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August 2006
Christina Mohr
für satt.org


Silke Leicher, Manuel Schreiner (Hrsg.): Skizzenbuch / Unterwegs
Rockbuch Verlag 2006

Cover

100 Originale von Musikern der Indieszene
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Skizzenbuch / Unterwegs
100 Originale von Musikern der Indieszene

Im Rockbuch-Verlag ist gerade ein regelrechtes Kleinod erschienen: Silke Leicher und Manuel Schreiner haben hundert Musikern der Indieszene Papier und Stifte in die Hand gedrückt und sie um Zeichnungen gebeten – das etwas andere Interview also. Die Ergebnisse sind nun im Skizzenbuch. Unterwegs zu bestaunen: We Are Scientists zum Beispiel haben ein Zimmer voller Katzen gezeichnet, die Zeichnung klärt ganz nebenbei die Herkunft der Miezen auf dem WAS-Plattencover auf! Brian Viglione von den Dresden Dolls hat sein altes Zuhause zu Papier gebracht, Conor Deasy von den Thrills verarbeitet in seiner Zeichnung ein schockierendes Erlebnis, das er einst mit einem japanischen Fan hatte und überhaupt liest sich das Inhaltsverzeichnis des Skizzenbuchs wie ein „Who's Who“ der alternativen Popszene – von Franz Ferdinand über Eskobar, von Interpol über Moneybrother und Art Brut sind so ziemlich alle relevanten Bands und Künstler versammelt, die in den letzten Monaten und Jahren für Begeisterung in der Gemeinde gesorgt haben. Clou des Buches ist die liebevolle Aufmachung: im längsformatigen Moleskine-Stil mit Gummiband ist das Skizzenbuch ein ideales Geschenk für Musiclover, deren Interesse über die reine Tonkunst hinausgeht. Silke Leicher war so freundlich, satt.org einige Fragen zum Buch zu beantworten:

Wie sieht Euer Background aus? Wie seid Ihr auf die Idee für dieses Projekt gekommen? Schreibt Ihr für Musikmagazine?

Manuel und ich saßen eines schönes Sonntags in einem Café, redeten über Gott und die Welt und rätselten u.a. darüber, wie es sich für Musiker anfühlen muss ständig unterwegs und ständig an anderen Orten zu sein. Welche Plätze und Orte bleiben bei dem ständigen Touren in Erinnerung, welche Geschichten gibt es dazu zu erzählen? In Interviews war darüber bislang kaum etwas zu lesen, wir wollen mehr darüber wissen und begannen zu forschen - die Idee war geboren. Manuel arbeitet als Musikjournalist, ich studiere Kunstwissenschaften. Uns beide verbindet die Liebe zur Musik der Indie-Alternative-Szene.

Welche sind Eure Lieblingsbilder aus dem Buch?

Einige unserer Favouriten sind:
Brendan Benson malte Amsterdam bei Nacht bzw. das düster- bizarre Rotlichtviertel der Stadt, welches auf ihn als Amerikaner einen bleibenden Eindruck hinterließ. Die mysteriöse Atmosphäre ist in dem Bild regelrecht spürbar.
Pete Doherty berichtet in seinem Bild die wirre Geschichte seines Aufenthalts in Moskau im Rahmen eines Kulturaustauschprogramms. Es erzählt von seinen merkwürdigen Erlebnissen im Moskauer Untergrund und in den Slums, von der Begegnung mit einer Prostituierten, die ihn an einem mysteriösen Ort fesselte, der er aber entfliehen konnte … Das Bild beschreibt diese merkwürdige und äußerst unheimliche Geschichte besser, als Worte es könnten.

Ihr schreibt, daß die Musiker alle sehr positiv auf Euer Ansinnen reagiert haben - glaubt Ihr, daß es Künstlern/Musikern generell leichter fällt, sich bildnerisch zu äußern statt verbal? Oder habt Ihr einfach die "Richtigen" getroffen? Und glaubt Ihr, daß die Bilder Dinge offenbaren, die die Künstler nicht aussprechen würden?

