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Juni 2006
Imke Staats
für satt.org


Howe Gelb:
'Sno Angel Like You

Thrill Jockey 2006

Cover
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Howe Gelb
und der Gospelchor
"Voices of Praise"
in der Passionskirche,
Berlin, 9. Mai 2006

Den Freunden der alternativen amerikanischen folkigen-Rockmusik wird zur Zeit das letzte karierte Hemd ausgezogen: Kaum sind Calexico verklungen ist auch schon Neko Case - die sexiest Folk-Rock-Singer/Songwriterin alive im Anmarsch, verteidigt zwischendurch der Urvater des Arizona-Wüstenklangs, der Papa von Calexico – Howe Gelb, seine Position. Der Mann, dessen amöbenhafte Musikteams gestern noch Giant Sandworm, Giant Sand , The Band of Blacky Ranchette, OP8 und wer-weiß-wie-noch hießen, kam schlicht unter seinem Namen Howe Gelb ins Mittelschiff der Kreuzberger Passionskirche. Und das passenderweise in Begleitung eines Gospelchores: The Voices of Praise heißen die neun Damen und Herren. Jeder von ihnen trug einen gelben Lappen an der Hüfte, der beim Swingen und Grooven mitmachte, was wie eine symbolhafte Kurz-Form der langen weiten Gospelkleider wirkte. Aber es fing langsam und zunächst chorfrei an. Howe Gelb, der noch vor wenigen Jahren eine unerschütterlich dicke schwarze Indianermatte trug, kam als grauer schmaler Reverend auf die Bühne und startete in seiner knarzig-brummigen Stimme mit dem schönen „Love knows no Borders“, das auf der neuen CD „Sno Angels like you“ an siebenter Stelle zu finden ist. Nach einer Weile stimmte das Gospel-Ensemble sanft mit ein. Über Gelb, der nicht nur den schwarzen Schopf, sondern auch seine alten Gepflogenheiten getauscht hat, mag man sich wundern, warum ausgerechnet ein Kirchenchor das vermeintlich neue Projekt ist. Doch ein Freigeist experimentiert, ohne sich zu verlieren. Ein bisschen wie Elvis Costello, der sich selbst in jeder Erscheinungsform immer treu bleibt. Umso mehr verwundert es , dass er, der unberechenbare Individualist, der verspielte Hakenschläger neben dem Gospelchor so gesittet und respektvoll agierte. Und dass nur gemäßigte Improvisationen und keine Publikumsbeschimpfungen sondern warmherzige Kommunikation zwischen ihm und den mit Bieflaschen klöternden Gästen stattfand. Diese Sanftheit ist vermutlich einer vertieften Spiritualität zu verdanken. Der Plan mit dem Chor war lange gehegt und endlich erfüllt, und das schlägt sich auch in den Texten nieder, die zwar von menschlicher Wärme und göttlicher Liebe handeln, aber nicht weniger bissig und humorvoll sind als früher. Das Publikum war groß - denn es gab in dieser Konstellation nur zwei Auftritte in Deutschland – und es war ein bisschen gespalten in die Anhänger der Extempori und diejenigen, die die ausgeglichene Zurückhaltung als Ergebnis einer dauenden Entwicklung ansahen. Howe Gelb freute sich über Berlin und den Tag und teilte das mit. Rechts und links der Altarbühne tanzten junge Frauen extatische Hippie-Tänze und müssen sich zusammenreißen, nicht wild und begeistert AUF die Bühne zu springen. Weiter hinten muffelten ein paar Altväter ganz leicht über die Glattheit der Veranstaltung und waren der Meinung , dass man zu Gelb-Musik nicht tanzen könne, womit sie aber in keinem Fall Recht haben können. Nach acht Stücken, die nicht nur von der neuen Cd sondern zum Teil auch vom genreverwandten Rainer stammten wurde kurz pausiert. The Voices of Praise swingten , summten und rockten und wirkten dabei total glücklich. An der sakralen Räumlichkeit kann es nicht gelegen haben, dass bald die Kirchenbankdrücker zu Pedalsteel und Chorfreude mit-lobpriesen. Und dass sich inzwischen die beinahe vollständig vorgestellte Cd restlos ausverkaufte. Nach „Get to leave“ als Schluß-Song kam der Applaus kräftig aus den Händen des reiferen Publikums. Bei der Zugabe wurden auch die Skeptiker wieder aus ihrer Befremdungs-Ecke geholt: Mit sonderlichsten Interpretationen von „A walk on the wilde side“, „My Sweet Lord“ und „Oh Happy day“, wie sie nur der alte „Improvisations-Provokateur“ Gelb hinkriegt. Aber so nicht ohne Chor.


Erstveröffentlichung am 11. Mai 2006 in der taz.