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Sofie Lichtenstein: Bügeln. Protokolle über geschlechtliche Handlungen




Januar 2007
Christina Mohr
und Petra Zimlich
für satt.org

Female Voices – fünf Frauen, fünf Platten

Seit dem vergangenen Herbst ist Joanna Newsom, 24jährige Singer-/Songwriterin aus Nevada allgegenwärtig. Das gesamte deutsche Feuilleton scheint ihr und ihrem aktuellen Album „Ys“ rettungslos verfallen, einzig Karl Bruckmaier von der SZ wagte es, ihren mythischen Folk als „prätentiösen Scheiss“ zu bezeichnen. Ob man Miss Newsoms 20minütige Herr-der Ringe-Epen mag oder nicht, es wäre auf jeden Fall schade, wenn durch ihre Überpräsenz andere junge Sängerinnen überhört würden. Hoffen wir, dass das Gegenteil der Fall ist, und der Erfolg der Amerikanerin dazu führt, dass Künstlerinnen, die eher leise Töne produzieren, aufmerksam zugehört wird. Mit Nina Nastasia, Courtney Tidwell, Milenasong, An Pierlé und Juana Molina gibt es fünf interessante Stimmen zu entdecken. Alle verfolgen unterschiedliche Ansätze, gemeinsam ist ihnen jedoch: Sie überzeugen mit glaubhafter Präsenz, wenn auch in unterschiedlicher Qualität.


Nina Nastasia:
On Leaving

(Fatcat / rough trade)

Nina Nastasia, On Leaving
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Beginnen wir mit Nina Nastasia. Nimmt man ihr neues Album in die Hände, muss man schon mal als Erstes feststellen: Es ist von aussen eine Schönheit. Hatte sie bei Ihrem Debüt die Verpackung noch selbst gefertigt – so wird es zumindest kolportiert – ziert nun ein filigraner Scherenschnitt das Cover. Und der lässt bereits auf das Innenleben schliessen. Auf dem Album geht es wirklich filigran zu. Die in New York lebende Künstlerin setzt fort, was sie auf „Dog“ begonnen hatte: Eine konsequente Form des Songwritings, Folk in seiner sparsamen und minimalistischen Form. Erneut hat Nastasia mit Steve Albini zusammengearbeitet, das allein schon spricht für ihre Qualitäten als Musikerin. Mit im Studio war Nastasias Bühnenband bestehend aus Dylan Willems, Steven Beck, Jim White und Jay Bellerose. Zusammen mit der Band mischt sie klassische Singer-Songwriter-Stücke mit innovativen elektronischen Einlagen, manchmal gibt’s bewusste Disharmonien, Tempoveränderungen in verschiedene Richtungen. Klavier und Akustikgitarre sind die massgeblichen Instrumente. Im Vordergrund stehen jedoch stets und immer die Texte und die eindringliche Stimme Nastasias, die robust und zart zugleich, in jedem Fall aber sehr selbstbewusst klingt. Sie erzählt Geschichten, die alle angehen. Lebensnah aber ohne Pathos, depressiv und optimistisch zugleich. Unaufgeregt und für den ein oder anderen vielleicht manchmal monoton. Und hier setzt die Kritik ein. Denn sicher muss man sich auf die Songs einlassen, damit sie ihre volle Wirkung erzielen. Es scheint jedoch, dass es Nina Nastasia diesmal nicht gelungen ist, ein mitreissendes Paket zu schnüren. Einzelne Songs sind wunderbar, andere plätschern einfach so dahin. Die Intimität mit dem Zuhörer kommt nur schwer zustande. Das kann sie besser, wir wissen es von ihrem ersten Album. Und daher warten wir gespannt auf das nächste.


