Drei Sampler:
7''UP! | In Prison
Come on Soul! Volume 1
Der Herbst wirft seinen Schatten in unsere Richtung, die Labels sammeln noch schnell Vorräte für den Winter – nein, keine Kastanien, sondern Tracks für tolle Sampler, die die Anschaffung uneingeschränkt lohnen:
Das Phänomen des „One-Hit-Wonders“ gibt es nicht nur im Mainstreambereich (Lou Bega/„Mambo No. 5“, David Dundas/“Jeans on“, Whigfield/“Saturday Night“ … reicht das?), sondern auch im Indie-, Wave- und (Post-)Punksektor. Gerade zu Beginn der wilden Achtziger entstanden jede Menge schnellebige Projekte, die Musiker fanden sich manchmal nur für eine Single zusammen, um dann zur nächsten Formation weiter zu eilen. Das Label Crippled Dick Hot Wax!, das sich im letzten Jahr viele Freunde und Freundinnen durch die famose Compilation „GRLZ – Women Ahead of their Time“ machte, hat nun wieder in den Archiven gestöbert und feiert die Vinyl-Single, ein bedauerlicherweise aussterbendes Format. Die Jäger und Sammler bei Crippled haben eine tolle Compilation mit obskuren Fundstücken aus der Wave- und Postpunkära zusammengestellt: 40 Minuten, verteilt auf 13 Songs beziehungsweise Single-A-Seiten liefern eine Art alternative Hitparade der Spätsiebziger bis Frühachtziger, die Menschen wie mir aus nostalgischen Gründen viel Spaß macht und den erst vor kurzem geborenen Nachhilfeunterricht unschätzbaren Gehalts bietet. Besonders hervorheben kann man die Glaxo Babies, die neben Rip, Rig & Panic, The Pop Group und Pigbag zu den wichtigsten Wavebands aus Bristol gehörten. Weil der Pharmakonzern Glaxo einen Prozeß wegen der Namensrechte anzettelte, benannte sich die Band in Maximum Joy um, über die satt.org Anfang dieses Jahres ausführlich berichtete.
Trackliste:
- Mark Beer, The man man man
- Glaxo Babies, This is Your Life
- Contact, Constant Beat
- I Jog & the Tracksuits, Redbox
- Gerry & the Holograms, Gerry & the Holograms
- Brian Brain, Jive, jive
- They Must be Russians, Don't try to Cure Yourself
- Moondogs, Imposter
- Thomas Leer, Private Plane
- Cult Figures, Zip Nolan
- Monochrome Set, Eine Symphonie des Grauens
- Henry Badowski, Making Love with my Wife
- Weekend, Drumbeat for Baby
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Die Glaxo Babies sind mit „This is Your Life“ vertreten, einem lakonischen Fanal der Postpunkjahre. Witziges Highlight auf „7'' UP!“ ist „Don't try to Cure Yourself“ von They Must be Russians: in lehrerhaftem Ton werden anschaulich verschiedenste Geschlechtskrankheiten beschrieben, die Band kracht immer wieder punkrockig mit dem Refrain dazwischen. Der Bandname bezieht sich auf eine Headline, mit der die britische Yellow Press auf die Sex Pistols und ihre Single „God Save the Queen“ reagierte: das konnten nur Russen sein, die auf derart respektlose Weise die Königin diffamierten! Bekannteste Band auf diesem Sampler sind Monochrome Set, die erst vor wenigen Monaten eine späte Ehrung durch 22 Pistepirkko erfuhren, die ein Coveralbum nach ihnen benannten. „Jive, jive“, eine sparsame, eckige Tanznummer von Brian Brain (bürgerlich Martin Atkins), der unter anderem bei PiL, Killing Joke und Ministry spielte, dürfte auch heute noch die Leute vom Sofa reißen und Synthiepopper Thomas Leer, dessen Debütsingle „Private Plane“ auf dem Sampler zu finden ist, inspirierte angeblich Matt Johnson zur Gründung von The The. Es gibt also viel zu entdecken im Nebel der Wave- und Postpunkzeit, „7 UP!“ ist ein hilfreich blinkender Leuchtturm!
