Ganz schön und gemein
Soft oder Rock? Da muß man sich schon entscheiden. Denn seichter Rock oder rockige Schnulzen liegen - bei aller Liebe für’s hörbare Gefühl - außerhalb dessen, was es im Leben zu beachten gilt.
So gesehen, ist der Titel des kürzlich bei City Slang erschienenen Debütalbums der Wahlberlinerin Justine Electra mehr als mutig. „Soft Rock“ heißt die Scheibe und man ahnt Böses.
Frau Electra, die mit bürgerlichen Namen Justine Carla Electra Beatty heißt und dieses Glück australischen Hippies zu verdanken hat, hat in dort, in Australien, Musik studiert. Dann verschlug es sie über Italien nach Berlin und recht schnell in die Arme vom Elektromeister TM Schneider und ins Studio der Elektroakademiker Tarwater. So leben Hippiekinder, sagt das Klischee: ungebunden, angstfrei, globetrottig und romantisch. Was soll da nur für Musik rauskommen? Musik mit Heilserwartung -fürchtet man.
Sie erscheint zunächst folkige Mädchenmusik zu sein, Singer-Songwriter-Mucke, die gefühlig das Herz erwärmt. Gitarrenriffs, die immer ein bisschen quietschen, um der Sache mit der Authentizität gerecht zu werden. Mit einer zarten, weichen und wunderbar ausdrucksstarken Stimme erzählt Frau Electra uns Geschichten über den Alltag, die Natur, das Leben, die Gesellschaft. Und die Geschichten werden so unterschiedlich erzählt, wie die Charaktere unterschiedlich sind. Da gibt es einen Klavier-Dreivierteltakter, den die Musikerin mit 8 Jahren komponiert haben soll, einen „Calimba Song“ und eine lustige Countrynummer. Alles wunderschön abgemischt und mit schrägen, aber nicht verstörenden Electrobeats unterlegt, die zum Teil aus dem Rechner von TM Schneider stammen. Im Vordergrund steht aber immer die Stimme der Electra.
Solche Musik machen Hippiekinder, sagt das Klischee: Ausdrucksstark aber ohne Inhalt – fürchtet man.
Justine Electra Live 14.7.07 Melt Festival, Gräfenhainichen
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Aber nimmt man sich ein Herz und hört genauer hin, werden die Gitarrenriffs zu dem was sie sind: Loops, und es tauchen knarzende, dumpfe electrobeats auf, die die zartheit der stimme konterkarieren. Der zweite Track, der den zweideutigen Titel „Killalady“ trägt, kommt ganz artig daher. Die Stimme bezaubert, die satten Beats lassen ahnen, dass es so bezaubernd nicht ist mit dieser lady. „Two ways to kill a lady“, und da heißt es, der erste Weg wäre, ihr die Schuhe zu stehlen, während sie schläft oder ihr den Alkohol wegzunehmen. Erfolgversprechender und ernster ist wohl aber Electras Tipp gemeint, einer Frau die Phantasien und Träume zu stehlen. Dann stirbt sie einen langsamen Tod, die Lady. Die penetranten backvocals, die huhu und haha hauchen, tragen das ihrige zur Doppelbödigkeit dieses Songs bei.
Frau Electra ist keine Killalady wie vielleicht Frau Peaches, sie ist die Frau, die dich mit großen Augen von unten, wie Prinzessin Diana es wohl am besten konnte, ansieht, dir Verständnis entgegen bringt, leise sagt: „du bist so gut“ – und dir dabei ganz langsam eine Nadel in deinem Augenlid versenkt. Das ist gemein und das wollen wir sehen. Gemeine Hippiemädchen, dirty dianas. Dabei geht es nicht nur um den gemeinen Mann. Manchmal geht es auch um die gemeine Frau und manchmal sind es nur bestechend einfache Aussagen, die Fragen offen lassen: „sometimes you trie to solve somebodys dreams“.
Thematisch bleibt die Platte aber nicht im Privaten. In „President“ besingt Justine Electra im Westernstyle die Hoden des wohl mächtigsten Mannes der Welt: „1948: his balls were hard and his dick was long. 1998: his balls got blue … sorry son, your balls are dead.” Soviel zur Omnipotenz von George W. Bush. Leider ist diese Einschätzung nur eine Phantasie und geht an der politischen Realität vorbei, denn unter Ohnmacht oder politischer Impotenz leidet dieser Mann nicht. Insofern hält Justine Electra es doch eher mit der Phantasie, mit der Liebe und mit Träumen, allerdings mit der Zerstörung all derer. So ist in jedem Song immer auch eine Metaebene enthalten, welche das Abgleiten in Naivität unterbindet. Also: Doch nicht in die Hippiefalle getreten - Danke! - sondern raffiniert und liebevoll arrangiert.
So hält der Titel zwar, was er verspricht, aber man muß anerkennen: softrock geht! Der Titel dennoch nicht.