Courtney Tidwell:
Don’t let Stars
keep us tangled up

(!K7 / rough trade)

Courtney Tidwell, Don’t let Stars keep us tangled up
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Nicht warten auf die bessere Fortsetzung müssen wir bei Courtney Tidwell. Denn gleich bei den ersten Tönen ihres aktuellen Albums wird klar, dass man es hier mit einer aussergewöhnlichen Musikerin zu tun hat. Nichts wird auf diesem Album handlich auf dem Tablett präsentiert. Nein, die Musik von Courtney Tidwell muss man sich erschlie?en. Sie ist ein bisschen quer, ein bisschen disharmonisch, ein bisschen kantig. Aber von spektakulärer Qualität. Man fühlt sich an Björk erinnert. Zum Glück fehlt Courtney Tidwell diese schrecklich enervierende Art, die die Isländerin bisweilen an den Tag legt. Tidwell kommt aus Nashville, was sie auf ihrem Debütalbum Don’t let Stars keep us tangled up musikalisch nicht verleugnet. Allerdings blinken diese musikalischen Wurzeln eher im Hintergrund auf. Daneben Pop, Chanson, Folk. Courtney Tidwell mischt ein weites Spektrum und heraus kommt eine angenehme Form der Andersartigkeit. Die Expressivität, mit der sie die tieftraurigen Themen ihrer Songs wiedergibt, beeindruckt und schafft einen eigenen atmosphärischen Raum. Hier gibt es eine grosse weibliche Stimme, eine wirkliche Persönlichkeit zu entdecken, die Vergleiche mit Emiliana Torrini oder Stina Nordenstam nicht fürchten muss.


Juana Molina: Son
(Domino / rough trade)

Juana Molina, Son
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Das gleiche gilt für Juana Molina. Wobei sich bei Ihrem Album zuerst die Frage stellt: Singer-/Songwriting auf Spanisch? Das lässt erstmal nichts Gutes erahnen. Zu schnell kann ein solches Projekt in die unsägliche Ethnoecke abrutschen und die so genannte World Music um ein weiteres Album anwachsen lassen. Umso grösser die Ueberraschung bei den ersten Klängen der bereits im Sommer erschienenen Platte: Die ist richtig gut! Juana Molina aus Buenos Aires hat ein grosses Talent fürs Erzählen. Sie verbindet klassisches Songwritertum mit elektronischen Einflüssen und öffnet mit auf dem Keyboard programmierten Sounds viele Möglichkeiten für ihre Songs. Sie widersetzt sich allen Erwartungen. Heraus kommt ein sehr komplexes Album. Und das ist gut so. Die selbst produzierte Musik mischt Folk und Elektronika, verwischter brasilianischer Pop trifft auf herrliche Experimentierfreude, Rhythmus und Gesang laufen bisweilen gegeneinander. Immer wieder gibt es Kontrapunkte, werden falsche Spuren ausgelegt. In ihrer Heimat war die Argentinierin vor allem als Schauspielerin bekannt, umso schwerer daher, als Musikerin akzeptiert zu werden. In Europa sind die Köpfe zum Glück frei. Frei für die südamerikanische Lässigkeit, die über dem Album liegt. Leicht swingt es dahin, um dann unerwartete Strukturen zu präsentieren. Die oberflächliche Schönheit wird gebrochen. Kaum hörbare Tierstimmen aus dem Hintergrund. Oder scheint es nur so? Ihr Album ist im besten Sinne rätselhaft und anheimelnd, soghaft und entspannend zugleich. Ein weiterer Beweis dafür, dass gute innovative Musik nicht laut sein muss.


Milenasong:
Seven Sisters

(Monika Enterprise)

