Love Is All
The Long Blondes
Nach dem sattsam ausgewalzten Revival der Boy-Beatbands deutet sich nun die Wiederbelebung eines Bandmodells an, das mit Blondie zur Zeit ihrer ersten Platte einen ewigen Archetypus besitzt: sehr präsente Sängerin vulgo „Frontfrau“, knackige Kapelle im Hintergrund mit deutlichen Sixtiesanleihen in Sound und Style. In diesem Jahr machten The Pipettes* bereits schwer Furore mit ihrer augenzwinkernden, stets gefälligen Polkadot-Girlgroup-Performance und sie werden erst der Anfang sein! In den späten achtziger Jahren gab es schon mal eine regelrechte Welle solcher Bands, vornehmlich aus England: Voice of the Beehive, The Darling Buds, The Sundays, Transvision Vamp, The Primitives – only to name a few. Die Mischung aus Teenage dreams und -kicks, Punkattitüde und einprägsamen Melodien klingt auch heute noch bezaubernd: wer Platten der oben genannten im Secondhandladen entdeckt, sollte zugreifen. Als Speerspitzen des neuen Girlwonders werden hier exemplarisch Love Is All und The Long Blondes vorgestellt. Bei beiden Bands siegt die Neudefinition von bereits Dagewesenem über reine Nostalgie, ihre Debütalben lassen wieder auf eine große Zukunft des Pops hoffen.
Aus Schweden stammen Love Is All, die überhaupt nicht wie eine schwedische Popband klingen. Sie hören sich nämlich keineswegs glatt und perfekt an, sondern wild und hysterisch. „Talk Talk Talk Talk“, erster Song ihres Debütalbums „Nine Times That Same Song“ bläst einen schier um: wildes Saxofon trifft auf Poly Styrenes Tochter in Geist und Stimme, Josephine Olausson kreischt derart sexy und energiegeladen, so dass man umgehend infiziert wird. Bitte keine Angst vor dem Saxofon, Fredrik Eriksson klingt wie Roxy Music zu ihren wilden Zeiten, nicht wie Spandau Ballet! Das beste an Love Is All aber ist: ihre Platte beinhaltet keinen einzigen Hänger. Furios und ungeduldig prescht die Band durch zehn Songs, die deutliche Siebziger- und Achtzigerreminiszenzen aufweisen, was die Freude kein bißchen schmälert. Und sie wissen, wann Schluß ist: mehr als eine halbe Stunde brauchen Love Is All nicht, um Energie, Wildheit und die Aussicht auf ein aufregendes Leben über den Hörern auszukippen. Love Is All besitzen neben musikalischer Unerschrockenheit auch jede Menge schrägen Humor, „Ageing Had Never Been His Friend“ beginnt mit der schönen Zeile: „I keep the one I love in the freezer / if you wish I let you look“; die nach vorne drängenden Drums und janglenden Gitarren verleihen diesem Song Superhitqualitäten, genauso wie dem nächsten: „Turn the Radio Off“ kommt etwas getragener daher und erinnert mit charmantem Xylophon-Geklimper an die Altered Images (deren pophistorische Würdigung noch aussteht) mit der göttlichen Clare Grogan. „Used Goods“ stürmt wieder voll nach vorne, ein stoischer Bass trifft hier auf bewußt billige Synthieloops. Pure Tanzenergie wird bei „Busy Doing Nothing“ entfesselt, „Make Out Fall Out Make Up“ definiert den Begriff „Trommelwirbel“ im Handstreich neu. Das basslastig dräuende „Felt Tip“erzählt zu urban-metallischem Sound die Geschichte eines Sprayers, dessen Laufbahn mit Filzstiftkritzeleien anfängt, bis er Bekanntschaft mit der prägenden „spray can“ macht. „Spinning & Scratching“ beginnt mit einem bei The Jam geklauten, ähem, entliehenen Riff, das Saxofon trötet fröhlich dazwischen. Melancholischer wird es bei „Turn the TV Off“: „I'm wasting my life just watching the TV, I gotta get myself together, got to be something's that's better“ singt Josephine. Ennui hält Einzug, doch glücklicherweise nicht allzu lang: beim letzen Song „Trying too Hard“ haben Love Is All ihre Lebensfreude wiedergefunden. Zur Sixtiesmelodie werden die Haare geschüttelt, nichts wie runter vom Sofa und punkrockig-belebt raus auf die Straße!
Etwas cooler und abgeklärter, sagen wir, erwachsener klingen The Long Blondes aus Sheffield. Vielleicht verleiht die einfache Tatsache, in Sheffield zur Welt zu kommen, Coolness von vornherein: Pulp stammen aus der Stahlstadt auf den sieben Hügeln, The Human League, Joe Cocker (!), die Arctic Monkeys und Cabaret Voltaire, deren Song „Nag nag nag“ die Long Blondes in einem Backgroundchorus zitieren. Das Long-Blondes-Universum besteht ferner aus Scott Walker, Man Ray, Edie Sedgwick und unantastbaren Ikonen wie Faye Dunaway, die sie als Covergirl verwenden. The Long Blondes sind drei Frauen und zwei Männer, niemand ist blond – „blond“ im Sinne von Blondie steht hier für eine Haltung, tongue-in-cheek-Humor, der einen würdevoll immer wieder von vorn anfangen läßt, wenn die weniger coolen sich schon längst aufgegeben haben.
Die ersten Sekunden des Openers „Lust in the Movies“ lassen erkennen, daß hier eine künftige Supergroup á la Franz Ferdinand zum Tanz aufspielt. Druckvolle Drums, Joy-Division-hafte Gitarren und die dunkle, kraftvolle Stimme von Kate Jackson ergeben eine hinreißende Mixtur. Die Detroit Cobras und Blondie können der Orientierung dienen, müssen aber nicht. Jackson nimmt die Rolle der älteren, erfahrenen Schwester ein, besonders eindrucksvoll in „Once and Never Again“: „Nineteen, you're only nineteen for god's sake / you don't need a boyfriend“ singt sie beschwörend und überzeugend um dann zu resümieren: „I know how it feels to be your age / oh, how I'd love to feel a girl your age …“. Songs wie „Only Lovers Left Alive“ und „Giddy Stratospheres“ sind perfekte Hits mit catchy Melodien, die sofort haften bleiben. The Long Blondes klingen wavig-kühl, besitzen aber flammende Herzen. Sie sind längst keine Teenager mehr, wissen aber noch genau, wie es sich anfühlt und wissen auch: man wird auch als Erwachsene/r nicht schlauer, die Fehler, die man aus Liebe tut, bleiben die gleichen. „She'll never take you to / giddy stratospheres / I'll confirm your tears“ heißt es in „Giddy Stratospheres“ und man ahnt, dass der Typ ziemlich bescheuert gewesen sein muss, der Kate Jackson wegen „that dead-eyed bitch“ verließ. Aus Erfahrung weiß sie, dass die Freundin immer „someone to drive you home“ haben wird und dass „another weekend without makeup, another evening to myself“ die ersten Schritte auf dem Weg zum „fifties housewive“ sind. The Long Blondes vereinen die große, glamouröse Popgeste von ABC mit dem bitteren Humor von Pulp, zitieren Achtzigerwave und Sixtiesbeat und sind – ohne Zweifel – eine der kommenden großen Bands aus Sheffield/Yorkshire.
* die in diesen Artikel nicht hundertprozentig passen, da The Pipettes
eine reine Frauenband sind. Check them out:
www.thepipettes.co.uk