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August 2006
Hartmuth Malorny
für satt.org


Johnny Cash: American Recordings V - A Hundred Highways
Mercury, Universal 2006

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Johnny Cash: Cash - Die Autobiographie
(Mit Patrick Carr)
Palmyra Verlag 1999

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Johnny Cash:
A Hundred Highways

Johnny Cash starb am 12.09.2003 im Baptist Hospital/ Nashville an den Folgen eines Diabetes-Leidens. Nun, fast drei Jahre danach, folgt der würdige Abschluss dieser epochalen, wenngleich mit einer Schwankungsbreite versehenen “American-Recordings“-Reihe.

„A Hundred Highways“ heißt die CD. Alle Songs wurden in der kurzen Zeit zwischen dem Tod seiner Ehefrau June Carter und seinem eigenen aufgenommen, was sich in der dunkel-düsteren Stimmung des Albums widerspiegelt. Diesmal unterstützten formidable Studiomusiker den Sound: Mike Campbell, der schon Tom Petty zur Seite stand; Smokey Hormel, ein Gitarrist aus der Riege des Punk-Sängers Joe Strummer; Matt Sweeney, bekannt von Bands wie Chavez und Zwan, der lange Zeit mit Will Oldham als Tourmusiker unterwegs war; Benmont Tench, ebenfalls Weggefährte Tom Pettys, dazu Jonny Polonsky, dessen 1996 erschienene CD den sinnigen Titel trägt: „Hi I am Johnny Polonsky“; sowie Randy Scruggs und Pat McLaughlin.


Songliste:
  • Help me - Larry Gatlin
  • God`s gonna cut you down – Traditional
  • Like the 309 – Johnny Cash
  • If you could read my mind – Gordon Lightfoot
  • Further on the road – Bruce Springsteen
  • On the evening train – Hank Williams
  • I came to believe – Johnny Cash
  • Love`s been good to me – Rod McKuen
  • A legend in my time – Don Gibson
  • Rose of my heart – Hugh Moffatt
  • Four strong winds – Ian Tyson
  • I`m free from the chain gang now –
    Lou Herscher and Saul Klein

Johnny Cash, der 71-jährige Countrybarde wird immer dann in einem Rollstuhl ins Studio geschoben, sobald er sich fähig fühlt, er braucht mittlerweile ein spezielles Gerät, um überhaupt noch lesen zu können, und nach einer Telefonkette folgt der Tross der auserwählten Musiker. Die spür- und hörbare Veränderung seiner Stimme, eine dem Tod geweihte Stimme, lässt das Gefühl aufkommen, daß dort ein Mann vor dem Mikro sitzt, der bis zum Schluss nichts anderes machen will, was er ein Leben lang getan hat: Singen.

Herausgekommen ist ein Album, das hauptsächlich Coversongs enthält, sowie zwei von ihm selbst geschriebene Lieder: „I come to believe“ und die allerletzten Worte dieses Mannes: „Like the 309“

1986 feuerte CBS Johnny Cash nach einer 28-jährigen Zusammenarbeit, weil sie ihn für ein totgerittenes Pferd hielten. Also ging er auf Tournee, gründete die All-Star-Band „Highwaymen“, spielte in Filmen mit, floppte bei Mercury/Polygram-Records, weil auch sie nur den kommerziellen Erfolg wollten, und blieb zeitlebens widersprüchlich: “Wenn ich heute dieses sage und morgen jenes, bedeutet es doch nur, dass ich mich entwickle, und es wäre schlimm, wenn ich mich nicht entwickeln würde.“

Bis 1993 stand Johnny Cash ohne Plattenvertrag da, dann sprach ihn ein langhaariger, bärtiger Typ an, 30 Jahre alt, bei dessen Geburt 1963 Cash gerade zwischen Erfolg und Drogenexzessen schwebte und sich mit dem Song “Ring of fire“, sogar in die deutschen Charts katapultierte. Es war kein geringerer als Rick Rubin, der vorher die Beastie Boys, Slayer, Masters of Reality und Red Hot Chili Peppers produziert hatte, er fand Gefallen an dem Mann, der Gospel, Rock&Roll, Country sang, und auch Underdogs, Hobos und Gefangene mit seinen Texten und Konzerten begeisterte, nebenbei geradlinig auf die amerikanische Geschichte hinweisende Konzeptalben herausbrachte, und an diesem Mix wollten sich andere Produzenten nicht die Finger verbrennen, zumal Cash in einem Interview gesagt hatte: „Ich trage immer noch schwarz, und es hat noch eine Bedeutung für mich. Es ist immer noch ein Symbol der Rebellion gegen den Stillstand und die Verlogenheit, gegen Leute, die sich fremden Ideen gegenüber verschließen.“

Rubin, selbst störrischer Rebell, gründete schon 1986 sein eigenes Label, Def-American, welches er später, nach der Trennung seines Partners, in American-Recordings umbenannte. Das war der Beginn einer konstruktiven Zusammenarbeit, wie sie Johnny Cash höchstens bei Sam Phillips, Jack Clement und Bob Johnston erlebt hatte. Die beiden lernten sich in Los Angeles kennen und redeten lange über ihre Vorstellungen. Rubin: “Als ich ihn endlich überzeugen konnte, trafen wir uns regelmäßig in meinem Wohnzimmer und nahmen Hunderte Songs auf.“ Cash und Gitarre, ein Unplugged-Album, American 1 oder einfach nur Cash, und die erste Rick Rubin Produktion führte zu einem grandiosen Comeback; plötzlich interessierte sich die Jugend für ihn, MTV strahlt das Video „Delia`s gone“ aus, das die Gegner der Gewaltverherrlichung auf den Plan rief, und die Presse war quer durch die Szene begeistert. Welcome back, Johnny Cash!