Milenasong, Seven Sisters
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Sabrina Milena alias Milenasong lebt in Berlin, ihre Eltern kommen aus Nowegen und Slowenien. Ihre Jugend verbrachte sie in Süddeutschland und Oslo, sie studierte Kunst in England und Deutschland. Dieses bewegte Leben hat Spuren hinterlassen und zwar in Form höchster Kreativität. Milenasong malt und musiziert seit vielen Jahren, liebt es, mit ihrem Aufnahmegerät zu experimentieren. In liebevoller Kleinarbeit entstand ein persönliches Klangarchiv, das sie mittels eigenhändig gestalteter CDs in Miniauflage einer interessierten Oeffentlichkeit präsentierte. Ihre erste 10'' bei Monika Enterprise heisst bezeichnenderweise „Can't Tape Forever“, nun erscheint ihr Debütalbum „Seven Sisters“. Vom ersten Track an nimmt einen diese Platte in ihren Bann, von seltsam-unwirklich bis kraftvoll-bodenständig reicht das Spektrum, in jedem Fall eindringlich und bezaubernd. Die Songs fliessen, aber sie plätschern keineswegs. Ungewöhnliche Geräusche, unerwartete Wendungen sorgen für Spannung. Milenasongs Vorbilder sind nach eigenen Angaben Sandy Denny, Townes Van Zandt, Roy Harper, Roberta Flack, The Books, Les Mouches, Cat Power, Keith Jarrett, Fairport Convention, Pentangle und die rauchige Stimme von Joni Mitchell. All diese Einflüsse werden nicht von ihr kopiert, sondern zu einem sehr eigenständigen, berückenden Sound verwoben. Zurückhaltende Choräle, sparsam eingesetze Gitarren und jede Menge undefinierbare Geräusche führen ins Milenasong-Universum. Ihre Stimme klingt selbstbewusst und warm, kann höchste Höhen und dunkelste Tiefen ausdrücken. Songs wie „Casey on Fire“ nehmen gehörig Fahrt auf, hier kommen orientalische Klänge, Klavier, diverse Elektronika und ein Dancerhythmus zusammen. Stücke wie „Thirty“oder „Nightlost Trains“ bestechen durch Minimalismus, bestehend fast nur aus Stimme und zurückhaltendem Gitarrenzupfen. „Lily Wyatt“ verrät Milenasongs Liebe zu Folk und Gitarrenpop – schon jetzt einer der bezauberndsten Songs dieses noch jungen Jahres. Wer Coco Rosie und Psapp mag, wird mit Milenasong sehr glücklich werden.


An Pierlé &
White Velvet

(Pias)

An Pierlé & White Velvet
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Last but natürlich not least: An Pierlé, belgische Singer-/Songwriterin mit beeindruckend bezaubernder Stimme hat ihr drittes Album „White Velvet“ herausgebracht. Unterstützt wurde sie kompositorisch von Koen Gisen, mit dem sie nicht nur Songs schreibt, sondern auch Tisch, Bett und Piano teilt. Dass sich private Harmonie oft positiv auf die künstlerische Arbeit auswirkt, konnte man schon bei den musikalisch-romantischen Teams Matthew Herbert & Dani Siciliano und Psapp feststellen. Die Kollaboration Pierlé/Gisen hört sich jedenfalls sehr „rund“ und künstlerisch ambitioniert an. An Pierlés Stimme klingt zuweilen ähnlich wie Tori Amos, auch die Klavierparts erinnern an Amos, zum Beispiel bei der emotionalen Ballade „How does it feel“. Noch mehr Orientierungspunkte: Ein Freund Pierlés sagte, ihre Musik sei „Radiohead for girls“ - mal abgesehen von der etwas engstirnigen Geschlechteraufteilung trifft diese Bemerkung durchaus zu. Die zarten Balladen, untermalt von Mellotron, Autoharp und Vibraphon, entwickeln einen unterschwelligen Sog, unter der süß-lieblichen Oberfläche ahnt man Abgründe, Zweifel, düstere Träume. Die getragenen Stücke überwiegen zwar, aber „White Velvet“ vereint klassisches Songwritertum gern mit poppigen Ausflügen: „It's got to be me“ zum Beispiel schunkelt im fröhlichen Jahrmarktrhythmus, „Not the End“ schlägt einen dunklen Beat an und Pierlés zartes Organ klingt auf einmal rauchig wie Chrissie Hynde. Pierlés Texte sind voller starker Bilder und zum Teil handfestem Humor: „If I Save Your Neck / it's to break your Back“ heisst es in „I Love You“ - also nicht täuschen lassen von Miss Pierlés Blondhaar und ihrem freundlichen Lächeln! Die Melodien der „White Velvet“-Stücke sind unaufdringlich eingängig und im besten Sinne hitverdächtig – Pierlés Lieder sind im Mainstreamradio vorstellbar, dort wären sie die sprichwörtlichen Perlen, auf die man den ganzen Tag wartet. Auch wenn An Pierlé noch keinen Stammplatz im Radioprogramm hat, einen ihrer Auftritte sollte man sich anschauen:

An Pierlé & special guest Gabriel Rios
22.01. München - Ampere - ohne Gabriel Rios
23.01. Frankfurt - Nachtleben
24.01. Stuttgart - Theaterhaus T2
26.01. Köln - Gloria
27.01. Berlin - Fritz Club
28.01. Hamburg - Mandarin