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Sofie Lichtenstein: Bügeln. Protokolle über geschlechtliche Handlungen




Oktober 2006
Robert Mießner
für satt.org


The Monks: Black Monk Time
Smd Reper 2005

Black Monk Time
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V. A.: Silver Monk Time
a tribute to The Monks
Play Loud 2006

Silver Monk Time
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Auferstanden:
The Monks

Strick, Tonsur und Feedback

"Krach, Krach und keine Melodie – Robotermusik"
Bild-Zeitung, Januar 1966

Gelnhausen und Rock ’n’ Roll, das klingt gewagt. Ist es aber nicht, denn aus der osthessischen Stadt stammen nicht nur Philipp Reis, der Erfinder des Telefons, und Hans Fischinger, deutscher Trickfilmpionier. Sondern hier, im Fuldatal, Aufmarschgebiet eines möglichen Dritten Weltkriegs, treffen Mitte der sechziger Jahre fünf amerikanische Gis aufeinander. Die als Kanonenfutter Eingeplanten werden Feedback entdecken, werden Punk Rock erfinden, als Malcolm McLaren noch die Kunsthochschule besucht.

The Monks, Hamburger Hafen 1966, Foto: Larry Clark
The Monks, Hamburger Hafen 1966, Foto: Larry Clark

Das Leben der Soldaten in der Fremde ist öde. Den Jeep putzen, durchs Gelände robben, die Uniform in Schuss halten – das alles in einem Land, dessen Sprache man kaum versteht. Das noch vor zwanzig Jahren der Kriegsgegner war. Es gibt Bier in Deutschland. Nur, Saufen aus purer Langeweile ist mit Abstand die dämlichste Form von Trinken. Zum Glück haben Gary Burger, Dave Day, Larry Clark, Eddie Shaw und Roger Johnston sich in der Kaserne die Liebe zu der Musik bewahrt, die sie als Jugendliche zuhause in Minnesota, Washington, Chicago, California und Texas gehört haben: Country, Elvis, den Jazzorganisten Jimmy Smith und Booker T., Bebop, Miles Davis, Duke Ellington, Gene Krupa und Count Basie. The Torquays nennen sie ihre erste Band, mit der sie Chuck Berry covern, Surf und Beat spielen. Nach der Entlassung aus der Armee bleiben sie in Deutschland. Touren durch das Land, dessen Adenauerfassade die ersten Risse kriegt, in dem es die ganze Zeit zu regnen scheint. Die fünf haben Freundinnen in jeder Stadt. Vernachlässigen ihre militärischen Kurzhaarschnitte, sie lassen wachsen. Und bringen sogar eine eigene Single heraus.

An sich nichts Spektakuläres – Deutschland ist Mitte der Sechziger im Beatlesfieber, und viele wollen es ihren Idolen gleichtun. Mit einem bekannten Effekt: Das Quartett aus Liverpool, anfangs als Bedrohung für Abendland und Anstand empfunden, wird allmählich akzeptiert. Sehr zum Leidwesen zweier Absolventen der Essener Folkwang-Hochschule. Walther Niemann und Karl-Heinz Remy, Subversive in Anzug und Krawatte, erleben die Torquays auf der Bühne. Werden deren Manager und beschließen, aus den fünf netten Armymusikanten die Anti-Beatles zu machen: The Monks. Wie im Futurismus und Surrealismus, muss ein Manifest her: "Immer ein Monk sein! Auch auf der Straße!" Die langen Haare fallen dem Friseur zum Opfer. Stattdessen: Mönchstonsuren und Kutten, schwarz natürlich. Keine Schlipse, dafür Stricke. Es ist wahr: Die Monks wurden zuerst entworfen. Kein Grund, sich zu beklagen. Nichts, aber auch nichts dessen, was gerne unter Alternativ- und Subkultur verstanden wird, existiert, ohne dass es gemacht worden wäre. Was folgt, entsteht dagegen nicht in der Studierstube und am Reißbrett. Sondern auf der Bühne und im Proberaum. Wo, das muss ein für alle mal geklärt werden, die Monks das Feedback erfinden. Gary Burger: "Auf einer dieser Proben wollte ich eine Pause machen. Ich lehnte meine Gitarre an einen der Verstärker und ging von der Bühne. Allerdings hatte ich vergessen, den Verstärker auch auszustellen. Plötzlich fing er an, diese seltsamen Geräusche von sich zu geben. Es begann mit einem Summen und steigerte sich zu unglaublichem Lärm. Und plötzlich fing Roger an, dazu zu trommeln." Eddie Shaw ergänzt: "Stellt euch den Ton vor, als die Titanic den Eisberg gerammt hat. Wir kamen uns wie die Menschen vor, die das Feuer entdeckt haben."