Es folgte ein neun Jahre dauerndes Schaffen: 1996 die zweite Produktion „Unchained“, die 1998 den Grammy für die beste Countryplatte des Jahres erhielt, und Cash und Rubin bedankten sich beim Nashville-Establisment in einer ganzseitigen Anzeige mit dem längst legendären Photo aus den Sechziger Jahren: emporgestreckter Mittelfinger, fuck off. Oktober 2000 dann der dritte Schlag: American 3 – Solitary man – das die erfolgreichste CD dieser Trilogie wurde.

Doch der große alte Mann kämpfte nicht nur gegen das Establishment, er kämpfte auch gegen das Leben: schwere Lungenentzündung, Bronchitis, Diabetes, aber er rappelte sich hoch, obwohl seine öffentlichen Auftritte immer seltener wurden. Zwischen Krankenhausaufenthalten und Studiobesuchen sang sich Cash sechs Monate die Seele aus dem Leib, American 4 war schon fast der Abschluss, abermals ein Mix aus Cash- und Coversongs – 2002 erschienen – plus dem Video „Hurt“, das der kranke Mann mit Trent Reznors Drogenballade ablieferte: Ein knapper Zusammenschnitt der fast 50-jährigen Karriere, ungeschminkt, porentief und retrospektiv. Abermals MTV-tauglich.

Rick Rubin ließ ihn ohne Wenn und Aber gewähren, Gospel, O.K., traditionelle Songs, kein Problem, Coversongs, gerne. Er füllte Kartons mit Tapes, Songs jeglicher Couleur.

Die „Unearthed-Box“ (5 CDs aus dem mannigfaltigen Repertoire), Anfang 2003 erschienen, war das vorläufige Resultat einer beispiellosen „Zwangsarbeit“. Johnny Cash wusste, dass der Tod um ihn herum schlich und bat Rubin, das Quintum, also American 5, zu vollenden. Doch wie unerwartet es gehen kann, so plötzlich kam es, seine Frau June Carter Cash, zuerst Geliebte, dann seit 1968 Ehefrau und „anchor in life`s stormy sea“ starb an den Folgen einer Herzoperation am 15. Mai 2003. Ihrem Mann blieben noch vier Monate.

Rubin: „Während dieser Zeit telefonierten wir täglich, manchmal war seine Stimme schwach und er hatte Mühe richtig Luft zu holen, eines anderen Tages klang er voller Kraft, und unsere Gespräche endeten immer gleich:

„I love you John.“
„I love you Rick.“

Die Zeit drängte, Junes Tod traf ihn innerlich, äußerlich war diese fulminante Legende bereits ein Wrack, und man machte, was man überhaupt tun konnte, was übrig blieb: Die allerletzte CD. Produzent Rubin bezeichnet das Album als "Cash's final statement", und es ist es wohl auch; ein melodischer Hilferuf in Larry Gatlins „Help me“; die Lyrik und Musik des P-D-Songs: „God`s gonna cut you down“ - hammerhart zu nennen, ein gestampfter Rhythmus: „ … you can run on for a long time ( …) sooner or later I gonna cut you down …“

Und wer kennt nicht Gordon Lightfoots „If you could read my mind“, das 1970 den Durchbruch des australischen Outlaw-Sängers bedeutete, und es sind Zeilen, die Johnny Cash ohnegleichen selbst hätte schreiben können, weil sie zur Metapher dessen geworden sind, was ihn seit Beginn seiner Karriere begleitet hat: „Heros often fail“ und das Ende schlechthin: „I just can`t get it back.“

“Love`s been good to me“, Rod McKuen`s Ballade, noch mit sentimental-weicher Stimme interpretiert, wo man glauben könnte, dass er sich lediglich vom Publikum eines seiner zig-tausenden Konzerten verabschiedet, um wieder über hundert Autobahnen zu düsen, und man hat den Man in Black vor Augen, geworfene Kusshand nach hinten, der lächelnd die Gitarre zum Rücken wendet, die wie ein verlorenes Anhängsel wirkt.

“Like the 309“ zeigt Johnny Cash als genialen Songwriter bis kurz vor seinem Tod, abgemagert, verzehrt, das Studio der einzig verbleibende Halt vor Schmerz und Trauer, und seine Worte an die Welt, die er bald darauf verlassen wird, klingen so: „It should be a while before I see Dr. Death, so it would be nice if I could get my breath.“

American 5 konserviert das authentische Bild eines großartigen Künstlers, eines Mannes, der sich nicht verbiegen ließ, und daß er dem Tod längst sehr nahe war, hört man der Stimme an. Diese Aufnahmen sind eine Erinnerung daran, wie das Leben eben ist – am Ende stirbt man immer. Trost mag ihm seine tiefe Gläubigkeit gegeben haben:

“Herr, lass mich noch ein Weilchen pflücken
Bevor ich meine Baumwolle wiegen lasse
Lass mich noch ein wenig um deinen Schemel streifen
Bis der letzte Song gespielt ist.“
(Aus: Cash, die Autobiographie)