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Die ersten Töne von Psychological, dem Opener von Fundamental hören sich an, als hätten sich die Pet Shop Boys mit Depeche Mode zu einer Elektropop-Allstarband* zusammengetan. Düster und melancholisch, mit authentischen Achtziger-Synthies, entwickelt Psychological eine regelrecht hypnotische Wirkung – ein idealer Song also, um ein Album zu beginnen. Auch alle weiteren Stücke des Albums verweisen Epigonen auf die Plätze und zeigen, wer die wahren Könige des eleganten Club-Disco-Sounds sind: Neil Tennant und Chris Lowe, mittlerweile zart ergraut und ähnlich wie Morrissey, jetzt im fortgeschritteneren Alter richtig gut aussehend. Aber das Aussehen darf definitiv zur Nebensache werden, wenn man ganz lässig eine großartige Platte wie Fundamental im Gepäck hat. Obwohl Nightlife und Release, die letzten regulären Alben der Boys, auch hervorragend sind, finden die Pet Shop Boys mit Fundamental zu ihrer Bestform zurück, die sie 1993 mit Very erreicht hatten. Die Songs sind catchy, triumphal, humorvoll, hymnisch und glamourös, oder auch melancholisch, traurig und – Überraschung! - politisch, vor allem die vorab ausgekoppelte Single I'm With Stupid, die die Irakpolitik von Bush und Blair aufs Korn nimmt. Keine Angst, die Boys sind nicht zu sendungsbeflissenen Hobbypolitikern mutiert: I'm With Stupid ist ein discotauglicher Hit, kein Betroffenheitskitsch. Diesen Song mögen nicht alle: vital pumpend und stampfend gehört er in dieselbe Kategorie wie New York City Boy und Go West, Songs, die manchen zu kirmesdiscomäßig klingen – andere hören eher das Mitsing- und Hymnenpotential. Vorherrschendes Element auf Fundamental ist die bis in den Albumtitel spür- und hörbare Doppeldeutigkeit, Worte und Zeilen, die verschiedene Lesarten zulassen. So kann man die Ballade Luna Park als Abend im Vergnügungspark verstehen, aber auch (ähnlich wie Domino Dancing von 1988) einen Song über das Sterben an Aids darin erkennen. Produziert wurde Fundamental von Trevor Horn, der mit den Buggles 1980 den Hit Video Killed the Radio Star hatte (das allererste von MTV USA ausgestrahlte Video). Horn produzierte unter anderem ABC, Grace Jones und Frankie Goes to Hollywood – Lowe und Tennant wollten explizit Horn, um diesen breitwandigen, umwerfenden Achtziger-Discosound zu erzielen. Horn gelingt es spielend, die Vorlieben Chris Lowes (Italo-Disco) und Neil Tennants (Filmmusik, orchestrale Instrumentierungen) zusammenzubringen und zusätzlich seinen unverwechselbaren Stempel aufzusetzen. Deswegen klingt Fundamental trotz seiner Heterogenität rund und harmonisch, die Gitarrenexperimente von Release (produziert von Johnny Marr) tauchen hier nicht auf, obwohl einige „echte“ Instrumente wie Baß und Schlagzeug verwendet wurden. Der Sound synthetischer und traditioneller Instrumente gleicht sich ohnehin immer mehr, die Grenzen verschwimmen. Ideal für die Pet Shop Boys, deren Synthiesound immer warm und „menschlich“ klang, vervollkommnet durch die weiche Stimme Tennants, die gar nicht zu altern scheint: noch immer klingt er prononciert und distinguiert wie der English Teacher, den man leider nie hatte. Obwohl schließlich I'm With Stupid gewählt wurde, sollte zunächst The Sodom and Gomorrah Show die erste Single des Albums werden. Die Plattenfirma schreckte zurück, weil der Song mit über vier Minuten angeblich zu lang für Radioeinsätze sei – ein halbherziges Argument, It's a Sin, einer der größten PSB-Hits, war nur unwesentlich kürzer und läuft bis heute regelmäßig im Radio. Wahrscheinlicher ist die Befürchtung der Firmenleitung, die Öffentlichkeit könnte an „Sodom and Gomorrah“ Anstoß nehmen. Doch die Boys benutzen ja selten schmutzige Wörter und die Bedenken sind grundlos – zumindest was diesen Song betrifft: Casanova in Hell verwendet den Begriff „erection“ gleich mehrfach, diese ergreifende Ballade thematisiert die Qual, die wahren sexuellen Neigungen nicht zeigen zu können. Der zitierte „Casanova in Hell“ darf sich nur schriftlich ausleben („his revenge was his story“) und kann die ihm Angetraute nicht glücklich machen. Um eine zu Ende gegangene Liebe geht es in I Made My Excuses and Left, ein trauriges Lied, an dessen Anfang Regen, Mönche und Geigen erklingen – selten wurde die erniedrigende Situation, unverhofft dem Ex und seiner neuen Liebe zu begegnen, stilvoller umgesetzt. Das darauffolgende Stück Minimal ist schamloser Discofox, die Boys liefern die Hörer lustvoll einem Wechselbad der Gefühle aus; Minimal stampft, schreibt Schleifen und Kreise in den von Discokugeln illuminierten Clubhimmel, darüber schwebt Tennants sanfte, durch den Vocoder geschleuste Stimme. Numb beginnt theatralisch, pompös und in Technicolor; Klaviersprengsel leiten über zu den Worten „I just wanna be numb, I don't wanna feel this pain no more/ I don't wanna think, I don't wanna feel nothing“ - auch in diesem Song verschwimmen private und politische, lokale und globale Grenzen. Twentieth Century ist wieder rotierender House-Elektroniksound (sie halten das durch, wirklich: Ballade – Dance – Ballade – Dance ….), der die schöne Zeile beinhaltet: „Sometimes the solution is worse than the problem – let's stay together“.Der letzte Song, Integral, wird nochmal peinlich für den „Connaisseur“: eine stampfende Hymne, die jegliche Contenance fahren läßt – hier wird Frankie-mäßig oben ohne getanzt, aber mit sozialkritischem Ansinnen: „If you've done nothing wrong, you've got nothing to fear / If you've got something to hide, you shouldn't even be here“ skandieren die Pet Shop Boys, und wieder gehen Privates und Öffentliches eine Fusion ein: sowohl die Überwachungskameras in Fußgängerzonen als auch unausgesprochene Vorbehalte gegen „Anderssein“, Schwulsein können hier gemeint sein – aber egal, wie heikel das Thema ist, bei den Pet Shop Boys kann man dazu tanzen und die Liebe feiern. Integral ist der großartige Schluß einer großartigen Platte, konzentriert im letzten hingehauchten Wort, „perfect.“ |
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