Anzeige:
Sofie Lichtenstein: Bügeln. Protokolle über geschlechtliche Handlungen




Januar 2007
Christina Mohr
und Petra Zimlich

für satt.org

Frankfurt am Main Spezial

Geht es um Popmusik, wird Frankfurt am Main oft übersehen oder mitleidig betrachtet: wer kommt denn schon von hier, der sogenannten Metropole Mittelhessens? Bekannt als Banker- und Ebbelwoihochburg, und ja, einen großen Flughafen gibt's hier auch. Damit man schnell wegkommt aus dieser Stadt, lästern Frankfurthasser. Und sonst? Das Omen, Sven Väths Technotempel ist Geschichte, sein neues Baby, der Cocoon-Club erfüllt längst nicht die hochgesteckten Erwartungen. Über Moses P und seinem Rödelheim Hartreim Projekt liegt auch schon lange der Schatten der Vergangenheit. Stimmt, die Straßenjungs kommen aus Hessen, bis heute beackern die wackeren Recken des untoten Punkrock deutsche Bühnen. Das scheint es gewesen zu sein … aber von wegen, im Rhein-Main-Gebiet passieren so viele spannende Dinge! Es ist Zeit, mit Vorurteilen aufzuräumen und Frankfurt auch als Metropole auf der Pop-Landkarte zu platzieren! Zum “Anteasen” gibt es hier ein Interview von Christina Mohr und Petra Zimlich mit Jan Krauß, Gründer der Instrumental-Metalband Tragkraft 6T und die Hessen-Compilation “Happy Lotto”, vorgestellt von Petra Zimlich.


Tragkraft 6T: Kraftstoff
La Mancha 2006

Tragkraft 6T: Kraftstoff

www.tragkraft6t.de

Als ich Eure Platte hörte, fiel mir auf, was mich sonst an Heavy Metal nervt, nämlich der Gesang! Tragkraft 6T kommt ohne Stimme aus– wieso habt Ihr Euch für Instrumentalmusik entschieden?

Wir haben einige Zeit verschiedene Sänger ausprobiert, ohne je das Gefühl zu bekommen, es sei rund oder dass die Stimme die Musik verbessern oder weiter nach vorne bringen würde. Deshalb haben wir uns Mitte/Ende 05 dafür entschieden, es instrumental durchzuziehen.

Der Tragkraft-Sound ist ungeheuer satt und schwer - habt Ihr Vorbilder, wen mögt Ihr?

Zunächst: Danke! Genauso wollen wir klingen. Wir mögen Bands wie Helmet und Prong, die Anfang/Mitte der Neunziger Metal umdefiniert haben. Aber auch Bands wie Slayer, Pantera, Slipknot. Zugleich mögen wir die Chemical Brothers, Daft Punk und Elektro-Mucke, die rockt und nach vorne los geht.

Wenn Ihr etwas funkiger werdet (wie zum Beispiel in Track Nr. 4, Hörfunk), erinnert mich das an Primus - kennt Ihr die Band, mögt Ihr sie?

Wir kennen und mögen Primus, obwohl ihr Einfluß auf die Band gering ist. Was an Primus hervorsticht, ist der Mut, neue Wege zu gehen, etwas abseits der ausgetretenen Pfade zu probieren.

Habt Ihr das Gefühl, Eure Musik ist eher "Jungsmusik"? Wie reagieren Mädchen auf Euren Sound?

Es ist merkwürdig, dass du das fragst, denn wir kriegen gerade von Mädchen beziehungsweise Frauen unheimlich viel positive Resonanz. Wir können uns das selbst schon nicht mehr erklären, und das, obwohl Metal immer noch mehr "Jungsmusik" ist als Musik für Frauen oder Mädchen. Aber zum Glück hat sich in dieser Hinsicht in den letzten Jahren viel getan, Konzerte von Bands wie Slipknot werden inzwischen von vielen Frauen besucht.

Wie entstehen Eure Stücke? Gemeinsam im Studio/Übungsraum, oder kommt einer von Euch mit fertigen Tracks an?

