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Daß ausgerechnet Jasmin Wagner Engstirnigkeit in der deutschen Musikszene beklagt, hat man wohl nicht erwartet. Ebensowenig erwartet hat man aber auch die Wandlung vom Discoteeny „Blümchen“ zur Sängerin Jasmin Wagner, deren Platte Die Versuchung in Zusammenarbeit mit Michel van Dyke und Bernd Begemann entstand. Der Produzent und musikalische Tausendsassa van Dyke (letzte eigene Platte: Bossa Nova), komponierte unter anderem den Konsenshit Du trägst keine Liebe in dir von Echt, den Begemann gern covert. Als bekannt wurde, daß Jasmin „Blümchen“ Wagner eine Platte mit der Unterstützung dieser beiden Musiker aufnimmt, konnte man sich an eine ähnlich ungewöhnliche Kollaboration von vor zehn Jahren erinnert fühlen: Fans in aller Welt trauten ihren Augen und Ohren nicht, als das Video Where the Wild Roses Grow von Nick Cave mit Kylie (!) Minogue (!) zum ersten Mal bei MTV lief. Ob Bernd Begemann ihr Nick Cave sei, frage ich Jasmin - der Vergleich ehrt sie, aber: „nur in Deutschland wird immer so verbissen geschaut, wer mit wem zusammenarbeitet und was geht und was nicht gehen darf.“ Eine TV-Redakteurin mochte ihre Platte genau so lange, bis sie erfuhr, wer sich dahinter verbarg – Veränderung ist nicht gern gesehen, wenn sich ein Image mal festgesetzt hat. Doch Blümchen zu sein war für Jasmin eine Erfahrung, vergleichbar mit der Lehrzeit anderer Jugendlicher – danach will man vielleicht was anderes machen, wer hat denn mit Mitte Zwanzig noch dieselben Vorstellungen wie mit Fünfzehn? Weder Jasmin noch Bernd wußten allzu viel voneinander, sie sagt, das war gut so: „Hätte ich mehr von ihm und seiner enormen Fangemeinde gewußt, wäre die Zusammenarbeit nicht so unbeschwert gewesen. Ich hätte ihn vielleicht zu sehr bewundert.“
Vor einigen Jahren sollte es schon einmal eine Platte von Jasmin Wagner geben, die 2001 beschloß, kein Blümchen mehr zu sein. Die Plattenfirma machte ein großes Budget locker, Menschen wie Inga Humpe und Uwe Fahrenkrog-Petersen schrieben Songs für sie, alle packten ihre unterschiedlichen Vorstellungen davon, wie die neue Jasmin Wagner klingen sollte, in diese Lieder hinein. Das Ergebnis: ein uneindeutiger, beliebiger Brei, die Entscheidung gegen die Veröffentlichung traf Jasmin selbst. Jetzt, fünf Jahre später, Die Versuchung, eine stilistische und musikalische Metamorphose des Produkts Jasmin Wagner, ehemaliges Blümchen. Sie selbst hat keine Schwierigkeiten mit dem Begriff „Produkt“: „Raider ist jetzt Twix, die D-Mark ist jetzt Euro und Blümchen ist jetzt Jasmin Wagner. Für die Plattenfirma bin ich auf jeden Fall ein Produkt, meine CD ist stapelbar.“ „Im Prinzip fange ich von vorne an“, sagt Jasmin, „mit dieser Platte bin ich ein Newcomer, ganz egal, wieviele Platten ich früher als Blümchen verkauft habe. Ich muß mein neues Publikum erst kennen lernen“ Das ist wahr, vom Kinderdiscosound der frühen Jahre ist nichts mehr zu hören. Van Dyke und Begemann haben Jasmin Wagner 11 fluffig-leichte Popsongs auf den Leib geschrieben, mit zarten Anklängen an Burt Bacharach und französische Chansons der sechziger Jahre. Beschwingt und poppig, stilistisch ein wenig retro, als sei das Sechzigerjahre-Gewand gewählt, um