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Der Weg dahin war kein gerader. Und hätte anders, noch früher enden können. Es ist eine musikalische Familie, in die er in Hamlet, North Carolina im Süden der USA, geboren wird. Der Vater ist Multiinstrumentalist, der Großvater macht den Enkel früh mit geistlicher Musik vertraut. Nicht Platten, sondern das Radio verabreicht dem Kind die erste Droge: Musik . Mit 12 Jahren das erste Instrument – eine Klarinette. Im selben Jahr stirbt der Großvater, kurz darauf der Vater. Die Familie gerät in Not. Die Mutter muss sich als Dienstmädchen verdingen. Was nach außen hin wie das normale Heranwachsen eines amerikanischen Jugendlichen, eines Schwarzen mit dem Wunsch nach sozialem Aufstieg, wirkt – Musikschule, Schulorchester, Highschool, Militärzeit bei der Navy – ist es nicht immer. Mitte der vierziger Jahre beginnt Coltrane, in Philadelphia aufzutreten. Erspielt sich früh einen Namen und macht Bekanntschaft mit dem Begleiter vieler, zu vieler Musiker: Heroin. Zehn Jahre lang wird er sich dem Gift widmen, zehn Jahre lang wird er verzweifelt versuchen, die eine Sucht mit einer anderen zu bekämpfen: Alkohol. Coltrane ist dabei kein disziplinloser Junkie. Er übt täglich mehrere Stunden. Er ist dabei, als der Jazz revolutioniert wird. Spielt mit Dizzy Gillespie, Miles Davis und Thelonious Monk. Er heiratet. Es ist nicht zuletzt der Einfluss seiner ersten Frau, der Islamkonvertitin Juanita Naima Grubb, der ihm hilft, die Drogen zu besiegen. Im Frühjahr 1959 schlägt sie dann, eine der Sternstunden des Jazz: Coltrane, Julian "Cannonball" Adderley, Paul Chambers, James Cobb, Bill Evans und Wynton Kelly nehmen in einer ramponierten Kirche in New Yorks 30th Street Kind Of Blue auf. Ihr Chef ist niemand geringerer als Miles Davis – wenige Jahre zuvor hat er Coltrane wegen seiner Drogenprobleme gefeuert, jetzt wird er ihm zum Tariflohn von 48, 50 $ für drei Stunden zusätzliche 100 $ zahlen. Keiner der Beteiligten dürfte geahnt haben, dass sie an jenen zwei Tagen das einmal meistverkaufteste Album des Jazz einspielen. Für Coltrane ist es der endgültige Durchbruch. Ein Jahr später gründet er das legendäre John Coltrane Quartet mit McCoy Tyner am Piano, Jimmy Garrison am Bass und Elvin Jones am Schlagzeug. Mit ihnen veröffentlicht der später als kompliziert geltende Tenor- und Sopransaxofonist 1960 My Favourite Things – es wird sein größter kommerzieller Erfolg werden. Am Jazzhorizont geht es derweil stürmisch zu. 1959 sind bereits Charles Mingus’ Mingus Ah Um und Mingus Dynasty erschienen. Ornette Coleman (über ihn demnächst mehr) gibt den neuen Klängen ihren Namen: 1960 erscheint sein Free Jazz. Coltrane radikalisiert, was freilich schon lange in seiner Musik angelegt war: Expressivität, Rasanz und Dynamik. Nesuhi Ertegun, Gründer von Atlantic Records, erinnert sich an einen Auftritt, der noch gemeinsam mit Miles Davis stattfand: „Den Platten, die er bereits gemacht hatte, war sein Spiel an diesem Abend um Meilen voraus. Der Aufbau seiner Soli, die ausgefeilten Harmonien, die seltsame Art seiner Notenfolgen und die Geschwindigkeit, in der sie gespielt wurden, waren völlig unterschiedlich zu dem, was die anderen Musiker der Band spielten.