Wir haben die Musiker tatsächlich nicht nach ihrem geschätzten „Maltalent“ ausgesucht, sondern einfach die Musiker für unser Projekt auserkoren, die wir in Interviews bereits als sehr interessant erlebt hatten, die etwas zu erzählen hatten. Von einigen Musikern wussten wir, dass sie (wie Franz Ferdinand oder Fran Healy) ein paar Semester an einer Kunstochschule studiert hatten. Jedoch waren wir überrascht, wie viele Musiker in ihrer Freizeit zeichnen, einige zeigten uns ihr Skizzenbuch und wir waren beeindruckt.
Musiker nehmen als Künstler ihre Umwelt oft intensiver wahr als der durchschnittliche Bürger und verarbeiten das Erlebte und Gesehene auf kreative Art und Weise. Dabei liegen Bilder, die in der Erinnerung gespeichert wurden, oft näher als Worte. Ein Ort, an den man sich erinnert, kann selten mit Worten so genau beschrieben werden, dass sich der Gesprächspartner ein reales Bild machen kann beziehungsweise den Ort mit den Augen des Erzählers sehen kann. Ein Bild kann sehr viel mehr „sagen“ als Worte dies können.

Die meisten Künstler begannen nach einer kurzen Einleitung unsererseits spontan mit dem Malen und Zeichnen. Ohne großes Überlegen griff Noel Gallagher so nach einem Brotkorb und verwendete ihn als Schablone für seinen Ibiza-Smiley, Guy Berryman (Coldplay) erinnerte sich an ein Kindheitserlebnis im Centre Pompidou etcetera. Alle waren überrascht, welche Bilder von Orten und damit verbundenen Geschichten ohne großes Nachdenken spontan in ihren Kopf kamen.
So erfuhren wir in der Tat sehr persönliche Geschichten, die die Musiker in einem gewöhnlichen Interview so nie erzählt hätten. Grant Nicholas von Feeder betonte dies ausdrücklich, als er uns die Geschichte um eine Godzilla-Figur erzählte, die den Selbstmord des Feeder-Drummers noch einmal aufgreift. Sein Bild handelt von den letzten Momenten, die er mit seinem Drummer in Japan verbrachte. Eine sehr bewegende Geschichte, die er so in keinem Interview erwähnte und auch nicht mehr aufrollen wird.

Welche Musiker fehlen, beziehungsweise mit welchen kam kein Kontakt zustande?

Insgesamt waren alle Musiker von der Idee begeistert und oft entstanden mehr Bilder als erwartet, da plötzlich alle Bandmitglieder nach Stiften und Papier fragten. Auch Brian Molko war von unserer Idee äußerst angetan, war jedoch von seinen eigenen Malkünsten weniger überzeugt und hatte Angst, sich hinsichtlich seines künstlerischen Talents zu blamieren … wofür wir natürlich vollstes Verständnis hatten.

Der Buchtitel Unterwegs verweist auf On the Road/Unterwegs von Jack Kerouac - wollt Ihr eine Brücke zwischen Beatliteratur und Popmusik bauen?

Wir haben uns sehr viele Gedanken über den Titel des Buches gemacht. Dass es auf On the Road von Jack Kerouac anspielt, war uns jedoch weniger bewusst. Unsere Idee war, Skizzen, die unterwegs auf Tour entstanden, entsprechend zu verpacken. Heraus kam ein Moleskine-Skizzenbuch … der Titel bringt Idee und Inhalt des Buches treffend auf den Punkt.

Da der Hauptteil des Buches ja die Bilder sind, könnt Ihr wohl keine Lesereise machen - wie werdet Ihr das Buch vorstellen? Oder funktioniert alles über die Presse?

Wir planen, eine Auswahl der Bilder in verschiedenen Cafés, Bars und Clubs auszustellen. Den Anfang wird das Nachtleben in Frankfurt machen. Anfang September (am 1. Samstag des Monats) werden wir dort im Rahmen des Indie-Abends „Britpop strikes Again“ eine kleine Vernissage organisieren und die Bilder erstmals im Original präsentieren.

Könnt Ihr Euch weitere Ausgaben des Skizzenbuchs vorstellen?

Ja, weitere Ausgaben sind in Planung!