Gary Burger, ca. 1966, Foto: The Monks
Gary Burger, ca. 1966, Foto: The Monks

Die Monks sind eine Bruderschaft, die Aufgaben im Kollektiv klar verteilt: Gary, Gitarrist und Sänger, der Verstärker verschleißt und von Vietnam und der Atombombe singt. Bis dahin nicht gehört im Rock ’n’ Roll. Larry, der einzige in der Band, der Alkohol nichts abgewinnen kann und an der Orgel für den sakralen Unterton des unheiligen Treibens sorgt. Dave, der für einen der wesentlichen Bestandteile des Monks-Sounds sorgt: Er tauscht seine Gitarre gegen ein Banjo, das selbstverständlich elektrifiziert gespielt wird und sich streng am Rhythmus orientiert. Der nicht aus London, sondern New Orleans herüberweht. Schlagzeuger Roger spielt einen stammesartigen Beat, Becken und anderes überflüssiges Beiwerk kommen so gut wie nicht vor. Bassist Eddie ist der andere Jazzman des Quintetts. Besser, er ist bei Tageslicht Jazzer, nach Sonnenuntergang Rock ’n’ Roller. Und diese Nächte sind lang. Sechs Stunden stehen die Monks an einem "gewöhnlichen" Abend auf der Bühne des Hamburger Top Ten Clubs. Am Sonntag werden schon einmal acht daraus. Für die Musiker kräfte-, für das Publikum nervenzehrend. Es ist dreiminütige Songs im Schema Strophe, Refrain, Strophe, Solo, Refrain und Schluss gewohnt. Es bekommt das Gegenteil. Reduktion und Wiederholung sind das Stilprinzip der Monks. Kurze, verknappte Texte. Dadaistisch zuweilen, aber den Finger auf die Wunden der Zeit legend. Wo andere von Liebe und Wochenende singen, heißt es bei den Mönchen: "People cry, People die for you. People kill, People will for you. People run, Ain’t it fun for you. People go, To their deaths for you. Complication.” Nicht mehr. Und nicht weniger. Ein Liebeslied der Monks geht so: "Hey, well, I hate you with a passion baby, yeah I do! (But call me!).” Rock hört auf, Konsumgut zu sein. Gerade, indem er vereinfacht wird. Die Zuhörer reagieren gespalten. Liebe und Hass sind die beiden einzig möglichen, ausdrücklich so gewollten Reaktionen. Es steht geschrieben, die Monks hätten die Lautstärke noch einmal verstärkt, wenn jemand im Publikum auf die Idee gekommen sei, sich unterhalten zu müssen.

Das Problem daran ist: Es kommt alles zu früh, viel zu früh. Was zehn Jahre darauf im New Yorker CBGB’s oder in Londons 100 Club auf der sogenannten Höhe der Zeit gewesen wäre, bringt den Monks außer einem verwegenen Ruf wenig ein. Black Monk Time, ihr erstes (und einziges) Album von 1966, erzielt in der Originalpressung mittlerweile Summen zwischen 500 und 1.000 Dollar. Als die mit dem Produkt überforderte Polydor ihren Künstlern die ersten Tantiemen auszahlt, erhält jedes Bandmitglied 10 Dollar. Kein Wunder, dass es zu Problemen im Orden kommt. Die Plattenfirma will kommerziellere Songs, das Management gestaltet sich kompliziert. In einem letzten verzweifelten Werbegag werden die Monks in Schweden stilsicher in einem echten Kloster untergebracht. Ohne es ihnen zu sagen. Als sie sich am Morgen einer nach allen Regeln des Rock ’n’ Roll verbrachten Nacht dem empörten Personal gegenüber sehen, ist der kalkulierte Skandal perfekt. Dass die Nerven längst blank liegen, kann er nicht mehr verdecken. Einer nach dem anderen kehren die Mönche in die USA zurück. Vor ihnen liegen Deklassierung und Normalität, Jobs als Kirchenwärter und bei IBM. Roger Johnston wird 2004 sterben; Larry Clark zur diesjährigen Tour lieber zu Hause bleiben.

Gary Burger, 1998, Foto: The MonksGary Burger, 1998, Foto: The Monks

Den Kollegen und Nachbarn erzählen sie gar nicht erst von ihrer schillernden Vergangenheit, damals in Deutschland. Und sie können es kaum glauben, als in den neunziger Jahren Nachrichten eintreffen, wonach plötzlich jüngere Wilde ihr Herz für die Tonsurenträger entdecken. The Fall covern I Hate You, Oh How To Do Now und Shut Up. Fanzines und Zeitschriften fragen nach den zurückgezogen Lebenden, wollen Interviews und Fototermine. Sie können es anfangs selber nicht glauben. 1999 dann ein umjubeltes Reunionkonzert im New Yorker Cavestomp Club. Unter den hin- und weggerissenen Zuhörern Jon Spencer, The Fleshtones’ Peter Zaremba und Genesis P-Orridge. Wer die Monks am 23. Oktober diesen Jahres in Berlin erlebt hat, weiß: Mittlerweile haben sie sich mit dem erdrückenden Gedanken angefreundet, Geschichte geschrieben zu haben. Sie erzählen darüber in Dietmar Posts und Lucia Palacios’ exzellenten Dokumentarfilm Monks – The Transatlantic Feedback, der bitte nicht in die Hinterhofkinos und ins Spätabendprogramm abgeschoben werden sollte. Sondern in die großen Häuser und auf die besten Sendeplätze gehört, zeigt er doch exemplarisch, wie sich Musik und Geschichte, Rock ’n’ Roll und Kalter Krieg einander bedingen. Zeitgleich zum Film haben Post und Palacios eine Doppel-CD herausgebracht, auf der The Fall, Alec Empire, Silver Apples / Alan Vega, The Gossip, Gudrun Gut, Faust, Doc Schoko, S.Y.P.H, (Int.) Noise Conspiracy, Alexander Hacke und viele, viele mehr den Monks ihren überfälligen Tribut erweisen. Betitelt Silver Monk Time, nach der nie erschienenen zweiten LP, für die Polydor kein Geld mehr ausgeben wollte. In Berlin gefeiert haben Ana De Silva und Gina Birch von den Raincoats, Fehlfarben-Sänger Peter Hein wie Schorsch Kamerun von den Goldenen Zitronen. Gefeiert hat eine ausverkaufte Grosse Bühne der Volksbühne, ein Publikum, das sich nach zehn Minuten nicht mehr auf den begehrten Plätzen halten konnte. Und ein sichtlich froher und enthusiastischer Mark E. Smith. Er hat getanzt.