Anzeige:
Sofie Lichtenstein: Bügeln. Protokolle über geschlechtliche Handlungen




Juni 2006
Christina Mohr
und Marko Hild

für satt.org


PeterLicht:
Lieder vom Ende des Kapitalismus

Motor Music 2006

Cover
PeterLicht:
Wir werden siegen! Buch vom Ende des Kapitalismus

Blumenbar 2006

Cover

Lieder vom Ende
des Kapitalismus

Daß PeterLicht ein real existierender Mensch aus Fleisch und Blut ist, weiß ich seit der Leipziger Buchmesse im vergangenen März. Gleich zweimal trat PeterLicht am Messefreitag mit seiner Band auf, um die Songs zum Buch zum Ende des Kapitalismus vorzustellen: mittags auf der Leseinsel der Kleinverlage in Messehalle 5, abends im Connewitzer Club Cortex. Prima, dachte ich, endlich mal ein Künstler, der gleich mit mehreren Produkten an die Öffentlichkeit drängt und ein schönes Gesamtpaket vorlegt. Und der das Ende des Kapitalismus nicht karlsquellbierschäumend einfordert, sondern konstatiert, daß er offenbar vorbei ist, „vorbei, vorbei, endlich vorbei“ (aus: Lied vom Ende des Kapitalismus).

PeterLicht war früher mal Meinrad Jungblut und hatte im Jahre 2001 mit Sonnendeck einen veritablen Hit, der ihn unsterblich machte. Doch LichtJungblut hat es nicht so mit dem Starsein, es ist ihm eigentlich ganz und gar zuwider. Er möchte, daß sein Werk wahrgenommen wird, er will durch seine Musik und Texte sprechen – deshalb läßt er sich nicht fotografieren, gibt selten Interviews, und tritt er mal im Fernsehen auf (wie kürzlich in der Harald-Schmidt-Show), läßt er nur seine Schuhe filmen. Das kann man schrullig finden, oder auch anarchistisch-konsequent in einer Welt, die am liebsten ihre Oberflächen feiert. PeterLicht wegen Sonnendeck leichtfertig als Gute-Laune-Musikanten abzustempeln, wäre verfehlt. Außerdem war auch dieser Song nur vordergründig fröhlich, dunklere Deutungsebenen sind möglich, und vielleicht wurde hier doch ganz einfach auf die Endlichkeit des Lebens verwiesen. Auch seine aktuelle Platte ist nicht „lustig“, auch wenn manche den nerdigen PeterLicht als Wigald Boning des Indiepop bezeichnen mögen. PeterLichts neue Songs thematisieren das Leben in Zeiten der Prekarisierung, des Überflüssigseins. Wie fühlt es sich an, eben noch zur gefeierten Yuppie-Generation gehört zu haben und sich unversehens im Mülleimer der Wirtschaftsgeschichte wieder zu finden? Ergibt (Pop)musik in dieser Situation überhaupt noch einen Sinn? Und sollte man nicht wenigstens tanzen, wenn man schon untergehen muß?

Die Lieder vom Ende des Kapitalismus und das bei Blumenbar erschienene Buch Wir werden siegen! werden von der Kulturpresse mit schier unglaublicher Begeisterung aufgenommen. Abgesehen davon, daß PeterLicht alle Aufmerksamkeit und Wertschätzung zu Recht gebührt, stellt sich schon die Frage nach dem Warum - Sind PeterLichts Lieder und Texte genau zur richtigen Zeit gekommen? Sind die Leute übersättigt von den rechtschaffenen, hemdsärmeligen Kumpelrockern? Hat man genug von all' der Ich-Larmoyanz, der banalitätenzelebrierenden Blogger-Community? Und wenn Blumfeld sich ins Gebirg' zurückziehen, wer kann uns retten? Vielleicht sind das die Gründe, weshalb sich gerade alle auf Die Lieder vom Ende des Kapitalismus einigen können. Die Platte ist unaufdringlich-eindringlich, die Songs perlen leichtfüßig und eingängig aus den Lautsprechern, das fluffige Elektropopgewand kleidet die fatalistischen Texte ganz besonders vorteilhaft. Und Der Böse Mann ist gar ein wenig Punkrock. PeterLicht hat ein Talent für zwingende Aphorismen, er schimpft und klagt nicht, er konstatiert. Und dichtet.

Melancholisch zuweilen, manchmal irrlichternd-poetisch, aber nie eskapistisch.

Und ein Song wie Wettentspannen sollte eigentlich auf allen iPods derer landen, die sich morgens noch auf den Weg zur Arbeit machen: „Wer sich schneller entspannt / ist besser als jemand, der sich nicht so schnell entspannt / aber immer noch besser als jemand, der sich überhaupt nicht entspannt / und eigentlich schon tot ist.“

Und da der Kapitalismus eh' schon vorbei ist, kann man ihm frohgemut hinterhersingen: „Wer tot ist, der geht auf die Nerven, da kann man nix machen. (auch aus Wettentspannen)

Eigentlich sollte es ein „echtes“ satt.org-Interview mit PeterLicht geben, doch dann erreichte mich eine Mail der Promofrau: PeterLicht sei zur Zeit unauffindbar, ein Interview deshalb leider nicht möglich. Ok, dachte ich, irgendwie paßt die Geschichte ja zum Gesamtkonzept „PeterLicht“. Hier kommen die Fragen, die ihm satt.org stellen wollte, beantwortet mittels seiner Texte:

Als ein Freund von mir deine Platte und Buch bei mir liegen sah, fragte er: "Weiß PeterLicht schon mehr als wir?" Warum ist der Kapitalismus am Ende?

