David Eugene Edwards Foto: Anders Jensen-Urstad |
Jens Balzer hat vor kurzem anlässlich der beiden Berliner Current 93-Konzerte in David Tibets Kollektiv die „Urhorde des neuen Folk“ erblickt. Und wir stimmen ihm gerne zu, wenn er in diesem Zusammenhang vom ersten Underground seit Punk spricht. Aus Denver, Colorado, kommt jetzt Verstärkung in Gestalt eines anderen Suchenden. Der sich, um gleich ein Missverständnis auszuräumen, nicht als Prediger verstanden wissen will. Die Rede ist von David Eugene Edwards, 38 Jahre alt, Sänger, Songschreiber, Multiinstrumentalist – und gläubiger Christ. Streng gläubig, wie er selber betont: „Ich bin keiner von denen, die da sagen: ’Finde deinen eigenen Weg, Jesus hat eine Menge kluger Dinge gesagt, aber Buddha ist auch ein guter Lehrer, blah, blah, blah’. Nein, ich glaube allein, was die Bibel sagt. Es gibt nur den einen Gott, und nur den einen Weg zu ihm: Jesus Christus. Alles andere ist Täuschung.“
Worte, die erstmal sitzen – Zeit für eine Spurensuche. 1968 (!) wird Edwards in Colorado geboren. Einen Großteil der Kindheit verbringt er bei seinem Großvater. Der ist Wanderprediger der Church Of Nazarene. Edwards’ früheste Erinnerungen speisen sich aus permanenten Umzügen und dem Regelwerk der Nazarener: Für Frauen sind Hosen und Make-up tabu. Kein Kino, kein Kartenspiel, von Alkohol ganz zu schweigen. Und auch kein Radio, keine Schallplatten. Bis das siebenjährige Kind die Musik erlebt. In der Kirche, wo der Großvater einen Chor einfacher Leute dirigiert, begleitet von einem Pianisten. Edwards ist überwältigt und singt mit. Dass Johnny Cashs Gospelinterpretationen den Grundstock seiner Plattensammlung bilden werden, sollte nicht verblüffen. Bald kommen Bob Dylan und Woody Guthrie hinzu. Was der Großvater dazu gesagt hat, muss Vermutung bleiben. Gesichert ist, dass Edwards’ Eltern die Nazarener verlassen und sich den weniger rigorosen Baptisten zugewandt haben. Der Sohn entdeckt Joy Division und The Gun Club; Ian Curtis und Jeffrey Lee Pierce werden ihm Geistesverwandte der Schuld und Erlösung besingenden Gospelsänger. Er entscheidet für sich, seinen Glauben auch individuell leben zu können. Die Prophezeiung des Großvaters, der Enkel werde in der ewigen Verdammnis landen, folgt auf dem Fuß. Wir dürfen annehmen, dass diese Aussicht Edwards nicht verschreckt hat. Seine erste Band, 1982 gegründet, spielt Punk und hört auf den seltsamen Namen Restless Middle Class. In der zweiten Hälfte des Jahrzehnts wird es Edwards ernst mit dem anderen Leben – mit Bekannten spielt er bei Bloodflower. Sie ziehen nach Revere, einem Vorort Bostons. Und gründen, so heißt es, eine Kommune. Eine Zeit des Ausbrechens und Experimentierens; dokumentiert auf frühen Kassetten und Singles. Aus Bloodflower werden die Denver Gentlemen – und circa 1989 lernt Edwards Jean-Yves Tola, seines Zeichens klassischer Flötist und Jazzschlagzeuger, und den Bassisten Pascal Humbert kennen.
David Eugene Edwards Foto: Anders Jensen-Urstad |
Sie eint das Interesse an Folk Music als der eigentlichen Geschichtsschreibung Amerikas. In einem Interview mit Max Dax bringt Edwards ihren Ansatz auf den Punkt: „Die Mythen des Landes sind in den Liedern. Die Lücken in den Geschichtsbüchern sind in den Liedern – unsere Erinnerung ist in dieser Musik konserviert. Diese Lieder, aber auch die Geschichten, die mir meine Eltern erzählten, die Bibel und die Bücher, die ich lese, sind das Fundament meiner Vorstellung von Amerika.“ Die Band dazu nennen sie ab 1992 16 Horsepower. Namensgeber ist ein altes Traditional. Es erzählt von einem Mann, der seine verstorbene Frau zum Friedhof fährt. Auf einem Karren, gezogen von 16 Pferden – der würdigste Abschied, den er ihr geben kann. Edwards, Tola, Humbert und ihre Gastmusiker führen in den neunziger Jahren fort, was Jeffrey Lee Pierce und sein Gun Club begonnen hatten: Rootsmusik – Gospel, Country, Blues und Jazz – nicht als Museumsveranstaltung, sondern mit der Dringlichkeit und Direktheit der späten Siebziger gespielt. Auf sechs Alben, darunter ihrem Meisterwerk Folklore (2002), und zwei DVDs kann nachgehört und verfolgt werden, wie 16 Horsepower mit einem wahren Arsenal altertümlicher Saiteninstrumente, an Bandoneon, Banjo, Akustik- und Elektrobass wie Perkussion, das American Songbook entrümpeln. Beziehungsweise sich selbst darin einschreiben und musikalische Entdeckungsreisen nach Ungarn und Tuva unternehmen. Bis dann 2005 „politische und spirituelle Differenzen“ eine Weiterarbeit verkomplizieren und die drei vorerst getrennte Wege gehen.
