traurig und entsetzlich.) Naheliegend und sinnvoll also, daß Margaret Brown in ihrer Townes-Doku eine umfassende Werkschau gar nicht erst versucht.
Zwar ist der Lauf des Films zunächst einmal von der Zeitschiene bestimmt, von der Wiege bis zur Bahre, mit den Stationen Highschool, Drogen, Psychiatrie, Beginn der Musiker-"Karriere", diverse Ehen und Kinder, Drogen und Alkohol, langsamer, aber stetiger Zerfall. Neben der Chronologie folgt der Aufbau von Be Here To Love Me aber auch Etappenverbindungen anderer Art. Einerseits sind das die Landschaften, vor allem Texas' und Colorados, die das permanente On-The-Road-Again (Willie Nelson) illustrieren. Andererseits kreist der Film um eine Handvoll immer wieder auftauchender Stücke, die als Leitmotive Vita und Werk Van Zandts strukturieren, besonders "If I Needed You", "Waiting Round To Die" und "Pancho und Lefty" ("I'm gonna sing a medley of my hit", sagt TVZ an einer Stelle).
Auf eine gewisse Parallelität zu Leben und Sterben des anderen großen texanischen Country-Helden, Hank Williams, wurde ja oft genug schon hingewiesen: identisches Todesdatum (die Neujahrsnacht), exzessiver Alkohol- und Drogenkonsum und in dessen Folge ein vorzeitiger Alterungsprozeß. In Browns Film gibt es nun eine Szene, in der der junge Townes Van Zandt "Rex's Blues" spielt und dabei – wahrscheinlich durch seinen Cowboyhut – wie ein Wiedergänger Williams' wirkt (übrigens auch eine gewisse Ähnlichkeit mit einem weiteren Texaner aufweist, George W. Bush nämlich).
Wie es sich für eine Filmbiographie gehört, sind Zeitdokumente eingeflochten: Super-8-Aufnahmen vor allem aus Kindheit und Jugend, aber auch kurze Privatfilmereien aus späterer Zeit. Bizarr bis belustigend wirken die Auftritte in amerikanischen Country-Fernsehshows: An Volksmusiksendungen erinnernd, suchen sie die Van Zandtsche Bitternis mittels föngewellten schmierigen Backgroundsängern zu versüßen, um die Erwartungen des Musikanten-/Schlagerstadl gewohnten Publikums einigermaßen zu erfüllen. Einen ähnlich hohen Absurditätsfaktor besitzt auch der Videoclip zur "Pancho and Lefty"-Version der alten Recken Willie Nelson und Merle Haggard aus den achtziger Jahren.
Sinnvollerweise arbeitet Margaret Brown großzügig mit Ausschnitten aus Heartworn Highway. Unter anderem gibt es in diesem Film über Nashvilles Alternative-Country-Troubadoure der siebziger Jahre eine Szene, in der TVZ in einer kleinen Küche "Waitin' Round To Die" singt, und die Reaktion des dabeisitzenden alten schwarzen Cowboys, Kopfnicken und feuchte Augen, faßt wortlos alles das zusammen, was Van Zandts Songs ausmachen, nämlich tiefere Wahrheit, Aufrichtigkeit und Empathie. Be Here To Love Me ist Pflicht für jeden, der auch nur im entferntesten Country und Singer/Songwriter mag. Aber Achtung: Wer ein Herz hat, sollte auch Alkohol im Haus haben – den braucht man nach diesem Film.
Go-Betweens:
That Striped Sunlight Sound
Das Schöne an dieser DVD plus CD ist, daß sie eigentlich auch als Greatest-Hits-Sammlung vermarktet werden könnte, damit aber nicht geworben wird. That's Understatement. Deswegen soll an dieser Stelle zunächst der Inhalt stehen:
Tracklisting DVD: Live at the Tivoli, Brisbane 06/08/05 01 Black Mule 02 Clouds 03 Boundary Rider 04 Born To A Family 05 Streets Of Your Town 06 Here Comes A City 07 Draining The Pool For You 08 Finding You 09 Spring Rain 10 Was There Anything I Could Do 11 Surfing Magazines 12 The Devil's Eye 13 Too Much Of One Thing 14 People Say 15 The Clock 16 Karen The Acoustic Stories, Brisbane 07/08/05 01 Lee Remick 02 Cattle And Cane 03 Part Company 04 Bachelor Kisses 05 Head Full Of Stream 06 Bye Bye Pride 07 Dive For Your Money 08 German Farmhouse 09 Too Much Of One Thing 10 Here Comes A City 11 Finding You
Tracklisting Audio-CD: Live at the Tivoli, Brisbane 06/08/05 01 Black Mule 02 Clouds 03 Boundary Rider 04 Born To A Family 05 Streets Of Your Town 06 Here Comes A City 07 Draining The Pool For You 08 Finding You 09 Spring Rain 10 Was There Anything I Could Do 11 Surfing Magazines 12 The Devil's Eye 13 Too Much Of One Thing 14 People Say 15 The Clock 16 Karen
Reicht das schon? Man könnte jetzt noch erwähnen, wie herrlich entspannt Robert Forster und Grant McLennan in einem sonnenlichtgestreiften Wohnzimmer die Entstehungsgeschichten ihrer Songs erzählen („Acoustic Stories“); man könnte auch vom eher unspektakulären, aber wie immer begeisternden Konzertmitschnitt berichten, der gleichsam ein Heimspiel für die wieder nach Brisbane zurückgekehrten Go-Betweens darstellt. Viel mehr braucht man gar nicht auszuplaudern, es ist einfach schön zu wissen, daß es die Go-Bees jetzt auch zum Immerangucken für zu Hause gibt.