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Mai 2006
Christina Mohr
für satt.org


The Wedding Present:
Searching for Paradise

Stickman, Indigo 2006

Cover
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The Wedding Present:
Searching for Paradise
Singles 2004-5

Genius, heartbroken

Daß wir bei satt.org große The-Fall-Fans sind, dürfte sich nur schwer verheimlichen lassen, abgesehen davon, daß es da gar nichts zu verheimlichen gibt. Mindestens ebenso viel Aufmerksamkeit verdient eine weitere altgediente Band aus Great Britain, genauer gesagt aus Leeds: The Wedding Present. Gemeinsamkeiten von The Fall und The Wedding Present gibt es einige, zum Beispiel das schnell rotierende Personalkarussell beider Bands (bei The Fall noch etwas exzessiver als bei TWP, Details bitte auf den jeweiligen Bandwebsites nachlesen). Beide Bands wurden von John Peel heftig geliebt und unterstützt, beide Bands verfügen über ein extrem treues und loyales Publikum und sowohl The Fall als auch The Wedding Present werden von knarzigen Käuzen angeführt. Wobei man mit David Gedge von TWP wahrscheinlich in etwas entspannterer Atmosphäre ein Bierchen heben kann als mit Mark E. Smith.


Discografie:
2006 Search For Paradise
1996 Saturnalia
1994 Watusi
1991 Seamonsters
1989 Bizarro
1989 Ukrainski Vistupi V Johna Peela
1988 Tommy (1985 - 1987)
1987 George Best

Seit ihrer Debütsingle Go Out and Get 'Em, Boy von 1985 und dem ersten Album George Best steht die Band um Gründer und Mastermind David Gedge für die Art von Gitarrenmusik, die später unter dem zwar nichtssagenden, aber genreprägenden Begriff „Independent“ zusammengefaßt werden sollte. The Wedding Present verkörperten den Indie- beziehungsweise Do-it-yourself-Gedanken beispielhaft, so erschienen ihre ersten Platten auf dem eigenen Label Reception Records. Ein Freund von mir gründete sofort eine eigene Band, nachdem er zum ersten Mal The Wedding Present gehört hatte – diese initialzündende Wirkung hatten The Wedding Present nicht nur auf ihn, Heerscharen von ja, Indiepopbands nennen den charakteristischen Gitarrensound in Verbindung mit zärtlich-rauhen Songtexten als ihren stärksten Einfluß.

TWP errichteteten mit ihrem irrsinnig schnellen und virtuosen Geschrammel (wobei „schrammeln“ eigentlich eine Beleidigung für David Gedges skills ist – sorry!) eine „wall of sound“, die aber dank der catchy Melodien nie monolithisch herumsteht, sondern leicht und durchlässig erscheint. Obwohl die Band nie den wirklich großen Ruhm genießen durfte, gelangen The Wedding Present doch einige Top-40-Hits in England. Und bis zum heutigen Tag dürfte keine einigermaßen akzeptable Indie- oder Achtzigerdisco ohne den Song Kennedy (wegen des wiederholten Textteils der Einfachheit halber oft „Apple Pie“ genannt) auskommen. Selbst wenn der Bandname vielen nicht geläufig sein sollte, dieses Stück ist unsterblich*. Das erste Lied, das ich von The Wedding Present hörte, war kein Original-TWP-Song, sondern ihre Version von Getting Better von den Beatles (vom St.-Pepper-Album) und ich war sofort begeistert von dieser (durchaus liebevollen) Dekonstruktion eines sogenannten Klassikers. Auch wenn man einen bestimmten Sound mit The Wedding Present verbindet, hat die Band im Laufe ihres Bestehens doch immer wieder erstaunliche Stilwechsel vollzogen. Kurz nach dem Erscheinen von George Best veröffentlichte TWP Ukrainski Vistupi V Johna Peel, eine Sammlung ukrainischer Volksmusik, die sie in John Peels Studio aufgenommen hatten – die osteuropäische Herkunft des damaligen Bandmitglieds Pete Salowka erklärt die Songauswahl. Das dritte Album der Band, Seamonsters von 1991 wurde von Steve Albini produziert, der TWP einen härteren Klang verpaßte – der „jangly“ Gitarrensound der frühen Tage mußte weichen. Im Jahr 1992 begann die Band mit einem ambitionierten Projekt: sie veröffentlichten in jedem Monat des Jahres eine neue Single. Mit der LP Saturnalia von 1996 schien der Weg der Band beendet zu sein. David Gedge gründete zwischenzeitlich mit seiner langjährigen Freundin Sally Murrell die Band Cinerama, um ihre ganz eigene Interpretation von „Easy Listening“ zu verbreiten. Drei Platten gibt es von Cinerama, deren Entdeckung durchaus lohnt. Als die Beziehung von Gedge und Murrell nach 18 Jahren zerbrach, gab es für David Gedge nur eine Möglichkeit, diesen Kummer zu verarbeiten: er belebte The Wedding Present neu und veröffentlichte 2005 das tieftraurige Album Take Fountain. Mittlerweile ist Gedge neu liiert, lebt in Seattle und The Wedding Present sind präsent wie schon lange nicht mehr:


* Kennedy (von Bizarro, 1989)
Lost your love of life? Too much apple pie
Have you lost your love of life? Too much apple pie
And now Harry's walked away with Johnny's wife
You've got to pick some people up
You've got to let some people go
But if Lee's name does come up
Oh well I really want to know
Because everybody loves a T.V. show

Gerade erschien das Album Searching for Paradise, das Singles aus den Jahren 2004 – 05 versammelt, ebenfalls auf der Platte ist ein Remix des Songs I'm From Further North Than You von Klee aus Köln. Die CD erscheint als „Rundum-glücklich-Paket“ für Fans, so sind auf der beigelegten DVD die letzten Videos und unveröffentlichte Liveaufnahmen zu sehen.

Bei ihrem Konzert im Frankfurter Cooky's am 5.5.06 zeigen sich The Wedding Present in bester Verfassung. Das Publikum besteht aus den mittlerweile sprichwörtlich gewordenen Hornbrillen-Indienerds wie Du und ich, die die Band begeistert abfeiern und bei jedem Stück kopfnickend auf und ab hüpfen. David Gedge, der ziemlich gut deutsch spricht („Wir sind das Hochzeitsgeschenk“), stellt die Bedeutung seiner Band und ihrer Hits nie unnötig unter den Scheffel: Songs wie You mean absolutely nothing to me und Why are you being so reasonable now kündigt er mit den Worten an: „the next one is an indiepop-classic from yesteryear …“, als im Cooky's kurz die Bühnenbeleuchtung ausgeht, scherzt er „the next one contains the most ambitious guitar part for me – I cannot play this in the dark“. Eins der Liebeslieder, das ihn spürbar berührt, kommentiert er: „I`m just a heartbroken genius“. Gemeinsam mit Bassistin Terry de Castro (wann erscheint endlich das Standardwerk über DIE BASSISTIN im Pop?) baut er wieder die „wall of sound“ – gigantisch, klar, melodisch, herzzerreissend. Es gibt keine Zugabe. Byebye, bis bald.