Beides ist der Fall. Mal hilft der Zufall, wenn jemand aus der Band eher zufällig ein Motiv spielt, auf das andere einsteigen und niemand weiß, was am Ende herauskommt. Mal kommt jmd. mit einer Idee, die vom Motiv, Riff, Rhythmus bis hin zum fast fertigen Lied gehen kann.

Euer Coverstyling, Bandname, Songtitel sind sehr "industrial" - wollt Ihr dieses ästhetische Element beibehalten?

Ja, Industrieromantik liegt uns, sie hat einen ganz eigenen Reiz, diese Mischung aus Moderne und Verfall.

Wie wichtig sind Visuals/Videos für Euer Konzept?

Sie sind sehr wichtig und werden in Zukunft noch mehr Raum einnehmen; hier setzt sich das industrielle Moment fort, das "unbewegte" Bild des Covers bewegt sich, die Ästhetik wird mit anderen Mitteln fortgesetzt. Die Videos fördern die Assoziationen, die man zur Musik haben kann, sie sind ein dynamisches Moment gerade bei Konzerten.

Auf Eurer Website gibt es keine Bandfotos, auch in Eurem Video seid Ihr nicht wirklich zu sehen - wollt Ihr anonym bleiben wie die Residents?

Wir arbeiten inzwischen live mit Videoprojektionen. Wir selbst ziehen uns weiß an, wodurch wir auch zur Projektionsfläche werden. Damit "verschwinden" wir natürlich noch mehr, aber das ist gewollt. Im Vordergrund steht bei uns immer die Musik. Die Sichtbarkeit der Band liegt in den Gefühlen und Assoziationen, die unsere Musik auslöst. Als Instrumentalband hat man den Vorteil, dass man ganz anders wirken beziehungsweise wahrgenommen werden kann. Damit arbeiten wir.

Was treibt Ihr, wenn Ihr gerade keine Musik macht?

Wir sind Doktoranden (was nicht bedeuten soll, wir wären eine völlig verkopfte "intellektuelle" Band, dazu ist unsere Musik zu geradlinig und bauchlastig). es gibt zwei Politikdoktoranden, einer arbeitet an einem Politikinstitut, der andere hat den Verlag La Mancha gegründet; dann haben wir einen Pharmaziedoktoranden, der bei einem Pharmaunternehmen arbeitet und einen Juristen, der schon fertig ist mit seiner Dissertation und in einer Kanzlei arbeitet.

Der La Mancha-Verlag - kannst du dazu was erzählen?

Der Verlag (www.la-mancha-verlag.de/) ist mein kleiner Selbstverlag, mit dem ich versuche, eine Plattform aufzubauen für Hörbücher, bald auch Bücher und eben Musik. Geboren wurde der Verlag aus Wahnsinn, deshalb der Verweis auf Don Quijote (de la Mancha), der aber eben gerade durch seinen Wahnisnn zum großen Humanisten wurde. T6T veröffentliche ich über den Verlag, weil ich wusste, dass es schwer werden würde, ein Label dafür zu finden, ich aber zugleich wusste, dass T6T gut ankommen würde, dass es dafür offene Ohren geben würde, und die Reaktionen (wie z.B. auf Myspace) beweisen das.

Wie empfindest du die Situation für junge Bands im Rhein-Main-Gebiet?

Die Lage ist besser geworden, noch Mitte der Neunziger gab es nicht so viele regionale Veranstalter beziehungsweise Foren für Alternative Musik, ich meine z.B. mental maps, dosenmusik (Frankfurter DJ-Team) etc. Dennoch ist Frankfurt immer noch ein undankbares Pflaster für Metal, da die Szene nicht so groß ist.

Wo geht Ihr in Frankfurt und Umgebung aus?

Clubkeller. Lola Montez. Unity.

Was gefällt Euch am Rhein-Main-Gebiet, was nicht? Wäre Berlin eine Alternative für Euch (weil dort "alle" Musiker hingehen …)?