Bereits vor dem sicherlich nicht leichten Entschluss hatten Tola und Humbert mit ihrem eigenen Duo Lilium und Gaststars das zauberhafte Short Stories (2003) eingespielt; Edwards unter dem Namen Woven Hand veröffentlicht. Und für das belgische Tanztheater Ultima Vez die Musik für eine Neubearbeitung der Orpheus-Sage geschrieben. Als Woven Hand hat er dieser Tage auch sein neuestes Album vorgelegt. Mosaic ist es betitelt und hält, was der Titel verspricht. Opulent instrumentiert, Gitarren, Bass, Schlagwerk, Chöre, Klavier, Orgel und Streicher werden aufgeboten, ist Edwards seinen Interessen und Themen treu geblieben. Auf Twig vertont er einen Text des Mailänder Kirchenvaters (und Reformators der altkirchlichen Musik) Ambrosius, Swedish Purse ist einer mittelalterlichen Melodie entlehnt, bevor Edwards auf Slota Prow in einer selbst erfundenen Sprache aus indianischen, finnischen und russischen Idiomen beweist, dass es der Sprechrhythmus, nicht unbedingt der Text ist, der eine Beschwörung funktionieren lässt. Seine Methode erklärt er mit einem Rückgriff auf die Flämischen Primitiven des 15. Jahrhunderts: „Ich liebe Dirk Bouts und Hieronymus Bosch. In einer sehr eigenen, grotesken Sprache haben sie von der Bibel erzählt und auf das Grausame und Hässliche ihrer Welt reagiert. Ihr Realismus liegt in der Überhöhung. Die Betrachter müssen verstört gewesen sein, was ich keinesfalls negativ sehe. Ähnliches versuche ich mit meiner Musik.“ . Dabei ist Edwards beileibe kein entrückter Mystiker. In Denver hat er Frau und Kinder. Und eine öffentliche Bibliothek, die ihn mit alten amerikanischen Field Recordings, mongolischen Klängen, südosteuropäischer Folklore und Renaissancemusik versorgt. Er selber möchte sich als Handwerker mit Sinn für dauerhafte Qualität verstanden wissen. Seine Platten nimmt er bei Robert Ferbrache auf – dessen Klangschmiede heißt Absinthe Studio. Wer richtet es aus, das längst überfällige Abendessen für David Eugene Edwards und David Tibet?
Woven Hand On Tour:
18.07. Oldenburg – Kultursommer 19.07. Hamburg – Fabrik 20.07. Berlin – Passionskirche 21.07. Hannover – Café Glocksee 22.07. A-Ebensee – Gmunder Festwochen, Kino
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Sag’ mir, was du hörst, und ich sage dir, wer du bist – das Rätsel David Eugene Edwards wird wohl nie ganz gelöst werden. Aber den Kollegen von
Schallplattenmann.de hat er vor Jahren seine Inselplatten verraten: „
Diese Alben sind selber ein Teil von mir. Musik, mit der ich lange Jahre gelebt habe und gewachsen bin. Das ist es – ohne eine bewusste Reihenfolge“.
- Joy Division: Closer (1980)
- Smog: Dongs Of Sevotion (2000)
- Crime & The City Solution: Paradise Discotheque (1990)
- Arvo Pärt: Te Deum (1984)
- Nick Cave & The Bad Seeds: From Her To Eternity (1984)
- Bob Dylan: Slow Train Coming (1979)
- Einstürzende Neubauten: Silence Is Sexy (2000)
- Leonard Cohen: Songs Of Leonard Cohen (1968)
- U2: October (1981)
- Appalachian Music, many different mountain recordings