Die folgenden drei Alben haben musikalisch nicht allzu viel gemeinsam, außer der Tatsache, daß hier Frauen singen. Reicht das schon? Klingt ein wenig konstruiert? Hmmm …. na ja, zwei der drei Bands stammen aus Kanada, die dritte aus Brasilien – also Pop, der nicht aus England oder den USA kommt. Noch was? Fällt mir bestimmt noch ein, aber jetzt soll's erstmal losgehen:
Man mag es ja kaum glauben, aber Kanada gebiert eine interessante Band nach der anderen, und beim Rest der Welt ist noch längst kein Übersättigungsgefühl eingetreten. Metric kommen aus Toronto und sind nach The Gossip das zweite internationale Lado-Signing. Die Band um Sängerin Emily Haines entspringt derselben Künstlercommunity, die auch Broken Social Scene und Stars hervorgebracht hat, Haines hat zum Beispiel auch auf der letzten BSS-Platte mitgesungen. 2003 erschien Metrics Debütalbum Old World Underground, Where Are You Now?, das mittlerweile auch einen deutschen Vertrieb gefunden hat. Auf diesem Album befinden sich die Songs Dead Disco und Combat Baby, die Metric die ersten Fans verschafft haben. Das aktuelle Album Live It Out entstand in völliger Eigenregie, ohne unterstützende Produzenten nahm die Band die Platte in einem Loft im East End von Toronto auf und das Ergebnis macht viel Freude: Metric hören sich völlig anders an als Broken Social Scene oder The Most Serene Republic, die ja beide sehr detailverliebte, hippieeske Soundcollagen favorisieren – Metric sind eher Girlpop-Wave mit Disco und klingen ungefähr so wie eine logische Fortsetzung dessen, was Bands wie Catatonia, The Sundays (kennt die noch jemand?) oder The Primitives vor vielen Jahren begonnen haben. Den Hit Monster Hospital dürften einige schon kennen, ist das dazugehörige Video doch eines der wenigen, die überhaupt noch bei MTV und VIVA gezeigt werden. Die plakative Schwarz-Weiß-Optik des Videos und Emily Haines' Styling verweisen geradewegs auf Blondie, die zu den schwer zu verheimlichenden Vorbildern von Metric zählen dürften – aber das ist ja nur zu begrüßen! Beinah alle Songs von Live It Out bleiben enorm schnell in Ohr und Hirn haften: Glass Ceiling verbindet Rockgitarren mit tanzbarem Groove, Handshakes ist ein Indiepop-Hit, wie er im Buche steht, mit überdrehten Vocals aus dem Verzerrer und treibender Gitarre. Too Little, Too Late nimmt das Tempo etwas zurück, Poster of a Girl vereint Visage („Fade to Grey“) mit Blondie, zitiert die Achtziger sehr liebevoll, ohne altmodisch zu klingen. Patriarch on a Vespa rockt gewaltig los, läßt die Gitarren fiepen und macht sich über die Bewohner von „pretty houses and their porches“ lustig, The Police and the Private ist ein vordergründig lieblicher Ohrwurm mit Synthies, Orgeln und allem drum und dran, ist textlich aber eher beklemmend, Entfremdung und Einsamkeit sind offenbar auch im glücklichen Kanada keine Fremdwörter. Der Titelsong ist musikalisch überschwänglich, die Lyrics sind lakonisch bis bissig – was soll man auch machen, wenn der Typ, mit dem man die Stadt verlassen wollte, sich am Ticketschalter anders entscheidet? Sehr schöner Abschluß für eine überraschende Platte. Metric sind gerade in Deutschland unterwegs und dürften live viel Spaß machen.
Magneta Lane kommen … richtig geraten, aus Kanada! (Langsam wird es unheimlich). Ihre im letzten Herbst in Deutschland erschienene EP The Constant Lover haben wir bei satt.org gebührend vorgestellt: die sechs Songs machten sehr neugierig, sind rockende junge Frauen doch relativ rar geworden im Popbiz . Nun ist das Full-Length-Album Dancing With Daggers fertig, und wer The Constant Lover mochte, wird auch die LP mögen. French (Baß), Nadia (Drums) und Lexi (Vocals, Gitarre) haben ihren rauhen, aber warmen Girlpunk noch ein wenig aufpoliert, man hört, daß viele persönliche Erfahrungen in die Aufnahmen geflossen sind. Die Band bezeichnet Dancing With Daggers als zusammenhängende Story, die Anordnung der Stücke ist sinnfällig gewählt: der letzte Song Butterflies Are Blue ist sowohl ein Goodbye als auch ein energetischer Ausblick in die Zukunft, vor der sich die drei garantiert nicht fürchten müssen. “I save myself again“ singt Lexi und man glaubt ihr sofort, daß ihr das gelingt. Magneta Lane haben ihre Form gefunden: gitarrenorientierter Indierock mit kraftvollem Schlagzeug plus eingängige Melodien. Die Songs gehen straight nach vorne, die Musikerinnen schonen sich nicht, und klingen nie verbissen, sondern feminin, warm und sexy. Auf Albumlänge klingt das allerdings etwas gleichförmig, Variation ist Magneta Lanes Sache (noch) nicht. Aber French, Nadia und Lexi sind irre jung, denen wird noch vieles einfallen!
Gäbe es bei satt.org „das Album des Monats“, Cansei de ser Sexy der brasilianischen Band CSS wäre mein Topptipp. Es gibt kaum Infos über CSS, außer daß sie aus Sao Paulo (nicht! aus Kanada!) stammen und die erste südamerikanische Band sind, die vom Hause Sub Pop aufgenommen wurde. Ein bißchen Mystery hat noch keinem geschadet, aber die Musik auf Cansei de ser Sexy (portugiesisch für: gelangweilt vom sexy-sein) ist schlichtweg so überzeugend und superklassetoll, daß man gar keine Hintergrundinformationen braucht. Deshalb nur ganz kurz und atemlos: CSS verbinden Dance und Hardrock, Elektronik und Disco. Sie sind offenbar heimliche Kinder von ESG, Peaches und dem Tom Tom Club. Sie fühlen sich am Strand oder auf der Straße genauso wohl wie im Club. Die Band scheint eine factoryhafte Clique aus KünstlerInnen, MusikerInnen und DesignerInnen zu sein, Songs wie Art Bitch weisen darauf hin – und auf die Fähigkeit, sich selbst nicht übermäßig ernst zu nehmen: „I am an artist, I am an art bitch, I sell my paintings to the men I eat“. Die anderen Stücke tragen lustige Titel wie CSS Suxx, Fuckoff is not the Only Thing You Have to Show oder Let's Make Love and Listen to Death From Above – dieser Song ist ein Killer, der Tanzhit schlechthin, und wäre nur dieses eine Stück auf der Platte, wäre sie immer noch besser als 80% aller Neuveröffentlichungen weltweit. CSS schaffen es nicht nur, den sperrigen Songtitel in einen flüssigen Refrain zu packen, dazu gibt es noch eine der funkigsten Baßlinien ever und eine Melodie, die einen nicht mehr losläßt. Daß CSS außerdem mit ganz entzückenden weiblichen Vocals aufwarten, soll hier nur am Rande erwähnt sein. Ihre Hingabe zur Kunst, besonders natürlich zur Musik bringen CSS im zehnten Stück, Music is My Hot, Hot Sex zum Ausdruck: „Music is my Boyfriend, Music is my Girlfriend, Music is my Brother, Music is my Grand-Granddaughter …“ und so weiter und so weiter. Bitte Ohren und Augen aufsperren – CSS können Leben retten!