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September 2006
Robert Mießner
für satt.org


Billy Childish:
The Messerschmitt Pilot's Severed Hand / Die abgetrennte Hand des Messerschmitt-Piloten


Aquarium
Falckensteinstraße 35
10997 Berlin-Kreuzberg

Noch bis zum 30. September zeigt die Berliner Dependance der Galerie Aquarium einen auf einer Episode aus Childishs viertem, noch zu erscheinenden Roman The Idiocy of Ideas (Die Idiotie der Ideen) basierenden Bilderzyklus.

Öffnungszeiten:
Donnerstags bis Sonntags, 12-20 Uhr

Gemälde, Zeichnungen, Drucke, Bücher und Platten sind erhältlich.
» billychildish.com

Geringer als alle,
trotzdem überlegen

Billy Childish
in der Galerie Aquarium, Berlin

Billy Childish

Billy Childish

Jemand unter euch, der noch Karriereberatung braucht? Als Billy Childish 10 Jahre alt ist, liest ihm seine Mutter Van Goghs Briefe vor. Das Kind ist angesteckt: „Mache ich später auch, das. Malen und von meinem Bruder leben.“ Dass der keineswegs vorhaben dürfte, einmal als Sponsor aufzutreten, gibt die Mutter zu bedenken. Ihr Sohn: „Dann eben die Stütze. Dann gehe ich stempeln.“ Er wird Wort halten. Seit den späten siebziger Jahren hat Billy Childish, geboren 1959 als Steven John Hamper in Chatham, Kent an die 1.200 Bilder gemalt und über 50 Bücher und 120 Schallplatten veröffentlicht. Dabei die gesamten Achtziger am ausgestreckten staatlichen Arm überlebend. Der Billy Childish des Jahres 2006 kann endlich von seiner Kunst leben. Zum freundlichen Mann freundlicher Bücher ist er dennoch nicht geworden. Eine Einladung, an Celebrity Big Brother teilzunehmen, hat er dankend abgelehnt. Postmoderne Ironie ist ihm fremd, Lachen nicht. Weder malt er für die Vorzimmer, noch bildet er sich ein, alles bereits gesehen zu haben. Childishs Werk ist unübersehbar autobiographisch geprägt und auf eine altmodische Art ehrlich. Es soll „eine gemeinsame Form individueller Erfahrung und eine individuelle Form einer gemeinsamen Erfahrung verfügbar“ machen.

Individuelle Erfahrung: Im Elternhaus wird kaum den ganzen Tag Van Goghs Biographie studiert. Wo er von Kindheit spricht, ist oft die Rede von elterlichen Abwesenheiten und Neurosen, von einer chaotischen bis traumatischen Schulzeit und dem früh eingepflanzten Bewusstsein, das Tor zu Sicherheit und Erfolg werde verschlossen bleiben. Ein Wissen, das mit Stolz einhergeht: „Wir, die ganzen Kinder in der Walderslade Schule, reden bereits wie ein Haufen Hafenarbeiter. Was ganz praktisch ist, weil genau da unsere Zukunft liegt, im Hafen oder beim Arbeitsamt. Ich betrachte mich als geringer als alle anderen, trotzdem irgendwie überlegen.“ Bald bieten Musik und Malerei eine Gegenwelt. Childish erinnert sich, mit 11 oder 12 Jahren an seinem ersten Ölgemälde gesessen zu haben. Die Kindheitsspiele sind weniger kontemplativ: Gemeinsam mit Schulkameraden bastelt er Bomben und Gewehre. Wer in den Wäldern um Chatham bauen will, hat in den Heranwachsenden keine Freunde. Später wird Childish Ökologie und Nullwachstum propagieren. Bis er mit 16 von der Schule abgeht, bemerkt niemand, dass er Legastheniker ist. Der erste Versuch, einen anerkannten Beruf zu lernen, wird auch der letzte bleiben. Der angehende Steinmetz bringt 6 Monate in den Chathamer Docks hinter sich. In diesem halben Jahr entstehen 600 Gemälde, die ihrem Maler den Zutritt zur Londoner St. Martin’s School of Art verschaffen. Hochschule und Student finden freilich keinen Gefallen aneinander, und Childish kehrt zurück in seine Heimatstadt, wo er bis zum heutigen Tag lebt und arbeitet.

