Ok, Leute, Robbie Williams' Stern sinkt - das läßt sich nicht nur mit seiner bedauernswert schwachen letzten Platte belegen, sondern vor allem damit, dass vor seinem Konzert im Berliner Olympiastadion „Restkarten“ für 15 Euro (!) verscherbelt wurden, ferner werden bei ebay hunderte Tickets für andere Arenen feilgeboten – das wäre vor einigen Jahren nicht passiert, selbst unmittelbar vor einer Niederkunft wäre man zum Konzert gepilgert und hätte etwaige KonkurrentInnen um die beste Sicht auf den Zeremonienmeister mit Schirm, Charme und Ellenbogen beiseite geboxt. Die große Zeit des Robsters scheint vorbei, aber alles Klagen nutzt nichts, man muß nach vorne schauen.
Einen adäquaten Thronfolger zu finden, der alle Facetten der male Madonna abdeckt, dürfte allerdings schwierig werden. Noch dazu läßt sich derzeit der Trend zu einer neuen Bescheidenheit ausmachen (siehe Oliver Fuchs' Artikel über 25 Jahre MTV in der SZ), der bodenständige, redliche Barden, sprich harmlose Langweiler wie Jack Johnson und James Blunt hervorbringt. Redlichkeit und Bodenständigkeit haben allerdings mit POP! rein gar nichts zu tun. Mr. Williams wußte das einstmals; sein Hang zum Pompösen und Überdrehten, das vulgär Exhibitionistische – das waren Robbies hervorragende Qualitäten und das Geheimnis seines Erfolges. Aber offensichtlich hat das Modell des „Universalstars“ ausgedient, man kann wohl nicht tausend Rollen spielen, ohne durch Überlastung und Burnout zu Boden zu gehen. Spezialisierung und Segmentierung sind gefragt – wenn gerade jemand nach einem melancholischen Songwriter sucht: voilá, hier ist Ben Hamilton!
Ben Hamiltons Lebensgeschichte klingt wie für eine Künstlervita ausgedacht und läßt Kritikerherzen höherschlagen: hineingeboren in eine verarmte Adelsfamilie aus Oxford, die Eltern schlossen sich einer Hippiekommune an, die sich aus Mitgliedern der Band Traffic rekrutierte, Stevie Winwood ist einer der ersten musikalischen Paten des (damals noch ) kleinen Ben. Der Vater nimmt ihn mit nach Florenz, dort lernt er Gitarre spielen und freundet sich mit italienischer dolce vita an. Daddy Hamilton findet plötzlich, es sei nun an der Zeit, dem Sohnemann etwas strengere Erziehung angedeihen zu lassen und verfrachtet ihn in ein englisches Elite-Internat. Mit 17 entflieht Ben der Schule und reist nach Australien, geht dort obskuren Aushilfsjobs nach und komponiert seine ersten Songs. Abgebrannt kehrt er nach Europa zurück und verdingt sich als Straßenmusiker. London, Lissabon, Florenz gehören zu seinen ersten Stationen. In Florenz wird der Berliner Produzent Stephan Fischer auf Ben aufmerksam und nimmt ihn mit nach Deutschland – in Berlin angekommen, begeistert sich Ben sofort für die dort blühende Elektroszene und beginnt eine Zusammenarbeit mit Wolfgang Brodauf. Ben Hamilton beteiligt sich an vielen Projekten, wird unter anderem Leadsänger der Band Tracy und schon bald hat er genügend Songmaterial für eine eigene Platte, die gerade bei Labels erschienen ist. Und ganz nebenbei ist er auf seinem Weg durch die Welt 2,10 Meter groß geworden.
Die 13 Songs (plus ein hidden track) auf seinem schlicht „Ben Hamilton“ betitelten Debüt stehen mit einem Bein im Mainstream, oder sind, anders ausgedrückt, durchaus für eine große Hörerschaft geeignet. Aber Hamilton gerät nicht mal in die Nähe der weiter oben erwähnten Softie-Mainstreamer: seine Songs sind einfach eine Spur zu authentisch und anspruchsvoll, um Reamonn-Hörer zu erobern; Hamiltons heisere, brüchige Stimme verursacht einen kleinen Riss im Schmuse-Himmel. Die prägnante Eindringlichkeit der Stücke verrät seine Zeit als Straßenmusiker, auf die er auch durch die Rolltreppen- und U-Bahn-Fotos im Booklet verweist. Jemand, der an einer Straßenecke steht und singt, hat nur wenig Zeit, die vorbeiströmenden Menschen zum Innehalten zu verleiten. Bei Hamilton sind bestimmt viele stehengeblieben – und das nicht nur, weil er so groß ist.
Der erste Song des Albums, „Sparrow's Blues“ trägt Versatzstücke von Ten CC's „Dreadlock Holiday“ in sich, so dass man sich sofort zu Hause fühlt bei Mr. Hamilton. „Backbreaker“, „Human“, „Chain of Love“, „Durango“ sind sparsam instrumentierte Balladen mit zartem Pianoplinkern, Cello und Violine, in denen sich Hamiltons Können als Songwriter entfaltet. Seine Texte offenbaren einen nachdenklichen Zweifler, jemanden, der staunend und kopfschüttelnd, aber voller Liebe durch die Welt geht. So zum Beispiel in „Human“:
„We ride on the wastelands, spreading the news. Looking for results in this happy world, this happy world. Forgive me if I hesitate, I'm human, I'm human. Don't tell me it's getting late, death is not the end, it's not the end.“
Mit „Bells“ kommt Bewegung in den Melancholiker-Hüftbereich: ein wenig behäbig, eben so, wie ein über zwei Meter großer Mensch über eine Tanzfläche stakst; aber glasklar Disco, mit Shuffle, Falsettstimme und allem drum und dran. „Radiationnation“ wartet mit elektronischen Spielereien auf, „Funfun“ klickerklackert sommerlich-leicht vor sich hin und erzählt so etwas von seinen Elektrobekanntschaften in Berlin, „Hologram“ ist ein besonders langsamer Waltz, durch den man sich schon jetzt auf kühle, graue, verregnete Tage zu Hause freut, weil man ja dann ungestört diese Platte hören kann. Der hidden track fällt ein wenig aus dem Rahmen, locker-flockig, optimistisch-gospelnd tönt es aus den Boxen, als hätte sich Ben Hamilton gedacht, er könne jetzt zum Schluß einen gutgelaunten Song ganz gut vertragen.
Aus „Curtaincall“ stammt das Backcoverzitat, „I'm asking to retire from this now“ - bitte noch ein wenig warten mit dem Zur-Ruhe-setzen!