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Dezember 2006
Christina Mohr
für satt.org

Faithless: To All New Arrivals

They are Family

Der Titel des neuen Faithless-Albums „To All New Arrivals“ bezieht sich auf verschiedene Arten des Ankommens: Mastermind Rollo und Synthesizergöttin Sister Bliss haben Kinder bekommen. Maxi Jazz hat sich ein neues Rennauto gegönnt. Und es geht um Menschen, die weit reisen mußten, um in der Fremde ein neues Leben zu beginnen. Freiwillig oder nicht. Soviel zum Überbau.

Faithless:
To All New Arrivals

Columbia, SonyBMG 2006

Faithless: To All New Arrivals

Das Album beginnt mit einer per Telefon übermittelten Liebesbotschaft, die offen läßt, ob die Anruferin die angedeutete Katastrophe, deren Zeugin sie ist, überleben wird. Elternschaft und Erwachsenwerden haben die Prioritäten im Faithless-Universum neu geordnet – dafür spricht auch der Vergil-Vers im Booklet: Sunt Lacrimae rerum et mentem mortalia in tangunt (= Die Dinge haben Tränen und der Tod berührt unseren Geist). Aber Faithless zünden für Hoffnung und Liebe eine Kerze an: der wärmste aller Dancesounds setzt ein, durch den das DJ- und Producerkollektiv aus London auf der ganzen Welt zum Megaact wurde. „Bombs“ heißt die Single, die mit bewährt einfachen, aber eindringlichen Botschaften gegen das Böse und für das Gute in der Welt plädiert. Maxi Jazz' Kofi-Annan-Stimme und die vertraut pluckernden Synthies lassen diesen Track klingen, als hätten sich Moby, Rökyksopp und eben Faithless für eine Benefiz-Weihnachtssingle zusammengefunden: „We are children, we are dust, we are small, we are lost …“ heißt es im Text und genau, die Kinder! Kinderfreundlich und kindgerecht klingt dieses Album fast durchgehend, und die kleinen Racker Nate und Little Rogue sind mehrfach zu hören. Die omnipräsenten family values unterstreichen, dass Faithless mit „To All New Arrivals“ endgültig im Erwachsenenfach (für Eltern mit Kindern selbstredend) angekommen sind. Man geht nicht mehr so oft tanzen, und die Kinder sollen nicht von zu lauter Musik aufgeweckt werden.

„Spiders, Crocodiles & Kryptonite“ featuret ein langes Sample des langsamsten Tanzhits aller Zeiten: „Lullaby“ von The Cure ist hier ausgiebig zu hören und der echte Robert Smith dazu!

„Music Matters“, ein zurückhaltender Ambienttrack, wird von Gastsängerin Cass Fox eindrucksvoll abgerundet; „Last This Day“ kann gleich weitergeklickt werden, weil hier Dido singt und unschöne Erinnerungen an ihre sattsam bekannten Radiohits wie „Life for Rent“ weckt. „I Hope“ beginnt dunkel, dräuend, erst nach gut zwei Minuten nimmt der Track etwas Fahrt auf, bleibt im Gesamteindruck relaxed und chillig. Der Titeltrack „To All New Arrivals“ setzt sich mit Globalisierung, Kindersterblichkeit, AIDS und anderen tödlichen Krankheiten auseinander und ist ein typischer Faithless-Awareness-Track. Mit Song Nummer acht geht es auf einmal richtig los: „Hope & Glory“ baut auf dunklen, lässigen Synthiesounds auf, Maxis Stimme bekommt mehr Drive und Faithless erinnern sich daran, dass sie mit „Insomnia“ und „God Is A DJ“ einst große Dancehits hatten. Klackend und schnarrend beginnt „A Kind of Peace“, das den Tanzimpuls wieder etwas zurücknimmt. Durch die Stimme von Chan Marshall alias Cat Power entwickelt dieser Song einen brüchigen, hypnotischen Charme und wird so zum zarten Höhepunkt des Albums. „The Man in You“ wird stimmlich von LSK unterstützt, der seit dem Album “No Roots“ von 2003 mit an Bord ist. Hier hört man jazzige Töne und warme, freundliche Handclaps mit zartem Ragga-Einschlag. Der letzte Track „Emergency“, fast acht Minuten lang, baut sich langsam auf und entwickelt einen Körper wie zwölf Jahre alter Cabernet; satt, voll und tanzbar. Gitarren, Trompeten, Schweineorgeln und viele weitere Ingredienzien sorgen für spannende Details. „Emergency“ liefert den Breitwandsound, den man von Faithless gewöhnt ist und liebt. Gott arbeitet doch manchmal noch als DJ. Wenn er einen Babysitter findet.