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Januar 2007
Christina Mohr
für satt.org

Bernd Begemann: Ich werde sie finden

Über Bernd Begemann ist scheinbar alles gesagt, jeder meint, ihn zu kennen: aufgewachsen in Bad Salzuflen als Adoptivsohn des ortsansässigen Tierarztes Begemann. Punk geworden, nach Hamburg gegangen und seitdem mit beiden Städten untrennbar verbunden durch Songs wie “Bad Salzuflen weltweit” und “St. Pauli”. Auch wenn er nie zum Bestselling Artist wurde, kann Begemann auf seine grosse, treue Fanschar vertrauen, die alles liebt, was er tut. Der “elektrische Liedermacher” spielt über 100 Konzerte im Jahr, zur Hälfte mit seiner Band Die Befreiung, zur Hälfte allein. Die Auftritte sind berüchtigt: unter drei Stunden lässt Bernd sein Publikum nicht nach Hause. Die Texte muss er meist nicht selber singen, das erledigen die Fans. Seine Songs werden von den Prinzen, Echt und But Alive interpretiert, er schrieb die Texte für Jasmin “Blümchen” Wagners aktuelles Album “Die Versuchung”.

Ebenso intensiv und ruhelos wie seine musikalische Laufbahn verfolgt Begemann -zig andere Projekte, die nichts mit Musik zu tun haben: er testet und bespricht Videospiele für Zeitschriften, er macht einen Podcast über Filme (ohrensessel-filme.de). Unvergessen sind auch die Schlagernächte bei N3, als er mit der Siebzigerikone Marion Maerz sang und Highlights des deutschen Schlagers vorstellte wie zum Beispiel Cindy & Berts “Hund von Baskerville”, eine psychedelische Coverversion von “Paranoid”. Oder seine leider nur drei Folgen lang ausgestrahlte “Sonntagmorgen-Latenight-Show” Bernd im Bademantel: woher hat Olli Dittrich wohl die Idee für Dittsche? Na?

Bernd Begemann:
Ich werde sie finden

Begafon/Indigo 2006

Bernd Begemann: Ich werde sie finden

www.berndbegemann.de

Bernd Begemann gilt als drolliger Spassvogel, begnadeter Entertainer, Rampensau und Frauenheld, der mit lustigen Liedern wie “Kelly Family Feeling” seinen Ruf als knuffiger Barde festigt. So weit, so halbwahr. Wahr ist auch, dass viele Begemann-Songs bei aller Witzigkeit tiefe melancholisch sind. Davon kann man sich auf “Ich werde sie finden” überzeugen, BBs 15. Platte, die im Herbst erschienen ist. Das Album birgt viele Überraschungen. Der Untertitel “ein Pop-Singspiel in vier Aufzügen” läßt ein Hörspiel oder Konzeptalbum erwarten – die 19 Songs sind in vier Blöcke aufgeteilt, die “Bestimmt woanders”, “Fallgeschwindigkeit”, “Die Anfechtungen” und “Hinter diesen sicheren Zinnen” heissen. Die Lieder bilden einen Zirkel, einen Auf-und-Ab-Reigen, der sich von der ersten Verliebtheit über den Zweifel spannt, der Heimkommen- und Wiederwegwollen gleichermassen thematisiert. Die Unvereinbarkeit von sexueller Neugier und erwachsenem Sich-Niederlassen und der Sehnsucht nach Beidem. Schon der Opener “Wir sind 15” erzählt von Verzweiflung, Hoffnung und der Weisheit weiblicher Teenager: “Wir sind fünfzehn / und werden nicht zusammenbleiben / Du sagtest das / weil du die Vernünftigere warst / ich erinnere mich / dass du klüger warst”. Ist das vielleicht lustig? Nein, ist es nicht. Es zieht im Herzen, wenn man diese Zeilen hört. Wobei sich Bernd Begemann gegen sogenannte “schöne Melancholie” wehrt: “Es gibt keine 'schöne' Traurigkeit. Trennung, Schmerz, Verlassenwerden – das ist immer schlimm und niemals schön.”

Musikalisch klingt “Ich werde sie finden” variationsreicher als andere Begemann-Platten: Man hört Gitarrenpop, Elektrogefrickel und Achtzigerjahre-Synthie-Sounds, die an die frühen Human League erinnern. Es gibt Rock (“Immer wieder überrascht”) und ein schönes Duett mit der Hamburger Sängerin Regy Clasen (“Irgendwie klappt es mit uns”), die Bernd bei einigen Konzerten unterstützen wird. Produziert hat Thies Mynther, der andere hyperaktive Tausendsassa aus Hamburg. Seid Ihr befreundet, frage ich Bernd: “Musiker sind nicht miteinander befreundet. Mein bester Freund ist jedenfalls kein Musiker.”

