Den Freunden der alternativen amerikanischen folkigen-Rockmusik wird zur
Zeit das letzte karierte Hemd ausgezogen: Kaum sind Calexico verklungen ist
auch schon Neko Case - die sexiest Folk-Rock-Singer/Songwriterin alive im
Anmarsch, verteidigt zwischendurch der Urvater des Arizona-Wüstenklangs,
der Papa von Calexico – Howe Gelb, seine Position. Der Mann, dessen
amöbenhafte Musikteams gestern noch Giant Sandworm, Giant Sand , The Band
of Blacky Ranchette, OP8 und wer-weiß-wie-noch hießen, kam schlicht unter
seinem Namen Howe Gelb ins Mittelschiff der Kreuzberger Passionskirche. Und
das passenderweise in Begleitung eines Gospelchores: The Voices of Praise
heißen die neun Damen und Herren. Jeder von ihnen trug einen gelben Lappen
an der Hüfte, der beim Swingen und Grooven mitmachte, was wie eine
symbolhafte Kurz-Form der langen weiten Gospelkleider wirkte. Aber es fing
langsam und zunächst chorfrei an. Howe Gelb, der noch vor wenigen Jahren
eine unerschütterlich dicke schwarze Indianermatte trug, kam als grauer
schmaler Reverend auf die Bühne und startete in seiner knarzig-brummigen
Stimme mit dem schönen „Love knows no Borders“, das auf der neuen CD „Sno
Angels like you“ an siebenter Stelle zu finden ist. Nach einer Weile stimmte
das Gospel-Ensemble sanft mit ein. Über Gelb, der nicht nur den schwarzen
Schopf, sondern auch seine alten Gepflogenheiten getauscht hat, mag man sich
wundern, warum ausgerechnet ein Kirchenchor das vermeintlich neue Projekt
ist. Doch ein Freigeist experimentiert, ohne sich zu verlieren. Ein bisschen
wie Elvis Costello, der sich selbst in jeder Erscheinungsform immer treu
bleibt. Umso mehr verwundert es , dass er, der unberechenbare Individualist,
der verspielte Hakenschläger neben dem Gospelchor so gesittet und
respektvoll agierte. Und dass nur gemäßigte Improvisationen und keine
Publikumsbeschimpfungen sondern warmherzige Kommunikation zwischen ihm und
den mit Bieflaschen klöternden Gästen stattfand. Diese Sanftheit ist
vermutlich einer vertieften Spiritualität zu verdanken. Der Plan mit dem
Chor war lange gehegt und endlich erfüllt, und das schlägt sich auch in den
Texten nieder, die zwar von menschlicher Wärme und göttlicher Liebe handeln,
aber nicht weniger bissig und humorvoll sind als früher. Das Publikum war
groß - denn es gab in dieser Konstellation nur zwei Auftritte in Deutschland
– und es war ein bisschen gespalten in die Anhänger der Extempori und
diejenigen, die die ausgeglichene Zurückhaltung als Ergebnis einer dauenden
Entwicklung ansahen. Howe Gelb freute sich über Berlin und den Tag und
teilte das mit. Rechts und links der Altarbühne tanzten junge Frauen
extatische Hippie-Tänze und müssen sich zusammenreißen, nicht wild und
begeistert AUF die Bühne zu springen. Weiter hinten muffelten ein paar
Altväter ganz leicht über die Glattheit der Veranstaltung und waren der
Meinung , dass man zu Gelb-Musik nicht tanzen könne, womit sie aber in
keinem Fall Recht haben können. Nach acht Stücken, die nicht nur von der
neuen Cd sondern zum Teil auch vom genreverwandten Rainer stammten wurde
kurz pausiert. The Voices of Praise swingten , summten und rockten und
wirkten dabei total glücklich. An der sakralen Räumlichkeit kann es nicht
gelegen haben, dass bald die Kirchenbankdrücker zu Pedalsteel und Chorfreude
mit-lobpriesen. Und dass sich inzwischen die beinahe vollständig
vorgestellte Cd restlos ausverkaufte. Nach „Get to leave“ als Schluß-Song
kam der Applaus kräftig aus den Händen des reiferen Publikums. Bei der
Zugabe wurden auch die Skeptiker wieder aus ihrer Befremdungs-Ecke geholt:
Mit sonderlichsten Interpretationen von „A walk on the wilde side“, „My
Sweet Lord“ und „Oh Happy day“, wie sie nur der alte
„Improvisations-Provokateur“ Gelb hinkriegt. Aber so nicht ohne Chor.
Erstveröffentlichung am 11. Mai 2006 in der taz.