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Planningtorock: Have it All
Irgendwie opernhaft. Irgendwie Rock, irgendwie Hip-Hop und vor allem Electro. Oder Musical? Welch ein Konglomerat! Planningtorock heißt eigentlich Janine Rostron. Sie hat in England Konzertgeige studiert, landete in Berlin und machte sich mit ihren ungewöhnlichen Art-Videoperformances einen Namen. Jetzt macht sie auch wieder Musik.
Wenn Frau Rostron als Harlekin mit Spitzhut und einem aufgeschnallten Gehirn, barfuß auf einem Stuhl stehend, ihre one-woman-show präsentiert, ist das eine Performance, die wie selten eine nach vorne geht. Ob diese Dame noch alle Tassen im Schrank hat, ist eine Frage, die im Raume steht, aber auch gleich beantwortet wird. Keine Frage, Tassen alle da, dafür leidet sie vielleicht unter Aktivismus und Kreativität. Und wer hätte sie angesichts dieser Leiden besser unter seine Fittiche nehmen können als das Label „Chicks on Speed“? Folgerichtig ist dort ihre Platte „Have it all“ erschienen.
Wie in einem Musicalprolog heißt es zu Beginn der Platte: „We’re waiting for the PTR-Show, where is humour and darkness allowed“. Es folgen elf sehr unterschiedliche Lieder, die immer auch an die von Frau Rostron so bezeichnete „cheesyness“ der Oper erinnern. Ihre Stimme klingt mal rauchig, mal zart und manchmal ein wenig übergeschnappt. Mittels Notebook und Keyboard arrangiert Planningtorock Xylophone, Pizzicato-Geigen, Cello, Elektrobeats, Bässe und Gitarren. Wer Namen braucht: Die Platte klingt wie eine Zusammenkunft von Björk, Laurie Anderson, Kate Bush und Sandra und dazu noch viel Baß und Rock. Das ist in erster Linie interessant und im besten Sinne des Wortes verstörend. Nicht nur musikalisch befindet sich PTR’ im Dunstkreis der Berliner Kevin Blechdom, Mocky und Taylor Savvy. Wie diesen geht es ihr um Experimentierfreude und Kunst, ist aber nie schwer verdaulich, nie ohne Humor, Selbstreflexion oder ohne eine Metaebene. Pathos, Authentizität, Theatralik bleibt zum Glück immer nur Geste. So tragen die Tracks Titel wie „I wanna bite ya“ oder es wird die Frage aufgeworfen „what happens, when sex is not enough?“ und unschwer ist dahinter eine LowFi-Attitude auszumachen. Ein Berlinstück („Local Foreigner“) hätte es freilich nicht gebraucht.
Bei aller Freude über das Neuartige und gar nicht Abgehalfterte dieser Platte, gibt es da doch leider so ein kleines Quentchen Betrübnis, das sich dazu gesellt: Als Liveperformance potenziert sich der Spaß an dieser Musik um ein Vielfaches. Auf der Platte bleibt die angekündigte „PTR-Show“ nämlich aus. Keine Show, keine Oper, sondern Musik. So erscheint mir dieses Werk wie die Vertonung einer großen Oper. Der Aufführung wird die CD nicht gerecht. Frau Rostron auch nicht. Irgendwie opernhaft.
Peaches: Impeach My Bush
Impeachment: Anklage wegen Amtsvergehen, in der Verfassung der USA vorgesehenes Verfahren zur Amtsenthebung des Präsidenten sowie anderer Amtsträger.
Auch Merrill Nisker a.k.a. Peaches ist eine in Berlin aufgeschlagene Kanadierin und auch bei ihr spielt die Performance eine bedeutende Rolle. Auch Peaches ist eine Kunstfigur, eine Bühnenpersona, sie spielt mit Maskierungen und Accessoires, aktuell sichtbar auf dem Cover von „Impeach My Bush“: man sieht nur Peaches' Augen, der Rest verschwindet hinter einer Burka aus Pailletten. Doch Peaches führt kein Theaterstück und keine Oper auf, sondern gibt, wie sie selbst sagt, „500 % Energie“, um ihre Mission unters Volk zu bringen. Diese Mission besteht oberflächlich betrachtet aus purem Sex, aber Peaches geht es um weit mehr, sie ist kein verfügbares Playboy-Bunny. Sie predigt auch nicht wie Annie Sprinkle den mildtätigen Dienst am Mitmenschen (siehe Annies Konzept des „charity fuck“). Sie sucht, nein, sie fordert den Diskurs, denn Sex bedeutet Macht, und diese Macht soll endlich gerecht verteilt sein zwischen den girls und den boys.