Und hier leiten wir über zum Gespräch mit Bernd Begemann, das nach seinem Konzert in der Frankfurter Brotfabrik stattfand. Das hippieeske Ambiente im Kulturzentrum Brotfabrik (grossflächige bunte Gemälde, leichter Öko-Weltmusiktouch) war ihm ein einziges Wort wert, das Bände sprach: “ETHNO, ich sage nur Ethno!!” - wo spielst du heute abend, Bernd? “Ich lebe für den Augenblick, deshalb will ich mir darüber noch keine Gedanken machen …in Hildesheim.” Apropos Hildesheim: warum hängst Du so an Hamburg, warum gehst Du nicht nach Berlin, so wie alle? “Ach Berlin ….Hamburg ist doch die Musikstadt – alle englischen Bands kamen zuerst hier an und wollten in Hamburg im Starclub spielen. Und zwar nicht nur nur die Beatles!”



Bernd Begemann on Tour:
12. Januar 2007 Hamburg, Knust +Band
13. Januar 2007 Köln, Blue Shell +Band
14. Januar 2007 Berlin, Roter Salon +Band
16. Januar 2007 Krefeld, Kulturrampe
17. Januar 2007 Trier, Exhaus
18. Januar 2007 CH-Basel, Parterre
19. Januar 2007 Ludwigsburg, Demoz
20. Januar 2007 Gießen, Jokus
23. Januar 2007 Halle, Objekt5
24. Januar 2007 Flensburg, Kühlhaus
27. Januar 2007 Melle, Alte Stadthalle
09. Februar 2007 Hamburg, Knust +Band
10. Februar 2007 Köln, Blue Shell +Band
11. Februar 2007 Berlin, Roter Salon +Band
09. März 2007 Hamburg, Knust +Band
10. März 2007 Köln, Blue Shell +Band
11. März 2007 Berlin, Roter Salon +Band
16. März 2007 Hannover, Musikzentrum +Band
29. März 2007 Chemnitz, Atomino
30. März 2007 Nürnberg, Club Stereo
13. April 2007 Hamburg, Knust +Band
14. April 2007 Köln, Blue Shell +Band
15. April 2007 Berlin, Roter Salon +Band
16. April 2007 München, Atomic Café +Band
11. Mai 2007 Hamburg, Knust +Band
12. Mai 2007 Köln, Blue Shell +Band
13. Mai 2007 Berlin, Roter Salon +Band
08. Juni 2007 Hamburg, Knust +Band
09. Juni 2007 Köln, Blue Shell +Band
10. Juni 2007 Berlin, Roter Salon +Band
13. Juli 2007 Hamburg, Knust +Band
14. Juli 2007 Köln, Blue Shell +Band
15. Juli 2007 Berlin, Roter Salon +Band
10. August 2007 Hamburg, Knust +Band
11. August 2007 Köln, Blue Shell +Band
12. August 2007 Berlin, Roter Salon +Band
14. September 2007 Hamburg, Knust +Band
15. September 2007 Köln, Blue Shell +Band
16. September 2007 Berlin, Roter Salon +Band
17. September 2007 München, Atomic Café +Band

CM: Du giltst als Vater der Hamburger Schule …

BB: Alle Bands, die behaupten, nicht zur Hamburger Schule zu gehören, zählen natürlich irgendwie dazu, Tocotronic, Blumfeld, die Sterne. Was die Hamburger-Schule-Bands eint, ist so eine Art Cut-up-Technik beim Texten: man beginnt mit einem sehr persönlichen Teil über die eigene Befindlichkeit, im nächsten Schritt ist man dann beim Allgemeinen.

CM: Wie arbeitest du?

BB: Ich arbeite sehr konzentriert und kristallisiert. Ich schreibe keine Kunstlieder wie Wire, die mich als Jugendlichen mit ihren Texten über Insekten nachhaltig beeindruckt haben. Ich habe viel zu viel Angst vor Prätention. Vieles in der aktuellen Popmusik ist prätentiöser Mist. Ich mag Bands wie Casanovas Schwule Seite (aus den Überresten der Punkbands Knochenfabrik und Wohlstandskinder entstandene Band /Anm. cm).
Ich liebe generell den Reichtum der Musik – es gibt so viele unterschiedliche Stile, die Aufmerksamkeit verdienen. Genauso ist es mit den Menschen: Kein Mensch ist wie der andere und alle sind gleich wichtig. So wie es Balzac in seinen Romanen gemacht hat: Es gibt keine Nebenfiguren, alle Personen werden mit der gleichen Leidenschaft dargestellt. Eine Sekretärin kann tausendmal charismatischer und interessanter sein als ihr Chef, der nur ein apathischer Fucker ist. Die meisten Menschen, ich würde sagen, 98 % bekommen zu wenig Anerkennung. Und Anerkennung sollten alle bekommen!

CM: Was rätst du jungen Bands?

