“The singer gives the impression of being drunk.“
Isaac Hayes (Gastkritiker Time Out UK)
Foto © Vicky Churchill The Flaming Stars v.l.n.r.: Huck und Joe Whitney, Max Décharné, Paul Dempsey, Mark Hosking
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Wer Rock ‘n’ Roll sagt, denkt nicht im selben Atemzug an Sensibilität. Dabei haben The Velvet Underground nicht nur Sister Ray, sondern auch Pale Blue Eyes veröffentlicht. Das verehrte und oft zitierte New Yorker Quartett ist Max Décharnés Lieblingsband, wie er unumwunden zugibt. Der Londoner mit ehemaligen Wohnsitz in Berlin ist Sänger und Organist der Flaming Stars – das Wort Bandleader hört er eher ungern. Gemeinsam mit Mark Hosking und Huck Whitney (Gitarre), Paul Dempsey (Bass) und Joe Whitney (Schlagzeug) beweist Décharné seit über zehn Jahren, dass Charme wild sein kann. Ihr Stil ist deutlich Garage Rock, ihre Haltung dabei subtil und elegant.
Die Flaming Stars kennen ihr Metier. Décharné hat seit Ende der siebziger Jahre einen reichen Schatz mittlerweile gesuchter Singles und LPs gesammelt. Er ist im Zweitberuf Journalist und Autor mehrer Bücher über Hipster-Slang, die Ursprünge amerikanischer Kriminalfilme und die musikalische Geschichte der King’s Road in London. Wer die ersten beiden Gallon Drunk-Alben im Schrank zu stehen hat, kennt auch Décharné. Allerdings nicht als Sänger, sondern als Schlagzeuger. Paul Dempsey hat für Gallon Drunk musiziert, bevor sie ihr Debüt veröffentlichten. Mark Hosking und Joe Whitney waren mit den Psychobillys der Stingrays unterwegs. Huck Whitney schließlich, Bruder von Joe, hat sich bei Delicious Monster das Plattenlabel mit Suede geteilt. Bevor die langjährigen Bekannten die Flaming Stars aus der Taufe gehoben haben, sind einige von ihnen mit den Earls Of Suave aufgetreten. Haben das Londoner Kneipenpublikum mit Johnny Cash, Roy Orbison und Elvis unterhalten und zu ihrer eigenen Überraschung mit einer Platte Erfolge gefeiert. Dort, wo Geschmack gerne ungewöhnlich ist – in Japan.
Diskografie
ALBUMS Songs From The Bar Room Floor (1996) Bring Me The Rest Of Alfredo Garcia (1997) Sell Your Soul To The Flaming Stars (1997) Pathway (1999) The Six John Peel Sessions (2000) Tijuana Bible (2000) A Walk On The Wired Side (2001) Ginmill Perfume (2001) Sunset & Void (2002) Named & Shamed (2004) London After Midnight
MAX DÉCHARNÉ – AUTOR Beat Your Relatives To A Bloody Pulp & Other Stories (1989) The Prisoner Of Brenda & Other Stories (1991) I Was A Teenage Warehouse & Other Stories (1997) Straight From The Fridge, Dad – A Dictionary Of Hipster Slang (2000) Hardboiled Hollywood – The Origins Of The Great Crime Films (2003) King's Road: The Rise And Fall Of The Hippest Street In The World (2005)
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Zurück nach London, Ende 1994: Décharné, der seit längerem bereits eigene Songs schreibt, tauscht die Trommelstöcke mit Gesangsmikrophon und Tasten. Grund für den unerwarteten Schritt: Er möchte keinen singenden Drummer à la Phil Collins abgeben. Und, Melodie ist ihm wichtiger als der rhythmusbetonte Sound bei Gallon Drunk, so gerne er auch dabei ist. Zeit für eine neue Band, und zuallererst einen neuen Namen: Auf The Flaming Stars können sich alle Beteiligten schnell einigen. Don Siegels
Flaming Star (1960) mit Elvis in der Hauptrolle drängt sich geradezu auf. Die Ästhetik der sechziger Jahre in Film, Rock ’n’ Roll, Blues und Country spielt von Anbeginn eine gewichtige Rolle bei den Flaming Stars. Geschichtsbewusst und beseelt vom Geist des frühen Punk gehen sie ans Werk. Nehmen ihre erste EP
Hospital, Heaven Or Hell auf. Zwischen Gründung und Veröffentlichung liegen wenige Monate. Der Arbeitsweise in Hochgeschwindigkeit werden sie bis heute treu bleiben. Zu einem Zeitpunkt, an dem sich John Peel schon nicht mehr vor eingesandten Platten und Demotapes retten konnte, gelingt es ihnen, sich in das Herz des legendären Radio-DJs zu spielen. Wer von Peel zu mehr als einer seiner Sessions eingeladen wird, kann sich geadelt fühlen. Die Flaming Stars dürfen es seitdem. Auf das Debüt
Songs From The Bar Room Floor folgen bis heute 10 weitere Alben (inkl. Compilations) und 12 Singles. Gewidmet den großen Namen wie Epic Soundtracks, Sterling Morrison, Charlie Rich, Ian Dury, Screamin’ Jay Hawkins und Dee Dee Ramone. Die fünf Anzugträger bereisen Europa und die Staaten. Treten gemeinsam mit den Country Teasers, The Pogues und Tav Falco Panther Burns auf. Japan ist abermals euphorisiert.
Das alles kann nicht verhindern, dass Vinyl Japan, ihr verdienstvolles Label, Anfang diesen Jahres Pleite geht. Als Rückblick und Abschied haben die Flaming Stars vor kurzem London After Midnight – Singles, Rarities And Bar Room Floor-Fillers 199Mai 2005 veröffentlicht. Eine akustisch wie optisch beeindruckende Werkschau, die sich als Einstieg in ihre schillernde Welt bestens empfiehlt. Darauf ist alles – der Sound der Garage wie der Straße, das Versprechen des Abends und die Atmosphäre der Lieblingskneipe nach Mitternacht. Der Morgen danach wird nicht verschwiegen. Dies ohne Klischees und Tränen. Sensibel, wie gesagt, aber nicht sentimental. Seid gewarnt, ihr werdet alle ihre Platten haben wollen. Eine neue ist bereits in Arbeit. Vorher, da wir gute Nachrichten gerne wiederholen, könnt ihr sie diesen Freitag live in Berlin erleben. Bis dahin sollte Zeit sein, ein Hemd zu bügeln.