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Sofie Lichtenstein: Bügeln. Protokolle über geschlechtliche Handlungen




November 2006
Marc Degens
für satt.org


Huah!:
Was machen Huah! jetzt?

1990 (Neuveröffentlichung 2005)

Huah!: Was machen Huah! jetzt?
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Huah!:
Scheißkapitalismus

1992 (Neuveröffentlichung 2006)

Huah!: Scheißkapitalismus
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HUAH!

Die Gruppe heißt „Elektrikchina“, wird Mitte der achtziger Jahre im Kreis Dithmarschen in Schleswig-Holstein gegründet und orientiert sich musikalisch an den „Stray Cats“, „The Clash“ und „The Cure“. „In einem 3000-Seelen-Dorf ist es schwer für einen Außenseiter“ singen sie 1990 auf ihrer Debütplatte, die bei dem noch blutjungen Hamburger Label L’Age D’Or erscheint, das für die Entwicklung und den Einfluß der so genannten „Hamburger Schule“ später von zentraler Bedeutung sein würde. Inzwischen ist die Band, deren Mitglieder sich Namen wie Nixe, Walding und Sonny Motor geben, nach Hamburg umgezogen und nennt sich nach einem Lautwort aus einem „Clever & Smart“-Comic „Huah!“. „Huah!“ spielen fröhliche Rockschlager mit „Twingel Twangel-Beat“ und fantastischen, an „The B52’s“ geschulten Chorarrangements. Die Musik ist unbeschwert, melodiös und mitreißend, die Gassenhauer der Band sind eine Aufforderung zum schwungvollen Paartanz. „Huah!“ singen von der Liebe, berichten von den Mühen des Alltags, die Geschichten wecken mitunter Assoziationen an die frühen Spielfilme von Detlev Buck. Das Ganze wird dargereicht mit viel Humor, einer Prise Sozialkritik, feinem Augenzwinkern und kübelweise Albernheit: „Ich bin ich, ich töte meinen Vater. Ich bin ich, ich schlaf mit meiner Mutter. Ich bin ich, ich versteh mich nicht“ verrät etwa der inzwischen zu Wald mutierte Walding im „Sigmund-Freud-Song“ auf dem 1992 erschienenen, zweiten und vorläufig letzten „Huah!“-Album „Scheiß Kapitalismus“. „Huah!“ singen deutsch, ihre Texte erinnern an die der „Ärzte“, stellenweise auch an die der „Goldenen Zitronen“ – das Werk von „Huah!“ ist aber doch ganz anders und eigen.

Wenngleich der kommerzielle Erfolg ausbleibt und sich die Band kurz nach Fertigstellung der „Scheiß Kapitalismus“-Platte auflöst, ist ihr Einfluß auf die deutschsprachige Popmusik der neunziger Jahre und insbesondere auf den Musikstandort Hamburg nicht zu unterschätzen. Der „Huah!“-Song „Die 10 Uhr Show“ ist eine der raren Coverversionen im Repertoire der Hamburger Schule-Vorzeigeband „Tocotronic“, und „Tocotronic“-Sänger Dirk von Lowtzow erklärte, daß „Huah!“ für ihn seinerzeit der ausschlaggebender Grund gewesen sei, von Freiburg in die Hansestadt überzusiedeln. Auch nach ihrer Auflösung machen die „Huah!“-Mitglieder weiter von sich reden: Nixe wird Diana Diamond und singt bei den Mobylettes, Sonny Motor trommelt einige Jahre bei „Fink“, Mense Reents gründet „Stella“ und „Egoexpress“ und spielt bei „Die Regierung“, „Das neue Brot“, „Die Goldenen Zitronen“ und unzähligen anderen Bandprojekten mit. Wald nennt sich fortan Knarf Rellöm und entwickelt über die Jahre einen eigenwilligen, textlich und musikalisch zitatreichen Elektropunksoulmix, gemeinsam mit DJ Patex und Viktor Marek veröffentlichte er soeben unter dem Namen „Knarf Rellöm Trinity“ das funkige, aufregende und stellenweise absolut nervtötende Album „Move your ass and your mind will follow“. Bernadette La Hengst wiederum spielte ebenfalls bei den „Mobylettes“, gründete die Frauenband „Die Braut haut ins Auge“ und startete 2002 eine Solokarriere, die mit der Veröffentlichung ihres zweiten, genialen Albums „La Beat“ im letzten Jahr einen vorläufigen Höhepunkt erreichte. Nebenher agiert La Hengst in der Bühnenshow „Das populistische Paradies“, einer „Plattform für Größenwahn und Erlebnispopulismus“, und verteilt in Berliner U-Bahnen Geld an Umherstehende. Einzig die Spuren der „Huah!“-Gründerin und Schlagzeugerin Claudia Bollig verliefen nach ein paar Jahren im Sande. Letztes Jahr nun wurde das „Huah!“-Debüt „Was machen Huah! jetzt?“ erstmals auf CD wiederaufgelegt, in diesem Jahr folgte die Neuveröffentlichung von „Scheiß Kapitalismus“. Darauf zu finden sind auch zwei zu Herzen gehende Liebeslieder mit den wundervollen Refrains „Du bist wie ein fremder Planet, so anders als das Land in dem ich lebe“ und „Was soll ich mit der Welt, wenn ich dich nicht hab?“. Am 5. Dezember haben die Fans die nächste Gelegenheit, „Huah!“ in annähernder Originalbesetzung auf der Bühne zu erleben:

Releaseparty von Andreas Michalkes "Bigbeatland" im Festsaal Kreuzberg, Berlin

Im Rahmen der Verbrecherversammlung wird am Dienstag, den 5. Dezember im Festsaal Kreuzberg das Erscheinen des Comicbands "Bigbeatland" von Andreas Michalke gefeiert. Es spielt die Hamburger Band Huah! mit Bernadette La Hengst, Nixe und Knarf Rellöm. Als weiteren Höhepunkt gibt es eine Aufführung von ausgewählten Szenen aus "Bigbeatland", präsentiert vom eigens dafür gegründeten Bigbeatland Puppentheater Ensemble.

Ort: Festsaal Kreuzberg, Skalitzer Str. 130, D-10999 Berlin-Kreuzberg, U-Bahn Kottbusser Tor
Beginn: 20.30 Uhr



Erstveröffentlicht in der F.A.Z. vom 11. November 2006.