den größtmöglichen Kontrast zu früher herzustellen. Unüberhörbar auch Anlehnungen an die von Begemann sehr verehrte Marion Maerz (Er ist wieder da), die man in melancholischen Songs wie Wahrscheinlich hallo heraushört. Für Jasmin waren die Aufnahmen für diese Platte völlig anders, als sie es von Blümchen-Produktionen gewohnt war: „Diese Platte hat definitiv mehr Arbeit gemacht als die früheren Stücke. Es gab keine Maschine, die es richten konnte, wenn mal etwas nicht so gut klang. Um den Sixties-Effekt zu erzielen, wurde im Studio auch wie in den sechziger Jahren gearbeitet.“ Sie sieht sich auf dem richtigen Weg, sie hat die Herausforderung gewollt und angenommen. „Nur was Dir selbst gefällt, kann auch anderen gefallen“, sagt sie, das ist einerseits ein profimäßig-druckreifer Satz, andererseits ja völlig wahr. Und noch ein druckfertiges Statement auf meine Frage, ob ihr die veränderte Arbeitsweise schwer gefallen sei: „Alles ist schwer, egal, was man macht, es ist nie leicht.“ Schon wieder hat sie recht … Bei Songs wie Morgen, wenn ich weg bin oder Komm' schon, werd' wütend muß man sich schon deutlich vor Augen halten, daß sie von einem Mann getextet wurden – Bernd Begemann. Wie groß war Jasmins eigener Anteil an den Songs, kam es ihr nicht seltsam vor, daß ein Mann ihre Position einnimmt? „Na ja, Männer sind ja nicht grundsätzlich lernresistent. Bernd hat immer gefragt, 'wie fühlt eine Frau?' und ich habe geantwortet: das und das würde ein Mädchen nie sagen!“ Dennoch dürfte Männer brauchen Liebe, die Single des Albums, einige Wunschvorstellungen Begemanns ausdrücken: Männer brauchen Liebe Obwohl sie noch jung ist (26), kann Jasmin Wagner auf viele Jahre im Showbusiness zurückblicken – was hat sie im Lauf der Zeit gelernt? „Ich muß nicht mehr zu jedem nett sein, die Meinung anderer ist mir nicht mehr so wichtig. Ich bin nicht mehr so schnell zu beeindrucken wie früher und falle auch nicht in Ohnmacht, wenn Tokio Hotel auf der gleichen Bühne spielen. Mir sind meine Aufgaben mehr bewußt – ich weiß heute genau, was mein Job ist.“ Wie zum Beispiel in der Harald Schmidt Show, wo sie unlängst zu Gast war: „Das war ein bißchen wie ein Vorstellungsgespräch, man will ja alles richtig machen und sich nicht blamieren – aber man darf auch nicht versuchen, witziger als Schmidt sein zu wollen.“ Ihr Tipp für Interviews generell: Zuhören, angemessen reagieren. Das sollten sich so einige Stars mal zu Herzen nehmen … Welche Bands, welche MusikerInnen mag sie selbst? „Nancy Sinatra, Moneybrother, Juliette Lewis and the Licks … und bei den Babyshambles war ich letztens. Erstaunlicherweise haben sie ganz pünktlich angefangen, meine Freunde und ich waren völlig überrascht!“ Sie verwendet den Begriff „Nirvana-Tourismus“für all' diejenigen, die auch in Hamburg vergeblich darauf warteten, daß Pete Doherty tot von der Bühne fällt. Im September geht Jasmin Wagner selbst auf Tour und ihr Publikum wird ganz sicher nicht auf einen Skandal hoffen – sondern neugierig auf die erwachsene Jasmin sein. Was vielleicht am meisten überrascht: Jasmin Wagner hat eine wirklich gute Stimme, wer Annett Louisan und Paula mag, ist bei ihr gut aufgehoben. |
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