Obwohl in Berlin die Szene sicherlich viel größer ist und es in Frankfurt viel zu viele R'n'B-Clubs, Snobs und HipHop für geistig Arme gibt, hat Frankfurt einen großen Vorteil: die kurzen Wege. Alles was wir für T6T brauchen, den Proberaum, den Mischer für den 6T-Klang, die Videojockeys, erreichen wir in wenigen Minuten. Es ist das ungeheure kreative Potential auf kleinem Raum, das dieser merkwürdigen Stadt ihren Reiz verleiht.


Wir sind hier nicht in Seattle

Und auch nicht in Hamburg oder Berlin.
Wir sind in Frankfurt und genau darum geht es in der Compilation »Happy Lotto« - um eine ganz bewusst vorgenommene, rhein-main-zentrierte Musikgeographie. Denn wer kennt schon die ganzen Bands, die sich in und um Frankfurt tummeln?

Happy Lotto
Frankfurt 2006

Happy Lotto

Stuart Westcliff, Redondo Beat, Pornoheft, Flokati, Verlen, Janis Elko, Twiggy Killers - wem diese Namen was sagen, der darf sich glücklich schätzen. Zumindest ist er kein Ahnungsloser, was die hiesige Musiklandschaft betrifft. Alle anderen können aufatmen: Eine neue CD bietet Abhilfe. Das Rhein-Main-Gebiet hat musikalisch mehr zu bieten als gemeinhin angenommen wird. Warum also keine Compilation zusammenstellen, auf der Bands zu finden sind, die aus der Region stammen? Gregor Schubert, Frankfurtern bestens bekannt als Mitinitiator der Freitagsküche* und Radio-X**-Matador, hat diesen von ihm lange gehegten Plan jetzt in die Tat umgesetzt. Er hat recherchiert, Texte geschrieben, die Bands ausgesucht, Kontakte geknüpft, das Cover gestaltet. Herausgekommen bei dieser liebevollen Kleinarbeit ist »Happy Lotto« - ein "richtiges Brett" um es in den Worten des Initiators zu sagen.

Vorgestellt werden 18 Bands mit 18 Songs. Bands, die im Umkreis von 50 Kilometern wirken, die manchmal mehr und manchmal weniger miteinander verbindet. Die geographische Weite reicht von Erlensee bis Kelkheim, vom Landleben am Rande der Stadt bis in die Metropole am Main direkt. Stilistisch bewegt sich »Happy Lotto« zwischen Indie und Rock, Psychedelic und Punk, alles subsumiert unter dem Begriff »Music from the Rhein-Mainian Underground«. Die meisten Songs wurden aus bestehendem Material gefiltert, es gab aber auch Ausnahmen: Songs, die Schubert exklusiv für "Happy Lotto" zur Verfügung gestellt wurden. Sichtbar wird die Vielfalt der Bands, die unterschiedlichen Qualitäten. Und sichtbar werden die Perlen, die im Verborgenen schlummern. Natürlich sind bei diesem Projekt auch viele Bands nicht berücksichtigt worden. Das liegt in der Natur der Sache. Aber vielleicht gibt es ja demnächst eine Fortsetzung.

Unter www.ronsens.de/machtdose/va-happy-lotto.html kann die CD auf den Rechner geladen und gebrannt werden. Dort finden sich auch umfangreiche Informationen zu den einzelnen Bands. Und wenn eine davon demnächst ein Konzert in Eurer Nähe gibt: hingehen! Was bleibt am Schluss zu sagen? Ein Lob an Gregor Schubert, für seine Energie. Denn endlich bringt die Lottofee 'mal einen Gewinn ins Haus.

* Die freitagsküche, ein Zusammenschluss Frankfurter Künstler und Studenten, begreift das Kochen als kommunizierendes Medium und versteht sich als Plattform: Künstler und Wissenschaftler werden zum Kochen, Arbeiten und Ausstellen eingeladen. Dem Essen folgt die Diskussion, die Performance wird zur Party. Und natürlich kocht die freitagsküche gut …

** Radio X: Nichtkommerzieller Radiosender, der im Großraum Frankfurt empfangen werden kann. Besteht seit 1997.
www.radiox.de