George Lindt: Provinzglück
Der Wahlberliner George Lindt betreibt seit einigen Jahren das Label Lieblingslied Records, auf dem Sampler mit Lieblingsliedern berühmter Menschen veröffentlicht werden, aber auch Jim Avignons Bilder-und-Musik-Projekt “Scratchbook” und DVDs über Berliner Straßenmusiker (“Berlin Analog”) und Poetry Slams (“Poetry Clips”). Aber George kümmert sich nicht nur um die Werke anderer Leute, er selbst dreht zum Beispiel Dokumentarfilme und schreibt Bücher. Zuerst unter weiblichem Pseudonym, dann selbstbewußt unter eigenem Namen. Kürzlich ist beim Fischer Verlag “Provinzglück” erschienen, ein Roman über einen Wahlberliner, der an seinem 30. Geburtstag ein lukratives Jobangebot aus ebender Provinzstadt erhält, der er vor nicht allzu langer Zeit entflohen ist … ein Schelm, der Autobiographisches in der Geschichte zu erkennen glaubt. Auf seinem Label hat George Lindt für sein Buch nun ein Rundum-Glücklich-Package geschnürt, an das sich große Plattenfirmen niemals wagen würden: Auf zwei CDs liest Christian Ulmen (genau der, “mein neuer Freund”) den Roman, auf einer DVD gibt es Videoclips zu sehen, die zwar nicht konkret mit dem Text in Verbindung stehen, aber den Musikgeschmack des Autors repräsentieren: Die Sterne sind dabei, Andreas Dorau und Stereo Total, Adam Green und Jim Avignon und einige mehr. Hier kommt ein Interview mit George Lindt, der uns mal erklären sollte, wie man ein solches Projekt verwirklicht:
Wenn Du Dich für eine Sache entscheiden müßtest, worauf könntest du am wenigsten verzichten - Label, Bücher schreiben, Filme machen?
GL: Ich finde es immer spannend, Ideen in Konzepte zu verwandeln und zu
realisieren. In dem Punkt unterscheiden sich die Projekte ja nur im Medium.
Vielleicht wird es die Doppel-CD “Protestsongs” nochmal in einer ganz anderen
und viel umfangreicheren Form als Buch geben - vorstellbar wäre aber auch
ein Dokumentarfilm zu dem Thema. Ich könnte nicht darauf verzichten, Ideen in Konzepte umzusetzen. Vielleicht ist das Buch aber das unabhängigste Medium und mir zur Zeit das liebste …
Solch' aufwendige Projekte wie Dein "Provinzglück" gibt es sonst nirgends - wie kamst du auf die Idee, Hörbuch, DVD, Livelesung etc. zusammenzupacken? Ein anderes Label würde abwinken und sagen, das ist ruinös …
GL: Der Hintergrund ist, daß ich nur CDs, Bücher und Filme produzieren möchte,
die ich mir auch selber kaufen würde. Ich finde nichts schlimmer als lieblos produzierte Veröffentlichungen. Sich ständig am Rande des Ruins zu befinden, ist für mich nichts neues. Beschissener würde ich mich fühlen, wenn ich mit Schrott viel Geld verdienen würde. Meine Veröffentlichungen sollen Leute auf eine Entdeckungsreise schicken und das Interesse nachfühlen können, was ich damit verbinde. Schön würde ich es finden, wenn sich die großen Medien (TV, Radio, Print) es eher schätzen und beachten würden in Ihrer Arbeit. Leider gilt ja aber immer mehr das Gesetz “Artikel gegen Anzeige”. Schlußendlich liegt der Ruin in dieser Medienpolitik und in Handelsketten wie Saturn/"Geiz ist geil", die alle Veröffentlichungen, die nicht in ihre Schemata passen, grundsätzlich nicht ins Programm nehmen. Das führt zur "Deichmannisierung"!
Wie autobiographisch ist "Provinzglück"?
