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Januar 2007
Christina Mohr
für satt.org

The Jam:
Direction, Reaction, Creation

Bald werden die ungeduldig erwarteten zweiten Alben von Maximo Park, den Kaiser Chiefs und Art Brut erscheinen. Diese drei, aber auch viele andere junge Bands bezeichnen häufig britische Punkbands erster Stunde als ihre Vorbilder. Ein Name fällt in diesem Kontext fast immer: The Jam. Ihre Hits wie “Going Underground”, “Eton Rifles”, “David Watts”, “Man in the Cornershop”, “Down in the Tubestation at Midnight” klingen auch heute noch unglaublich frisch und roh, die Mischung aus Härte und eingängigen Melodien machte The Jam zu einer der eigenwilligsten, stilprägendsten und erfolgreichsten Bands der britischen Punkära.


The Jam:
Direction, Reaction, Creation
Buch + 5 CDs
The Jam Earbook

(Edel Earbooks)

The Jam: Direction, Reaction, Creation - Buch + 5 CDs
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Eigentlich waren The Jam gar keine “richtige” Punkband: Als der 17jährige Paul Weller 1975 in seiner Heimatstadt Woking/Surrey mit seinen Schulfreunden Rick Buckler, Steve Brookes und Bruce Foxton The Jam gründete, orientierten sie sich an ihren Lieblingsbands The Kinks, Small Faces und The Who, liebten Motown und Northern Soul und waren waschechte Mods. Bassist Steve Brookes verließ die Band rasch wieder, das so entstandene Trio blieb bis zu seiner Auflösung in dieser Besetzung zusammen. Nach einigen lokalen Auftritten bei Schulpartys und in Wokinger Pubs spielten die Youngster bereits 1976 im legendären Londoner Marquee und im 100 Club, ein Plattenvertrag ließ nicht lange auf sich warten: 1977 erscheint die Debütsingle “In the City” bei Polydor, klettert bis auf Platz 40 in den britischen Charts, Fans und Kritiker stehen Kopf vor Begeisterung. Der rauhe Gitarrensound, der kantige Rhythmus und Wellers charakteristische Stimme bringt die Stimmung der britischen Kids genau auf den Punkt. Doch The Jam polarisieren auch: sie machen sich nicht gemein mit den Sicherheitsnadel-Punkrockern, stilbewusst tragen sie Anzüge, schmale Krawatten und Koteletten wie die Mods, der Union Jack gehört zum Bandimage genauso wie das Bekenntnis zu Queen und Monarchie – also keine “God Save the Queen”-Verunglimpfungen, keine Jubilee-Anarchie, sondern eine eigenwillige, selbstbewußte Haltung, die konservative und linksradikale Elemente gleichermassen vereint. Paul Weller gründete einen Kleinverlag, in dem linkspolitische Schriften erschienen, The Jam engagierten sich gegen Atomkraft und -bomben, die Lyrics der Band drückten explizit soziale und gesellschaftliche Missstände aus – und zu all dem konnte man vorzüglich durchdrehen, Speed schlucken, der Jam-Sound blieb roh und leidenschaftlich und verlieh dem Punk eine messerscharfe Bügelfalte.

The Jam: In Theory

The Jam waren vielleicht die britischste aller Punkbands – was ein Grund dafür sein mag, dass sie in den USA nie Fuß fassen konnten. Einige Tourneen, eine davon als Vorband von Blue Oyster Cult, verliefen erfolglos und frustrierend für The Jam. Umso erfolgreicher und beliebter wurde die Band währenddessen in England und Europa: zwischen 1977 und 1982 erreichten alle Jam-Singles die Top 20, den ersten Nummer-Eins-Hit konnten sie 1980 mit der Double-A-Side-Single “Going Underground/The Dreams of Children” verbuchen.


for further listening
The Jam-Discographie:
  • In The City (1977)
  • This Is The Modern World (1977)
  • All Mod Cons (1978)
  • Setting Sons (1979)
  • Sound Affects (1980)
  • The Gift (1982)
  • Dig The New Breed (1982)
  • Snap (1983)
  • Greatest Hits (1991)
  • Direction Reaction Creation (Compilation, 1997)
  • The Very Best of Jam (1997)

Zu dieser Zeit beginnt Mastermind Weller verstärkt, den von ihm so sehr geliebten Soul in den Jam-Sound zu integrieren. Deutlich zeigen sich die stilistischen Erweiterungen beim 82'er-Album “The Gift”. The Jam befinden sich auf dem Höhepunkt ihrer Karriere, als Paul Weller beschließt, die Band aufzulösen. Die Single “The Bitterest Pill (I Ever Had to Swallow)” aus dem Jahr 1982 wird Abschiedshymne und letzter Singlehit von The Jam, die Band ist Legende. Bruce Foxton und Rick Buckler blieben weiterhin musikalisch aktiv, konnten aber nie wieder an die Erfolge von The Jam anknüpfen. Anders Paul Weller: “The Modfather” gründet kurz nach dem Ende von The Jam mit Mick Talbot The Style Council. Dieser Band verdankt die Popwelt einige der schönsten Songs der Achtziger: “Shout to the Top”, “Speak Like A Child” und “The Long Hot Summer”. Heute ist Paul Weller einer der erfolgreichsten und kredibelsten britischen Musiker, seine Soloplatten und -auftritte erfreuen eine hingebungsvolle Fanschar, sein Status ist höchstens mit dem Morrisseys vergleichbar. Die Koteletten trägt er immer noch lang.

Ob man Jam-Fan und Sammler ist, oder auf historische Spurensuche gehen möchte: das bei Edel Records erschienene Earbook* “Direction, Reaction, Creation” ist ohne Einschränkungen empfehlenswert. Auf fünf CDs wird hier das musikalische Gesamtwerk von The Jam präsentiert und zwar in chronologischer Reihenfolge der Studioaufnahmen, insgesamt 117 Songs (!). Alle Singles und B-Seiten sind hier zu hören, dazu kommen einige Raritäten und Demoaufnahmen, Coverversionen von Soulstücken und vieles mehr. “Direction, Reaction, Creation” ist bereits 1997 bei Polydor erschienen, die jetzt neu veröffentlichte Earbook-Ausgabe liefert dazu ein großformatiges Buch mit unzähligen seltenen Fotos, der Auflistung aller Jam-Auftritte, eine Band-Chronologie, die vollständige Discographie und ein ausführliches Vorwort des Autoren und Journalisten Paolo Hewitt.

* Weitere Musiktitel der Earbooks-Reihe: Stevie Wonder, Thin Lizzy, Marvin Gaye, Police und viele andere. Preis: 30,- Euro. » www.earbooks.net

   » www.thejam.org.uk