Daß das Münchner Label Trikont ein besonderes Händchen für großartig zusammengestellte Sampler hat, braucht man eigentlich nicht mehr extra zu erwähnen. Trikont hebt Schätze, die niemand sonst zu heben bereit ist, manchmal sind Verkaufsschlager wie der „Russendisko“-Sampler von Wladimir Kaminer und Juri Gurzhi dabei; in diesem Jahr dachte man, nach „Queer Sounds“ und John Peels Lieblingsplatten kann nicht mehr viel kommen aus dem Hause Trikont, aber weit gefehlt: mit „In Prison“ übertrifft sich das Label erneut selbst. Zusammengestellt von Jonathan Fischer und Ian Ensslen finden sich auf „In Prison“ 19 Songs, vornehmlich Blues-, HipHop- und Soulstücke, die die unangenehme Wahrheit aussprechen, daß kein Land der Welt mehr seiner Einwohner einknastet als die U.S. of A. Von den derzeit zwei Millionen Gefangenen sind die Hälfte Afroamerikaner, was dem vierfachen ihres prozentualen Bevölkerungsanteils entspricht. Man braucht gar nicht weiter mit Zahlenmaterial um sich zu werfen, es dürfte auch so klar sein, daß die meisten schwarzen Gefangenen Männer zwischen 20 und 25 Jahren sind, also ihre besten und kreativsten Jahre hinter Gittern verbringen, ob die meisten von ihnen zu Recht oder Unrecht einsitzen, steht ohnehin noch auf einem anderen Blatt. „In Prison“ zieht eine historische Linie von der Sklaverei bis zur Gangsta-Gegenwart, die vorgestellten Songs erzählen von Entmündigung und Diskriminierung, aber ebenso von Stolz, Widerstand und ungebrochenem Überlebenswillen. Vertreten sind unter anderem Brand Nubian mit dem eindringlichen „Claimin`I'm A Criminal“, Bobby Womack und sein bluesrockiges „Arkansas State Prison“, jüngere tragische Figuren wie 2 Pac mit „16 on Death Row“ oder der alte Bluesman Robert Pete Williams mit „Pardon Denied Again“. Die Kompilatoren haben die Last Poets genauso aufgenommen wie Nina Simone und ihren „Work Song“, Curtis Mayfields unverwechselbarer Chicago-Soul bringt die Gefängnisgitter zum Grooven, was den bitteren Kontrast zwischen drinnen und draußen umso eindringlicher erscheinen läßt. Der Track „Living Proof“ von der Lifers Group ist gar im Rahway East Jersey State Prison entstanden: 24 Häftlinge nutzten den tristen Knastalltag, um ihre Erlebnisse in HipHop-Sounds und -Rhymes zu verarbeiten. Das Ergebnis klingt erstaunlich „street“ und läßt nur ahnen, wie viel kreatives Potential hinter dicken Mauern verkümmert. Der Sampler verdeutlicht ohne erhobenen Zeigefinger, daß HipHop und Rap der Blues der Neuzeit sind und daß dieser Blues zum überwiegenden Teil noch immer vom schwarzen Mann gesungen wird. Weiteres Plus von „In Prison“: das umfangreiche Booklet mit einer Fülle von Bandinfos und historischen Hintergründen.
Ada James und Basil Hunt sind beide keine Unbekannten in der Clubszene: Ada ist seit Mitte der neunziger Jahre als DJ unterwegs, sie bespielt die Hamburger Barkasse Frau Hedi (Ada's Loveshake), auch im (ebenfalls Hamburger) Club Komet bringt sie die Massen zum Tanzen. Basil kennt man unter seinem Pseudonym Mellow; mit seinem Companero Pete Rivera gründet er 1996 das Label Lounge Records, das die Gemeinde seitdem mit ausgesuchten Schmankerln aus Barjazz, Easy Listening und eben Loungemusic versorgt. Ada und Basil bekennen sich mit dem hier vorliegenden Sampler zu ihrer Liebe zur Soulmusic, ziehen eine Linie von Bobby Hebb zu Superpunk; das Frank Popp Ensemble findet ebenso Aufnahme wie der Motown-Klassiker „I Got a Feeling“ von Barbara Randolph aus dem Jahre 1967. Die französischen Retro-Rock'n'Roller Bikini Machine sind mit „Shake it“ zu hören und die wunderbare Nicole Willis, die sowohl mit Leftfield als auch Curtis Mayfield zusammenarbeitete, ist mit dem Handclapping-Song „My Four Leaf Clover“ vertreten. Soul ist also keine Frage von Hautfarbe, Wohnort oder Jahreszahl, sondern eine unwiderstehliche, überschwengliche, herzzerreißende Musik, die im wahrsten Sinne des Wortes Grenzen überschreitet. Für Ada James ist Soul schlicht „die beste Musik der Welt“, seit sie vor zehn Jahren ihren ersten Soul-Allnighter besuchte. Sie hat wahrscheinlich recht, wer nochmal prüfen möchte, ob das stimmt, ist mit „Come on Soul!“ bestens bedient. Die Kompilatoren haben offenbar noch einiges vor, dieses Album wird als „Volume 1“ promotet. Ada James und Basil Hunt werden im Herbst mit diesem Sampler (und bestimmt noch der einen oder anderen Platte im Gepäck) auf Tour gehen, an folgenden Orten könnt Ihr gemeinsam grooven, bis die Schuhsohlen qualmen:
6.10.: Frankfurt, Stereobar
7.10.: Heidelberg, Karlstorbahnhof (Enjoy Jazz Festival)
11.11.: Berlin, Privatclub
17.11.: Hannover, Cumberlandtsche Galerie
18.11.: Mainz, Red Cat
24.11.: Köln, Studio 672
25.11.: Augsburg, Mahagoni Bar
(wird fortgesetzt, siehe auch: www.bureau45.com)