GL: Sicherlich steckt in “Provinzglück” viel von mir und meinem Leben drin. Man
sollte aber nicht immer versuchen, den Autor hinter dem Buch zu sehen, sondern die Inhalte des Romanes für sich stehen lassen. Die ganze Kritik und Ambivalenz, die in dem Buch stecken, kann man vielleicht nicht gleich erkennen. Ich denke, es ist ein ganz stilles Buch. Thomas Brussig hat es ganz gut erkannt. (Brussig lobt “Provinzglück” in einem Interview ausführlich. Anm. cm) Das Hörbuch mit DVD geht da noch ein ganzes Stück weiter und bringt die visuelle Seite in Spiel und natürlich die Meinung anderer, wie Stereo Total, Schneider TM, Christian Ulmen usw.
Wie kamst du mit Christian Ulmen zusammen - seid Ihr befreundet?
GL: Christian war mein absoluter Favorit für dieses Hörbuch. Ich finde ihn in
seiner Arbeit und vor allem persönlich einen sehr interessanten und
symphatischen Menschen. Während der Produktion von “Provinzglück” war gerade
Premiere von “Elementarteilchen” und er drehte währenddessen “FC
Venus”. Vielleicht haben wir während der Aufnahmen fürs Hörbuch zu viel Currywurst gegessen. Auf jeden Fall möchte ich ihn nicht als "Mein neuer Freund"!
Was macht Berlin so anziehend? Ich habe den Eindruck, als würden alle Kreativen aus ganz Deutschland dorthin abwandern - entsteht in Berlin ein Künstlerghetto?
GL: Ich denke, es gibt anteilig genauso viele kreative Berliner, wie es anderswo
kreative Menschen gibt. Schlußendlich bin ich aus meiner Heimatstadt Marburg
weg, weil man dort auf wenig Gleichgesinnte trifft und die Möglichkeiten
extrem begrenzt sind. Es kann keinen großen kreativen Ausstausch geben und
alle finden einen immer exotisch … man wird eher kritisch beäugt, als daß
sich vielleicht mal die Oberhessische Presse oder das Stadtmagazin freut, daß da mal jemand ist der was macht … In Berlin und vielleicht auch in Hamburg findet man sofort Leute, die ähnlich denken und ähnliche Dinge machen und wahrscheinlich hat man hier mit den gleichen Dingen mehr Erfolg, als wenn ich die noch in Marburg machen
würde …
Wo trifft man dich in Berlin?
GL: Die meiste Zeit verbringe ich bei mir zu Hause, bin aber oft in einem schönen Café im Prenzlauer Berg, wo ich Leute treffe - nicht, weil ich mich mit denen dort verabrede, sondern weil man sich da gewollt zufällig trifft und über alles spricht, vor allem über neue Ideen. Man schaut sich Filme in der Phase der Entstehung an, oder wie jemand über seine neue Ausstellung nachdenkt oder sein neues Album. Man leiht sich gegenseitig Geld, weil keiner wirklich was hat und hilft sich und bewundert sich gegenseitig dafür, daß man in Zeiten von "Hartz" noch durchhält und seine Ideen dennoch nicht
aufgibt …
Welches ist Dein Lieblingslied?
GL: Meine ganze Plattenfirma heißt so. Für mich gibt es keine gute und schlechte
Musik. Es gibt für mich nur Musik, die mich gerade kickt oder eben nicht. Das
kann jede Richtung sein! Gerade schwanke ich zwischen Puppetmastaz, Belle &
Sebastian und Joyside.
Gibt es Lieblingslied-Projekte, die du verworfen hast oder verwerfen mußtest?
GL: Leider viel zu viele, weil ich immer am Existenzminimum bin und manchmal
auch Miete und Krankenversicherung zahlen muß und auch Finanzamt und so
wahnsinniges Zeug.
Was gibt's demnächst bei Lieblingslied Records?
GL: Als nächstes kommt Susannes (Halbleib, Anm. cm) und mein Dokumentarfilm “Beijing Bubbles – Punk und Rock in Chinas Hauptstadt” bundesweit ins deutsche Kino (wahrscheinlich im April). Außerdem mache ich eine CD für den PONS Sprachkurs-Verlag zusammen mit Stereo Total und Wir sind Helden und den Einstürzenden Neubauten. “Poptastic Conversation” wird sie heißen. Für den DGB schreibe ich gerade ein Buch über die Geschichte des deutschen Arbeiterliedes.