Billy Childish

Billy and Tramp

Gemeinsame Form: Childish würde die rechte Augenbraue heben, bezeichnete man ihn als Multimedia-Künstler. Nur, er ist es wirklich in des Begriffes bereinigter Bedeutung. Die doppelte Klammer seiner Gemälde, Holzschnitte, Gedichtbände, Romane, Platten und Lesungen sind unbedingter Ausdruck und Einfachheit, die nicht mit Leichtigkeit verwechselt werden sollte. Gegenüber Richard Marshall, Londoner Mitherausgeber des 3:AM Magazine, hat er sein Konzept erläutert: „Die künstlerische Orthodoxie wird nicht zugeben, dass Liebhaberkunst besser ist als professionelle, dass ein Amateur eventuell besser malen kann als ein Fachmann. Unsere Kunstszene ist elitär und lächerlich zugleich geworden. Was an sich keine großartige Entdeckung ist. Ich bin gelegentlich etwas naiv, und es sind die einfachen Dinge, die mich immer wieder überraschen.“ Einer der Fetische moderner Kunst ist Originalität. Ein Begriff, zu dem Childish ein gespaltenes Verhältnis hat: „Wer originell sein will, muss erstmal aufhören, krampfhaft ein Original sein zu wollen. Das fette, aufgeblasene Ego aufgeben. Originalität wird erst möglich, wo zuvor Authenzität ist.

Üben und Lernen, betont er, sind die Schlüssel. Noch 2004 gestaltet Childish eine Hommage an Vincent van Gogh, in der er Motive wie Sonnenblumen oder Die Kirche von Auvers aufgreift, neu interpretiert und bewusst Bilder mit der Handschrift seines Kindheitshelden malt: „Ich fühle mich überhaupt nicht versucht, clever und witzig sein zu wollen. Heimisch fühle ich mich bei den toten Helden der Vergangenheit, die auch das Privileg hatten, Idioten genannt zu werden.“ Gerne verweist er auf Edvard Munch, Karl Schmidt-Rotluff, Max Beckmann und die japanischen Druckgrafiker Katsushika Hokusai und Ando Hiroshige, so im Gründungsmanifest des Stuckismus. Ende der Neunziger von ihm und Charles Thomson ins Leben gerufen, um einer gleichzeitig realistischen und spirituellen Kunst den Weg zu ebnen. Unfreiwillige Titelgeberin war Tracey Emin, lange Jahre mit Childish liiert und mittlerweile hochdotierte, 1999 für den renommierten Turner-Preis vorgeschlagene Konzeptkünstlerin. Ihr Exfreund wird anregen, der Auszeichnung eine neue Namenspatronin zu geben: Margaret Thatcher. Emins Vorwurf, er sei mit seiner Malerei stecken geblieben („You are stuck“), dürfte er als Kompliment gesehen haben.

Billy Childish

Billy & Sheila

Der Rückgriff auf die klassische Moderne, die sich noch nicht selbst überwunden glaubte, auch in seinen Büchern: Childish hat, zusammen mit Kyra DeConinck, Louis-Ferdinand Célines Kanonenfutter ins Englische übertragen. Gefragt nach den bleibenden Leseerlebnissen seiner Jugend, nennt er Fjodor Dostojewski, Knut Hamsun, Walt Whitman und Charles Bukowski. An ihnen geschult, berichtet er seit seinem Debüt Back On Red Lite rd (1981) von dem, was das Leben zu bieten hat: Liebe, Sex, Freundschaft, Rausch, Eingebung (künstlerisch und göttlich). Im selben hastigen Atemzug: Armut, Einsamkeit, Gewalt, Krieg und Tod. Die Orthographie pfeift auf das Schulenglisch. Bereits die Titel geben den Ton vor: 10 No Good Poems of Slavery, Buggery, Boredom and Disrespect (1983), Monks Without God (1986) und Days with a Hart Like a Dog (1994). Eine Auswahl der im eigenen Hangman Verlag erschienen Gedichte hört auf den Namen The Man with Gallows Eyes - Selected Poetry 1980-2005 (2005). In Übersetzungen liegen, wenn auch nur antiquarisch erhältlich, vor: Notebooks of a Naked Youth (1997, 1999 dt. von Conny Lösch: Junger Mann ohne Kleider) und, mit viel Glück, An English Man in Hamburg (1991, dt.: Ein Engländer in Hamburg). Bei aller schöpferischen Fantasie ist Childish, nicht von ungefähr bewandert in Buddhismus und Yoga, ein genauer Beobachter und prägnanter Formulierer. In Admissions to Strangers (1989), wie alle seine Bücher liebevoll mit Holzschnitten und Zeichnungen illustriert, findet sich ein Zehnzeiler, der in äußerster Verknappung das Credo seines Autors umreißt:

i want
the look
the meeting

the meal
the drinking

the fucking
the walking

the argument
the fight

the parting
the alone.