“ Geschwindigkeit, die nichts zu tun hat mit Oberflächlichkeit, wird Coltranes Arbeit bestimmen. Als wüsste er, wie wenig Zeit ihm noch bleibt. In rascher Folge erscheinen Africa Brass, Impressions, Ballads – alle im selben Jahr, 1961. Zeitgleich mit intensiven Konzerten im New Yorker Village Vanguard, in Paris und Kopenhagen, die alle zusätzlich dokumentiert werden. In Zusammenarbeiten mit Eric Dolphy, Duke Ellington und dem Sänger Johnny Hartmann behält er das Tempo, die eruptive Produktivität, bei. Und beweist, dass er genauso auch die leisen, ruhigen Töne beherrscht. Im Dezember 1964 dann A Love Supreme – das Werk, das Konrad Heidkamp zur Essenz des 20. Jahrhunderts zählt und von dem Archie Shepp (sein Tributalbum Four For Trane sei hier ebenso wärmstens empfohlen) sagt: „Wie Bach und Mozart erhob Coltrane Musik aus dem säkularen in den Bereich ernster, religiöser Weltmusik.“ Eine einzige Hymne an, Zyniker möchten an dieser Stelle bitte die Lektüre einstellen, das Leben, die Liebe. Und Gott. Coltrane war gläubig, das wird in jeder dieser 33 Minuten und 11 Sekunden deutlich. Gläubig aus Dankbarkeit für die hart erarbeitete Möglichkeit, sich in seiner Musik ausdrücken zu können. Aus Dankbarkeit, einfach überlebt zu haben. Acknowledgement – Resolution – Pursuance – Psalm (Anerkennung, Entschlossenheit, Streben und Psalm) hat er die Sätze der Suite betitelt, die durch die Lektüre Henry Drummonds The Greatest Thing In The World inspiriert wurde. Der Titel der deutschen Übersetzung: Die Liebe aber ist die größte. Spätestens hier beginnt er, der spirituelle Coltrane. Seine Leistung ist, dass man jedoch gerade nicht Esoteriker oder geläuterter Sünder sein muss, um von diesem Epochenalbum überwältigt zu werden. Man muss nicht einmal Räucherstäbchen entzünden und beim Hören Coltranes Linernotes lesen. Diese Musik ist aus ihr selbst mächtig genug. „Coltrane, du kannst nicht alles auf einmal spielen“, hat Miles Davis einmal zu seinem Kollegen gesagt. Eventuell dort liegt er, der Unterschied zwischen beiden Giganten. An der Trompete der Meister der Reduktion, am Saxofon der Meister der Sheets Of Sound, der in den späten Fünfzigern, frühen Sechzigern sein Instrument so schnell spielt, dass zum aktuellen Ton noch der vorherige in der Luft liegt. Eine andere Maxime Davis’ hat Coltrane freilich in die Tat umgesetzt: „Spiele nicht das, was ist. Spiele, was nicht ist.“ Mit den Alben nach A Love Supreme betritt er bis dato fremdes Land, unerforschtes Terrain, wo die Luft schon einmal dünn werden kann. Und es schnell einsam wird. Transition, Ascension, Om und Meditations (alle 1965!) heißen die Alben, auf denen er seine Suche unaufhörlich fortsetzt. Das Quartet wird umbesetzt – für McCoy Tyner nimmt Alice Coltrane, seine zweite Frau, Platz, für Elvin Jones kommt Rashid Ali. Coltrane studiert Hinduismus, die Kabbala, Krishnamurti, Yoga, Mathematik, Astrologie, Afrikanische Geschichte, Platon und Aristoteles. Um während der Aufnahmen zum letzten von ihm autorisierten Album festzustellen, dass er sich außerstande sehe, noch einen Begleittext zu schreiben. Die Frage nach einem möglichen Titel beantwortet er mit: „Expression. Das ist es.“ ES. Wenige Tage später, am 17. Juli 1967, ist John Coltrane in New York an Leberkrebs gestorben. Seine Einladung gilt noch immer. |
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