Scissor Sisters: Ta-Dah
Welcome to the Scissor Dome!
Der Siegeszug der glammy campy Scherenschwestern begann auf dem Glastonbury-Festival 2004 – überwältigt von der eigenen Performance und der euphorischen Reaktion des Publikums rief Sängerin Ana Matronic: „The sun is going to shine out of Jack Shear’s a**hole. We will make it so.“ Und so ungefähr kam es dann auch.
Die Scissor Sisters, die sich in New Yorker Schwulen- und Transenclubs kennenlernten und mit einer Discoversion von Pink Floyds „Comfortably Numb“ zum ersten Mal auf sich aufmerksam machten, verkauften nach Glastonbury 3.000.000 (drei Millionen) Exemplare ihres ersten Albums. Trotz dieses gigantischen Erfolgs gelten Jake Shears, Ana Matronic, Babydaddy, Del Marquis und Paddy Boom immer noch irgendwie als „underground“ - aber kann eine Band, die sich nach einer Lesben-Sexstellung benennt, zum überwiegenden Teil aus sexuell uneindeutig orientierten oder explizit queeren Menschen besteht und öffentlich behauptet, die Wings seien besser als die Beatles, überhaupt „mainstream“ werden? Man wird sehen. Denn das neue Album „Ta-Dah“ ist ein entwaffnender, Glückshormone freisetzender Spaß für die ganze Familie – wobei den Scissor Sisters schon jetzt von den ersten Nörglern vorgeworfen wird, vor allem textlich mittlerweile viel zu weichgespült zu sein und daß sie mit den Hits ihrer ersten Platte wie „Take Your Mama Out“ ihre Höhepunkt bereits erreicht hatten. Auf jeden Fall sind die Sisters die Darlings der Saison, die erste Single des Albums läuft den ganzen Tag im Radio, das Video dazu wurde bereits bei Kulturzeit auf 3Sat gezeigt; Kylie Minogue und Roxy Music ließen sich Songs von ihnen schreiben, Elton John liebt sie und erklärte sich deshalb gern bereit, auf zwei Stücken von „Ta-Dah“ Piano zu spielen. Dank des seltsamen Humors der Band wird Sir Elton aber keineswegs in den Vordergrund gestellt, nein, er agiert als schlichter Begleitmusiker. Der Song „Intermission“ hampelt ohnehin so unglaublich albern herum, daß man gar nicht erst auf die Idee kommt, Elton John sei hier der Star, der den Eleven unterstützend zur Seite stehen muß. EJ spielt auch auf der Single „I don't feel like Dancin'“ mit, einem schmissigen, unwiderstehlichen (und hemmunglos altmodischen) Discofox mit Bee-Gees-Falsettgesang. Sehr schön ist die Vorstellung einer tanzenden Crowd, die lauthals mitsingt, „I don't feel like dancin', no Sir, no dancin' today!“ Aber Scissor-Sänger Jake Shears will nicht tanzen, weil er etwa müde ist, er hat ganz anderes im Sinn: „“Don't feel like dancin', dancin' / I'd rather be home with the one in the bed till dawn with you“.
„Ta-Dah“ ist ein Fest für alle Pophistory-Nerds, jeder Song kann in seine Einzelteile zerlegt und auf seine (geklauten, zitieren) Ingredienzien hin untersucht werden. Die Scissor Sisters haben damit überhaupt kein Problem und reklamieren keinerlei Originialitätsansprüche. Sie bekennen sich voll dazu, auf die Bee Gees, Elton John, Hall & Oates, David Dundas und noch viel schlimmeren Siebziger- und Achtzigerjahre-AOR zu stehen und verarbeiten diese Einflüsse genüßlich in ihrem Oevre. Den Scissor Sisters ist nichts peinlich oder heilig, sie lieben Honkytonk-Rhythmen, Banjos (Babydaddy benutzt auf der Bühne eine sogenannte „Flying B“, ein elektronisches Banjo), Sitars, Jahrmarktmusik und trashige Musicals. „She's my Man“ (das übrigens nicht die Mutter-Sohn-ähnliche Beziehung zwischen Ana Matronic und Jake Shears thematisiert) klingt überdeutlich nach „I'm Still Standing“ von Elton John und ein bißchen nach „Maniac“, dem grauenerregenden Smashhit aus „Flashdance“; „Kiss You Off“ und „Ooh“ sind breitwandiger Goldfrapp/Blondie-Glam, serious booty-shakin' garantiert! Auch „Lights“ ist ein knallbunter, saftiger Discostomper, obwohl Shears im Refrain die letzten Worte seiner verstorbenen Tante verarbeitet („When you cut the lights out think of me“) – aber der Tod ist noch lange kein Grund, um aufs Feiern zu verzichten, im Gegenteil. „Paul McCartney“ zitiert hingebungsvoll Robert Palmers „Addicted to Love“ - Paul McCartney selbst kommt in dem Titel allerdings gar nicht vor, Jake Shears erzählt, daß ihm eines Nachts McCartney im Traum erschienen sei und ihm diesen Song eingeflüstert habe. Eine Überraschung findet sich im schmachtenden „Land of a Thousand Words“: hier spielt Joan Wasser a.k.a. Joan as Policewoman Violine. Die letzten drei Songs auf „Ta-Dah“:„The Other Side“, das ein Judy-Garland-Sample featuret, „Might Tell You Tonight“, ein möglicherweise ernst gemeintes Liebeslied; und das Grande Finale „Everybody Wants the Same Thing“ lassen die Idee entstehen, dass sich der ehemalige Superstar Robbie Williams (um den man sich ja ernsthaft Sorgen machen muß, die Bild-Zeitung schlachtet seine Depressionsschübe genüßlich aus) von den Scissors mal einen Song schreiben lassen sollte. Kann ihm nur guttun.