The Masonics, Childishs Kollegen Mick 'The Milk' Hampshire, John 'Shakey' Gibbs, Bruce 'Bash' Brand und Miss Ludella Black, spielen Anfang Oktober in Deutschland. Childish-Enthusiasten und solche, die es werden wollen, sollten sich folgende Tage rot im Kalender anstreichen:
01. Oktober 2006: Soest – Sonic
02. Oktober 2006: Köln – Underground
03. Oktober 2006: München – Atomic Café
04. Oktober 2006: Frankfurt a.M. – Dreikönigskeller
05. Oktober 2006: Klagnüssen – Bed
06. Oktober 2006: Berlin – White Trash Fastfood
07. Oktober 2006: Münster – Gleis 22

Punk ist ein inflationärer und totgebeter Begriff, beschreibt aber Childishs Kunst treffend. Auf seine musikalische Sozialisation angesprochen, erinnert er sich an die Beatles, die Rolling Stones und Jimi Hendrix. Dann der Urschrei 1977: „Ich dachte, das klingt doch wie die Musik, die ich die ganze Zeit schon gerne hörte. Mit The Jam und den Damned im Ohr haben wir eine Band gegründet und ’Hippy Hippy Shake’, ’Stingray’ und ’You Really Got Me’ gespielt.“ Die Auswahl wird noch eine Rolle spielen. Das frühe Rock ’n’ Roll-Element, die Reduktion ist es, was Childish an Punk interessiert. Die späteren Verfeinerungen und Lagerbildungen lassen ihn kalt: „Schnell wurde eine modische Affektiertheit daraus. Dauernd erzählen mir die Leute von 1977, von Iros. Kein Punk trug Iro oder Lederjacke. Das waren die Angeber ein Jahr später. Als alle Drogen nahmen und von Anarchie schwatzten. Ich wusste nicht mal vom Anarchistensymbol, habe dauernd gefragt, was ist das da mit dem ’A’ in der Mitte.“ Als er auf einen Right to work-Marsch mitgenommen werden soll, sorgt er für Sprachlosigkeit: „Wofür wird marschiert? Für das Recht auf Arbeit. Warum nicht für das Recht auf Nichtstun?

Childish nimmt Punk zum Anlass, die Rockgeschichte rückwärts zu erkunden. Was ihm Van Gogh als Maler und Dostojewski als Autor ist, werden ihm Gene Vincent, Muddy Waters und John Lee Hooker als Musiker. Alte Meister, erhaben über Moden und MTV, Chartplatzierungen und NME-Referenzen. Seine Soloalben atmen den Geist des knisternden, akustischen Blues, seine unzähligen Bands – Thee Milkshakes, Thee Mighty Caesars, Thee Headcoats und jüngst The Buff Medways – feiern den Moment, in dem der Rock ’n’ Roll geboren wurde: Aus den mitgebrachten Platten der Seeleute in den Hafenkneipen und Clubs von Liverpool und Hamburg. Ohne Nebelmaschine und Lichtshow. Dafür vom Leben singend und um es spielend. Nichts weniger hat er mit seiner neuen Band, den Musicians Of The British Empire, am 27. August im Berliner Festsaal Kreuzberg getan. Eingeleitet von einem kurzen, intensiven Doc Schoko-Soloset, konnten Billy, seine Ehefrau und Bassistin Julie und Drummer Howard Wolf beweisen: „Punk ist nicht tot“. Er imitiert nur nicht das hundertste Mal die Ramones, sondern verneigt sich vor Son Houses John The Revelator. Er trägt auch tatsächlich keine Lederjacke – an ihrer Statt dient eine viktorianische Uniform als Bühnengarderobe. Nur ein scheinbarer Widerspruch für den erklärten Gegner jeglicher Showeffekte, der Wert auf seine viktorianische Erziehung legt und erklärt: „Klar, die Viktorianer waren natürlich auch Materialisten, nur dass wir nicht einmal mehr das, sondern nur noch Konsumenten sind.“ Erwartet von Billy Childish keine Anleitungen. Aber Anregungen, wie das Verbraucherdasein überwunden werden kann. Dass der Mensch nicht von Sozialhilfe allein lebt, lässt er den Buddha von Chatham Hill sagen. Es lohnt, ihm zuzuhören. Und Spaß macht es obendrein.