Den Ruf als „Funpunkband“ werden sie wohl nie los. Als während einer Diskussionsrunde bei der (Popup in Leipzig die Goldenen Zitronen erwähnt wurden, jubelte die junge Frau neben mir: „die Zitronen find' ich ja sooo geil – kennste 'Für immer Punk'?“
Tja, als wären 80 Millionen Hooligans oder Das bißchen Totschlag nie gewesen. Wobei es keinen Grund gibt, die wilden Achtziger der „Goldies“ zu verheimlichen, Hits wie Genscher, Porsche, Hallo HSV, Ihre Faust so fest (Mein Skinheadmädchen), St. Pauli Boys und – unvergessen der Skandal um diesen Song – Am Tag, als Thomas Anders starb sind bis heute Sternstunden deutschen, äh, Funpunks.*
* Wer noch was nachzuholen hat, oder einfach das Beste der Achtziger, Neunziger bis 2002 zu Hause haben will, dem sei die Compilation Aussage gegen Aussage, Die Goldenen Zitronen von 198April 2002 empfohlen (Buback Tonträger).
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Doch irgendwann, es muß zwischen 1989 und 1991 gewesen sein, passierte so viel Seltsames in diesem unserem Lande, daß die Goldenen Zitronen den Verhältnissen nicht mehr mit schäumenden Stimmungshits begegnen konnten. Die Single Alles was ich will (ist nur die Regierung stürzen) von 1990 kündigte den Richtungswechsel an, die Zitronen wurden explizit politisch, ohne Humor und Punkattiude einzubüßen. Die LPs Das bißchen Totschlag (1994) und Schafott zum Fahrstuhl (1998) gehören zu den wichtigsten und natürlich übersehensten deutschen Platten ever.
Mittlerweile kann man davon ausgehen: wenn die Goldenen Zitronen eine Platte rausbringen, ist irgendwas verdammt faul. Lenin haben sie ihr neues Werk genannt, kein Titel könnte „unpoppiger“ sein. Man muß aber kein Leninist, Marxist oder Lenino-Marxist sein, um von der Platte voll an den Eiern gepackt zu werden. Auch wenn der Titelsong auf einem DDR-Traditional basiert, das Hanns Eisler und Johannes R. Becher seinerzeit nach einem Majakowski-Gedicht komponierten – die Zitronen sind mitten drin im heutigen Wahnsinn, bestehend aus Prekarisierung, Globalisierung, Ausgrenzung und neuer deutscher Herrlichkeit. Die GZ (derzeitige Kernbesetzung Ted Gaier, Schorsch Kamerun, Mense Reents, Kollaborateure: DJ Patex, Chicks on Speed, Enno Palluca …) schreddern, nervsägen, häckseln und kreischen und machen definitiv „keine Musik zum Mitsingen“, genau wie es der Waschzettel zur CD verspricht. Nett sein können andere, die Goldies haben besseres zu tun.
Den ersten Song, Lied der Stimmungshochhalter sollte man unbedingt morgens auf dem Weg zur Arbeit (sofern vorhanden) hören. Wer da nicht zum Überdenken der eigenen Situation angeregt wird, gehört wahrscheinlich nicht zum Heer der „Kofferträger, Türaufhalter, Unterschergen, Schundverwalter ( …), Liftboys, Schuhputzer, Untertanmädchen“ und nimmt auch kein „Training in Unterwerfungskompetenz“. Wow, harter Anfang, der umgehend revolutionär stimmt. Und auch sonst streuen die Goldenen Zitronen Salz in viele Wunden, auch solche, die ihnen selber weh tun. Der Bürgermeister nimmt die Verstrickungen und inzestuösen Beziehungen der „Kulturszene“ aufs Korn, der die Goldies ja auch angehören:
„Und ich und ich und ich. Der verdiente Independentmusiker am Hof des Königs des unbeugsamen Theaters. Der verdiente, jaja, der verdiente, im Schlepptau mit dem König und dem kontroversen Kronprinz.“
Die Goldenen Zitronen Live:
07.07. München, Muffathalle 25.08. Köln, Monsters of Spex 05.09. Hannover, Glocksee 06.09. Bielefeld, Kamp 07.09. Duisburg, Hundertmeister 08.09. Heidelberg, Karlstorbahnhof 14.09. A-Salzburg, Rockhouse 15.09. A-Wien,WUK
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Daniel Richter, der das Lenin- und einige andere Cover für die Band gestaltete, gehört mittlerweile zu den hochgehandelten deutschen Künstlern, ab Mitte Juni werden seine Werke im Museum für Gegenwartskunst Basel zu sehen sein. Das Coverartwork führt selbstironisch vor, daß Punk inzwischen museumsreif geworden ist: vorn sieht man eine Lederjacke mit dem Spruch „Fuck the Police“, dreht man die CD um, stellt man fest, daß die Jacke ein Gemälde und Teil einer Ausstellung ist. Das Bild heißt übrigens „Lonely old Slogan“ und könnte auch Titel einer GZ-Platte sein.
Die Zitronen saugen Themen auf und zerfleddern sie, um sie in manischen Wortkaskaden auf die Hörer loszulassen. Musikalisch sind sie wie gewohnt anstrengend, nervös, flackernd, mal überraschend smooth und locker, und Mickeyrourkeske ist feinster Punkrock. Complication ist die Coverversion eines Songs der Monks, einer 60's-Anti-Beatband, die aus ehemaligen US-Soldaten bestand, hier singen Chicks on Speed! Mila, das textlastigste Stück der Platte, behandelt Handywahn, Einsamkeit und Angst, ein Pfeifen im Walde der Entfremdung. Mit Von den Dämonen des Wesley Willis gedenken die Zitronen dem ziemlich irren afroamerikanischen Rapper und Performancekünstler, der vor drei Jahren an Leukämie starb. Sie tourten zweimal mit ihm, was nicht immer reines Zuckerschlecken war: Willis terrorisierte die Band im Tourbus bevorzugt mit Cassetten von Mainstreammusikern wie zum Beispiel Bob Seger. Doch das konnte die enge Verbundenheit der GZ mit Willis nicht zerstören: „Demons are a mad mans, black man's worst friends. Stay of the hellbus sad man, mad friend“.
Kernstück von Lenin ist Wenn ich ein Turnschuh wär, das mit einem hinterhältig-schleppenden Groove daherkommt, und der eindringlichste Politsong ist, den die Zitronen je gemacht haben: „Ja, für eine Fahrt ans Mittelmeer, Mittelmeer, Mittelmeer. Gäb ich meine letzten Mittel her, Mittel her, Mittel her. ( ….) Über Euer scheiß Mittelmeer. Käm ich, wenn ich ein Turnschuh wär, oder als Flachbildscheiß. Ich hätte wenigstens einen Preis.“
Klarer kann man's nicht ausdrücken, daß es im kapitalistischen Wunderland keinen interessiert, weshalb Menschen „von anderswo“ dort wegwollen. Und man kann sogar noch dazu tanzen – perfide. Die Goldenen Zitronen: nie waren sie wertvoller als heute. Ohne Witz.