Diesen Wunsch teilen offenbar sehr viele mit ihr, die Liste ihrer Bewunderer ist lang: ob Björk, Madonna, Louie Austen, Iggy Pop, Marilyn Manson und gar Karl Lagerfeld – alle wollen mit ihr auftreten, mit ihr singen, Videos mit ihr drehen beziehungsweise die eigene Credibility durch Peaches aufmöbeln.
Doch Peaches ist nicht nur ein skandalöser, origineller Performanceact, sie ist in erster Linie Musikerin, was oft übergangen wird. Noch in Kanada kommt sie mit Gonzalez, Sticky und Mocky zusammen, zu viert gründen sie The Shit, deren Sängerin und Gitarristin sie wird. Diese Band ist die Ursuppe für die unterschiedlichen Karrieren ihrer Mitglieder. The Shit liebten versaute Lyrics zu improvisiertem Noisepunk, fanden irgendwann, daß Berlin für ihre Kunst das ideale Pflaster sei und verließen die kanadische Heimat. Nachdem Peaches die Groovebox entdeckt, ist klar, wie es mit ihrem Soloprojekt weitergeht – das elektronische Tool verleiht ihr die größtmögliche Unabhängigkeit von einer Band, und Peaches emanzipiert sich mit „Fuck the Pain Away“, einem Elektrotrack mit sehr expliziten Lyrics. Die begeisterten Reaktionen zeigen, daß die Zeit reif war für Peaches – sie schlüpft in die berühmt gewordenen pinkfarbenen Shorts und fordert ihr Publikum zum fröhlichen tits-and-dicks-shaken auf.
Nach „The Teaches of Peaches“ und „Fatherfucker“ ist jetzt Peaches' drittes Album erschienen, das mit gewohnter Drastik in Text und Ausdruck aufwartet, musikalisch aber ambitionierter, abwechslungsreicher klingt als die Vorgänger. Das liegt zum einen am von ihr engagierten Produzenten Mickey Petrulia – Peaches war begeistert von seiner Arbeit mit dem Wavepopduo Electrocute (ihr Album „Troublesome Bubblegum“ erschien 2004) und wünschte sich einen ähnlich knackigen, harten, aber auch sexy Sound für ihre eigene Platte. Zum anderen ist schlicht und einfach ihr musikalisches Selbstbewußtsein gewachsen, der Peaches-Sound, der hauptsächlich aus ihren Les-Paul-Gibson-Riffs über reduzierten, aber satten Elektroklängen besteht, muß nicht mehr erklärt werden. Man erkennt sie sofort. Auch für diese Platte hat sich Frau Nisker jede Menge Kollaborateure gesucht und diese – siehe oben – sagten gerne zu: Riot-Grrl-Ikone Joan Jett ist dabei, Leslie Feist, Josh Homme von Queens of the Stone Age, Beth Ditto von The Gossip und Samantha Maloney, die bereits bei Hole und Mötley Crüe (!) spielte. Denn das Konzept Peaches ist kein geschlossenes System, sondern der einzige Swingerclub, dem man bedenkenlos beitreten kann.
Die meisten Tracks bestehen aus High-Energy-Elektropunk mit Hang zur Rock-Persiflage, der die Plattform bildet für ihre schweinischen und doppeldeutigen Wortspiele (siehe Albumtitel).
Peaches hält ihr Publikum in einem prä-orgasmischen, nichtendenwollenden Vorspielstadium und läßt so tatsächlich ihre Macht spüren: irgendwann bettelt man nur noch um Gnade. Sehr schön und im Verhältnis beinahe lieblich klingt die Singleauskopplung „Downtown“, den eingängigsten Refrain featuret „Slippery Dick“ („slippery dick, it's just a fish in the atlantic“) und natürlich liegt der CD ein Textblatt bei, damit man die wichtigsten Parts nochmal nachlesen und mitsingen kann.
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