Blues, bewaffnet
Sandy Dillon
im Quasimodo Berlin
(05. Dezember 2006)
“Ich will etwas Nacktes auf die Bühne stellen, das die Zuschauer dann anziehen.”
(Die Presse, Wien, November 2006)
Oft werde sie gefragt, wie sie zu ihrer Stimme, diesem Organ zwischen Diamanda Galás und Captain Beefheart, gekommen sei. Zur Erklärung legt sich Sandy Dillon kurz die Hände um den Hals. Erzählt aus ihrer Kindheit in Boston, unter irischstämmigen Katholiken. Jedes Jahr zu Ostern die selben Umzüge, die selbe hochgeschlossene Tracht, die den Hals einschnürte und das Luftholen zum Kraftakt machte. Ob Dillon, hypothetisch gesprochen, eine gute Kirchgängerin abgeben würde, sei dahingestellt. Priesterin ist sie allemal.
Das Quasimodo, Berlins Club mit dem freundlichsten Tresen nebenbei, scheint sie anzuziehen, die auf die eine oder andere Art Versehrten. Mitte Oktober hat David Thomas auf der Bühne gestanden, mit WICK VapoRub, Remy Martin und Camel mit abgebrochenem Filter (ungefähr in dieser Reihenfolge) eine Erkältung bekämpft und ein unbeschreibliches Pere Ubu-Konzert zustande gebracht. Was Sandy Dillon auf der Bühne anstellt, ist mit dürren Worten genauso unbeschreiblich. Als erstes fällt freilich ihr in einen Gipsverband gehüllter rechter Unterarm auf. In Frankfurt am Main sei es geschehen, soviel ist in Erfahrung zu bringen. Egal, die 46jährige hat sich in ihrem Leben eine ganze Menge zugemutet. Andere würden den Gig absagen. Nicht so Sandy Dillon. Es gibt reichlich Dämonen, die ausgetrieben werden müssen.
Die Messe findet statt mit Hilfe eines seltsamen Instrumentariums. Ein altertümlicher Synthesizer steht auf der Bühne, Farbe: Rot. Daneben ein betagtes E-Piano, Farbe: Schwarz. Auf ihm noch einmal ein kleines Daumenklavier. Eine Gitarre, ein Schlagzeug. Davor eine einzelne Standtrommel. Mehr nicht – die große Besetzung, die Dillons jüngstes Album Pull The Strings aufgenommen hat, darunter Tom Waits Saxofonist Ralph Carney, konnte nicht komplett auf Reisen gehen. Wenige Minuten, und es wird klar, dass Sandy Dillons Trio, Mott The Hopples Ray Mayors an den Saiten und Sir Eddie Real von den Alabama 3 an den Trommelstöcken, auch in reduzierter Variante dem Blues zurückgeben, was ihm von, hier bitte Namen der Wahl einfügen, gestohlen wurde: den Aufstand, die Nacht und den Lärm. Bei Schlagzeugern auf Jazz anverwandten Konzerten wird gerne davon gesprochen, sie würden einen Rhythmusteppich weben. Real webt nicht, er arbeitet wie der Heizer einer Dampflok auf Hochtouren, Mayors lässt die Gitarre klingen, als wolle er Woody Guthries Drohung (“This machine kills fascists”) Wirklichkeit werden lassen.
Dillon springt zwischen ihren Tasteninstrumenten hin und her, deren Pedalen nach kurzer Zeit mit Gaffer-Tape befestigt werden müssen, bewegen sie sich doch bedrohlich in Richtung Bühnenrand und Publikum. Bald wird auch klar, was die einsame Trommel in der Bühnenmitte zu suchen hat. Sie ist für Dillon reserviert, die darauf einarmig, wie ein glücklicher Kobold, spielt. Ihr Gesang ist von einem Moment zum anderen verführerisch und bedrohlich, sie haucht und flüstert, kreischt und schreit. Von der Liebe, die gerade mal eine Woche jung ist. Davon, wie sie gleichzeitig zu Jesus und zu Satan betet. Schließlich weiß man nie, wer als erster, wer besser antwortet. Von den Dingen, die gründlich und endgültig scheitern. Harter Stoff, und es besteht die Gefahr, in dem fröhlich wütendem Treiben die Inszenierung zu suchen. Fehlanzeige, Dillon weiß, wovon sie singt, kennt das Personal ihrer Lieder selber gut genug. Ein volles Jahr hat sie in einem Londoner Hospital verbringen müssen: auf 39 Kilo abgemagert, Diagnose Krebs, dazu die Krankenhausinfektion MRSA und eine Autoimmunkrankheit. In der Zeit habe sie gelernt, dass Musik ein Mittel zum Überleben sein kann. Bevor es sie traf, ist ihr Mann, der Gitarrist Steve Bywater, lange an Multipler Sklerose leidend, einem Herzinfarkt erlegen. Auf Pull The Strings ist er noch einmal mit dem wunderbaren Baltimore Oriole zu hören. Das sind sie, die ganz und gar irdischen Dämonen.
Sandy Dillon, in diesem Jahr hat sie ihren 46. Geburtstag gefeiert und sieht dabei erheblich jünger aus, ist der lebendige Beweis, dass sie besiegt oder wenigstens gebannt werden können. Genauso wie die Erinnerungen an die Zeit, als sie ihr Geld als Pianistin in New Yorker Schwulenbars verdienen musste, an die Idioten, die ihre ersten Kompositionen für Pornofilme verwendeten. Das immerhin erfolgreiche Schlangestehen beim Casting für die Rolle Janis Joplins in einem Broadway-Musical. Unter den Wartenden übrigens eine sehr selbstbewusste Madonna Louise Ciccone, die darauf bestand, dann doch lieber Debbie Harry spielen zu wollen. Vergangenheit, wie die ignoranten Plattenfirmen, die Dillon, Absolventin der Berkeley School of Music, in den Achtzigern zur zweiten Madonna aufbauen wollten. Worauf sie die Flucht nach England antrat. Sie liebe Inselmentalität, meint sie. Im Koffer mit ihren Inselplatten dürfen, von ihr bekräftigt, vermutet werden: Björk, Lydia Lunch, Billie Holiday, Tom Waits, Nick Cave, Will Oldham, Scott Walker, Hector Zazou. Und natürlich Don Van Vliet, der Captain. Dessen This is the day Sandy Dillon im Zugabenteil spielt. Garantiert ungewöhnlich.