BB: Bevor Ihr tiefsinnig werdet, schreibt erstmal ein Lied über das, was Euch Spass macht, übers Autofahren zum Beispiel. Grosse Worte machen kleine Lieder! Und vergesst die Popakademien - Geschulte Bands haben nicht viel zu sagen. Man kann nur gut und tight werden, wenn man häufig live auftritt. Die Bands der sechziger Jahre waren nur deshalb so gut, weil sie ständig live gespielt haben. In einer 'Popakademie' kann man vielleicht Kurse im Knuffigsein belegen oder in Creative-Writing. Aber Erfahrungen sammelt man so nicht.

CM: Du bist ja nicht mehr sooo jung …

BB: Diese ganzen alten Recken wie Ernst Jünger oder Luis Trenker sind nur deshalb über 100 Jahre alt geworden, weil sie morgens in Eiswasser gesprungen sind. Würdest du sowas machen? Ich bin nicht hypochondrisch, im Gegenteil. Vielleicht habe ich ja eine ernste Krankheit, aber das will ich gar nicht wissen. Ich bin so wie der schwarze Ritter aus Monthy Pythons 'Ritter der Kokosnuss', der auch ohne Arme und Beine dem König immer noch ein Unentschieden abringen will!

Bernd Begemann ist ein Mann der offenen Widersprüche, das zeigt sich unter anderem beim Themenkomplex Kultur und Technik: er ist der grösste Videospielefreak unter der Sonne, hält Serien wie die Simpsons für inhaltlich tausendmal bedeutender als modernes deutsches Theater, ist aber andererseits altmodisch genug, dass er nie von seiner “neuen CD” spricht, sondern stets von der “neuen Platte”. BB: “Das physische Produkt ist mir total wichtig. Hinter jeder meiner Platten stecken intensive Überlegungen, die den dramaturgischen Aufbau, die Ästhetik und Gestaltung betreffen – das ist auch bei 'Ich werde sie finden' so. Das ist keine Platte zum Nebenbeihören, die man im Hintergrund leise dudeln lässt. Diese Platte will Dein Freund sein, sie verdient Deine Aufmerksamkeit und überrascht Dich dafür ständig. Jedes Lied ist anders, man will wissen, wie es weitergeht!”

Einige Kritiker halten “IKEA-Falle” für ein albernes Lied, Bernd hält dagegen: “Es ist viel schwieriger, ein humorvolles Lied zu schreiben als ein trauriges. 'Mir ist kalt, die Welt ist schlecht' kriegt jeder hin. Ausserdem geht 'IKEA-Falle' sehr tief: viele Leute erkennen die faschistoiden Auswirkungen nicht, die sogenannte Inneneinrichtung á la IKEA hat! Ich schreibe Lieder über das Naheliegende.”

Ohne Verbitterung sinniert Bernd über das Scheitern – trotz seiner langjährigen Karriere, seiner enormen Beliebtheit und vieler Veröffentlichungen zweifelt er, sieht sein künstlerisches Konzept als ästhetisch gescheitert. BB: “Andererseits – wenn man bedenkt, dass in ganz Frankfurt kein Plakat hing, das auf das Konzert in der Brotfabrik hinwies und es kommen trotzdem 200 Leute, dann ist das natürlich ein Erfolg!”

CM: Viele Deiner Kollegen schreiben Bücher und sind damit sehr erfolgreich wie zum Beispiel Rocko Schamoni. Gibt es von Dir auch bald ein Buch?

BB: Rockos Buch finde ich super! Einen Text für ein Buch hätte ich sogar fertig. Aber ich liebe die Musik viel mehr als Literatur oder Filme, ich schreibe Lieder seit meinem siebten Lebensjahr. Deswegen mache ich weiter Platten, keine Bücher.

CM: Wie sehen Deine Zukunftspläne aus? Wirst Du das Countryprojekt mit Dirk Darmstädter (satt.org berichtete) weiterverfolgen?

BB: Ja, das ist geplant! Ich habe viel Kontakt zu Dirk, ich weiss, was ihn bewegt, wir treffen uns häufig. Und auf Englisch zu texten fällt mir auch ziemlich leicht. Ausserdem wird es in 2007 im Hamburger Knust wieder den Freitag der Befreiung* geben - diesmal mit einem anderen Konzept: Bei jedem Konzert wird ein komplettes Begemann-Album gespielt. Angefangen mit den alten "Antwort"-Sachen bis heute.

CM: Eine letzte Frage noch: Trittst Du lieber alleine auf oder mit Band?

BB: Hmmmm …. lieber allein.


* 2005 sind Bernd Begemann und die Befreiung an jedem ersten Freitag im Monat im Knust aufgetreten. Dazu hatten sie sich Gäste eingeladen, die jedem Konzert einen speziellen Touch gaben, zum Beispiel Jasmin Wagner alias Blümchen