Der Kapitalismus, der alte Schlawiner, hat uns lange genug auf der Tasche gelegen, jetzt ist er endlich vorbei. Ist ja auch lang genug gewesen.“ (Lied vom Ende des Kapitalismus)

Wer sind "wir", wer wird siegen?

Die Leute in unseren Köpfen riefen, Ihr kriegt uns hier nicht raus! Die Leute in unseren Köpfen riefen: wenn es nicht anders geht, dann werden wir eben siegen.“ (Wir werden siegen)

Du hast ein Buch geschrieben, eine Platte aufgenommen und ein Theaterstück gemacht – warum gerade jetzt dieser multiple Output?

Wo ich mich eigentlich befinde, ist in der Rinde, der Rinde dessen, was mich eigentlich umgibt. Was am Ende nur wieder heißt, daß da was ist, was sich reimt, daß da was rindenhaftes keimt … Gute Nachrichten aus der Einsamkeit aus meinem Funkloch.“ (Gerader Weg)

Wie schreibst du deine Texte? Buch und Platte scheinen wie aufgeschriebene Träume.

Ich oder Du oder irgendwer, die Straße entlang wie ein fallender Stern. Hinter mir zischt die Frau, die raucht wie eine Lunte … und der Vogel, der sang aus dem runden Loch der Nacht. Und was uns bleibt am Ende eines langen Abends ist der Wind.“ (Es bleibt uns der Wind)

Warum wurde Meinrad Jungblut zu PeterLicht?

Wenn der böse Mann tot ist, legen wir uns ins Bett. Der böse Mann soll tot sein, dann können wir wieder glücklich sein. Wir sind müde, wir wollen schlafen, der böse Mann kommt immer näher. Erst wenn er tot ist, werden wir wissen, wer wir sind.“ (Der böse Mann)

--------------------------------------

satt.org-Autor Marko Hild hat im Februar PeterLichts Theaterprojekt Wir werden siegen! Und das ist erst der Anfang besichtigt, hier seine Eindrücke:

Das Ende

Wir haben uns doch gerade, trotz aller Krisen, so schön eingerichtet und jetzt soll alles vorbei sein? Single-Börsen im Internet, tolle Unterhaltungselektronik, Öko-Fonds, Beton-Gel für Beckham-Szene-Pflichtfrisur, ipod, der schöne Überfluss, dahin, dahin. Und die schöne freie Zeit? Wenn PeterLicht Recht behält, geht's demnächst mit unserem Wirtschaftssystem ziemlich bergab.

In seinem musikalischen Projekt „Wir werden siegen! Und das ist erst der Anfang.“, das im Februar an den Münchner Kammerspielen uraufgeführt wurde, wird das Ende besungen. Gleich das erste Lied, mit Trompete und Plastikorgel vorgetragen, gibt die Richtung vor: „Der Kapitalismus, der alte Schlawiner, hat uns lange genug auf der Tasche gelegen.“ heißt es da. Moment, da singt doch der Würstchenverkäufer, der eben noch vor dem Saal seine Würstchen verschenkt hat. Die weiteren Lieder des Abends werden auf im Saal verteilten Orgeln begleitet. Die Melodien erinnern in ihrer unbedarften Verspieltheit an PeterLichts ersten Hit „Sonnendeck“.

Zwischen den Stücken werden ein paar enttäuschte und entstellte Persönlichkeiten vorgestellt. Die Kartoffelkönigin dreht nach ihrer Wahl durch, weil sie gemerkt hat, dass der ganze Aufwand umsonst war, weil sie eigentlich keine Untertanen hat. Außer den Kartoffeln, und die hören nicht auf sie. Und schon hat sie einen bösen Plan.

Der Hobbyhistoriker führt durch Honeckers Bunker. Mit unglaublichen Elan führt er mit sinnlosen Ausführungen durch ein sinnloses Gebäude und erliegt am Schluss seiner eigenen hysterischen Begeisterung. Ein junger Mann im Anzug erklärt uns seine irre Verschwörungstheorie anhand der Verfilmung von Tolstois „Krieg und Frieden“. Denn Putin ist eigentlich Napoleon und der ehemalige Ölmagnat Michael Chodorkowskij ist dessen Gegenspieler. Es hat schon seinen Grund, dass Chodorkowskij im Gefängnis „Krieg und Frieden“ lesen will … Dann hat auch noch Konstantin Wecker einen Gastauftritt.

Der Kapitalismus bringt nicht nur Mehrwert hervor, sondern auch freie Zeit, besonders bei Menschen, die nicht mehr Akteure im Wirtschaftskreislauf sind, sondern außen vor stehen. Was passiert in dieser Zeit? Wie absurd sind die Bemühungen, diese freie Zeit auszufüllen? Es ist ein sehr unterhaltsamer Abend im Neuen Haus der Münchner Kammerspiele. So unterhaltsam und witzig, dass das Thema des Abends dabei fast verloren geht. Aber nur fast. Einige Schlagworte bleiben auf jeden Fall hängen „Revolte 06“ oder „Sozialkönig“. Alles nur Spaß? Time will tell.

----------------------------------------

Und daß der Kapitalismus noch lange nicht vorbei ist, sondern zuweilen häßliche Zuckungen vollführt, beweisen die grauslichen Störjingles, die das Label in ALLE SONGS auf dem Promoexemplar gepackt hat. Wahrscheinlich soll so der bösen Raubkopiererei vorgebeugt werden, ein Ansinnen, das so verjährt ist wie die „Hometaping is killing Music“-Kampagne von 1980.

Hört mal, Motor: PeterLicht macht Musik, die alle hören sollen, und besonders die Texte sind wichtig. Schade, daß Ihr ausgerechnet dieses Projekt so verhunzt.