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Sofie Lichtenstein: Bügeln. Protokolle über geschlechtliche Handlungen




November 2006
Maria Sonnek
und Petra Zimlich

für satt.org

Ist der Norden per se melancholisch? Liegt es am fehlenden Licht, der kühlen Witterung, dem Abgeschnittensein von der restlichen Welt? Wir spinnen weiter: „Herbst“ und „Melancholie“ bilden ein unzertrennliches Begriffspaar – die aktuellen Platten von Bonnie Prince Billy und Teitur fügen noch „Island“ und „Faröer Inseln“ zum Ensemble hinzu. Petra Zimlich und Maria Sonnek gaben sich der herbstlichen Stimmung hin …

Bonnie Prince Billy: The Letting Go



Bonnie Prince Billy:
The Letting Go

Domino, Rough Trade
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Will Oldham – der bewusst kauzige Amerikaner aus Tennessee, der sich der kommerziellen Musikwelt konstant verweigert, seine Fans verzaubert und sein Ego ständig wechselt, der von Johnny Cash innerhalb der American-Recordings in den Olymp des Country gehoben wurde – dieser Will Oldham produziert Alben wie andere Leute einzelne Songs. Sein Tempo ist unglaublich. Noch unglaublicher ist aber, dass er trotz dieser Schnelligkeit konstant gute Musik abliefert. Der letzte Coup seines sensationellen Schaffendrangs ist das Album "The Letting Go", das er erneut unter seinem Alter Ego Bonnie Prince Billy veröffentlicht hat. Wieder erzählt Oldham Geschichten, schenkt uns zeitlose Songs über die existenziellen Dinge des Lebens. Große Gefühle, Verluste, Ängste, Verletzungen, Freundschaft. Dies mit sanfter Melancholie und großer Intensität. Seine brüchige, bisweilen schroffe Stimme ist unverwechselbar und wird auf „The Letting Go“ wunderbar ergänzt durch Dawn McCarthy, eigentlich Sängerin der Faun Fables. Die Zartheit ihres Gesangs, die Streicherarrangements, die reduzierten Einsätze von Gitarre lassen im Zusammenspiel mit Oldham außergewöhnliche Klangwelten entstehen. Diese erinnern bisweilen an altenglische Folksongs. Das Album wurde im isländischen Reykjavik eingespielt. Ein Ort umgeben von Sagen und Mythen. Sicher hat auch dies zu der besonderen Atmosphäre beigetragen, die auf dem Album zu spüren ist. Auch wenn man diese Assoziation nicht allzu weit ausreizen sollte. „The Letting Go“ ist das bisher wohl europäischste des Amerikaners, mit einer stärkeren Hinwendung zum Folk. Das aktuelle Album ist weniger unfertig als seine Vorgänger, weniger fragmentarisch. Der Sound ist voller geworden, runde Klänge ummalen die Songs. Will Oldham ist ein eigenwilliger, aber auch weiser Künstler. Seine Sprache ist poetisch und kryptisch zugleich. Es scheint, als müsse er Geschichten erzählen, als müsse er nach außen tragen, was ihm wichtig ist. Und wenn er das getan hat, packt er seine Gitarre ein und zieht weiter. Was das Publikum oder die Medien denken, scheint ihm offensichtlich egal. Er ist ein Meister des einfachen Folksongs, ein moderner Bänkelsänger. Rast- und ruhelos, getrieben von der Sehnsucht, die Dinge, die ihn die bewegen weiterzugeben. Banale Themen sind ihm völlig fremd. Man muss sich auf seine Musik einlassen. Erfahrungsgemäß gelingt das am besten alleine. Ich kann nur hoffen, dass Oldham noch oft bei uns Rast macht und noch viele solche Alben vorlegt. Alben, die immer wieder berühren und nachdenklich machen. Mit „The Letting Go“ ist ihm ein weiterer Beweis dafür gelungen, wie intensiv leise Töne wirken können. Ergreifend schön und auf seltsame Weise erhaben. (PZ)


Teitur: Stay Under The Stars

Teitur: Stay Under The Stars<

Teitur:
Stay Under The Stars

Edel Records
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Teitur stammt von einer „einsamen“ Insel, in diesem Fall sind es die Faröer Inseln zwischen Schottland und Island gelegen. Wer dort aufwächst, kennt die Einsamkeit, kennt das Meer, kennt das Rauschen des Windes und das Schreien der Möwen. Teitur Lassen ist dort vor knapp dreißig Jahren geboren, ohne Fernseher, dafür aber mit dem einzigen Radiosender der Inseln aufgewachsen. Da bekannte und unbekannte Bands immer einen Bogen um die Faröer gemacht haben, hat er bevor er mit seinen Eltern nach Dänemark gezogen ist, nie eine Band live gesehen. Und so wuchs er mit seiner eigenen Musikalität auf. Diese hat er bereits in vier Alben verwandelt, zwei in Faröisch, die letzte erstmals auf Englisch und das neueste Werk „Stay Under The Stars“ erklingt erneut in englischer Sprache. Eigentlich wollte Teitur sein Werk „All The Lonely People“ nennen, weil alle Songs aus der Perspektive unterschiedlicher, auf sich gestellter Menschen geschrieben sind. Trotzdem handelt es sich hierbei nicht um ein Konzeptalbum, sondern ein „Kontextalbum“, so Teitur. Der Sänger, Pianist und Gitarrist begann sich früh für so unterschiedliche Musiker wie Steve Reich, Kim Gordon, Miles Davis, John Coltrane, Bob Dylan und Leonard Cohen zu interessieren. Das ist auch in seinen Folk-Songs zu hören.

Langsam stellt sich doch die Frage, warum die skandinavische Musik ein solches Phänomen ist, warum immer wieder so schöne Melodien und Geräusche von jenen Inseln kommen. Liegt es daran, dass sie nah an ihrer Tradition bleiben, dass so viel schöne atemberaubende Natur um sie herum ist, dass große Naturschauspiele an der Tagesordnung sind? Beantworten kann das sicherlich niemand wirklich, aber wenn man sich Teitur anhört, braucht man auch keine Antwort. Die Songs handeln zum Beispiel von den Betrachtungen eines Mannes, der in einer Sternwarte lebt („Waiting For Mars To Come Out“), in „Thief About To Break“ geht es um einen Einbrecher, der wie eine streunende Katze allein auf sich gestellt ist. Alle Songs auf „Stay Under The Stars“ handeln auf die eine oder andere Art von Menschen, die in ihrer Situation aufgehen und ihre Kraft aus dem Alleinsein beziehen. Und da jeder Mensch in irgendeiner Situation seines Lebens allein ist, wird sich jeder in dieser Musik wiederfinden und hineindenken können. So, als würde man am Strand unter dem Sternenhimmel sitzen und aufs Meer schauen. (MS - Erstveröffentlicht bei hurricanebar.de)