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Januar 2007
Petra Zimlich
für satt.org

The Inner Chorus meets Other Planets

In Großbritannien erlebt der Neo Folk mit Acts wie The Magic Numbers, Sufjan Stevens oder Vashti Bunyan eine wahre Renaissance – die neuen Alben von Tunng und Adem steuern dieser Wiederbelebung weitere Mosaiksteine bei.

Tunng: Comments of the Inner Chorus
Full Time / Rough Trade 2006

Tunng: Comments of the Inner Chorus

Schon 2005 ließen Tunng die Musikwelt aufhorchen. Jenseits der ganzen The-Bands und des britischen Rockrevivals begeisterte ihr Debüt „This is …“ die Kritiker. 2006 bleibt das zweite Album von Tunng, inzwischen zu einem siebenköpfigen Kollektiv erweitert, dem eingeschlagenen Weg treu: Unbekümmert mischt die Band um Sam Genders and Mike Lindsay auf „Comments of the Inner Chorus“ Folkelemente mit elektronischem Sound. Gleich der Opener setzt die Maßstäbe: Träges Instrumentarium produziert zischende Geräusche. Und kreativ geht es munter weiter. Cut-And-Paste, Clicks, Schreibmaschinengeklapper, seltsame Töne von seltsamen Instrumenten: Eine Tour de Force des Soundsamplings. Aphex Twins meets Nick Drake. Die akustische Gitarre geht zielsicher ihren Weg und wird dabei filigran und unaufdringlich von elektronischen Interferenzen gestört. Die Band zeigt sich dabei außergewöhnlich entspannt und souverän. Eine wunderbare, sehr komplexe Mischung. Dazu dieses märchenhafte, fragile Songwriting. Da werden in mehrstimmigen Harmoniegesängen zerbrechliche, magische Welten heraufbeschworen. Songs, die Schönes und Verletztes zu erzählen haben: von der „Woodcat“, dem „Wind Up Bird“ oder einfach nur von „Red And Green“. Themen wie Nachrichten aus einer netteren Welt. Heimelig und wohlig. Einfach und gut. Jedoch bleiben die Songs in ihrer Verschrobenheit stets jenseits unhinterfragter Oberflächlichkeit. Zählt man Tunng zum so genannten Nu Folk oder zu Folktronica, dann gehört die Band aus London mit zu dem besten, was beide zu bieten haben. Eine wirkliche Entdeckung. Gut und innovativ zugleich.

Adem: Love and Other Planets
Domino / Rough Trade 2006

Adem: Love and Other Planets

Weniger innovativ, aber ebenfalls solide und schön: Das Zweitwerk von Adem Ilhan. Seine Musik könnte leicht untergehen. Sein zurückgenommener Folk drängt sich nicht auf. Im Vorbeigehen kann man ihn ohne weiteres überhören. Adems Form der Musik regt zum Nachdenken an, möchte die Hörer auf eine andere Ebene entführen. Es ist eine Musik, die subtil mit Zartheit und feiner Ruhe umgeht, die bewusst Leerstellen lässt, die es zu füllen gilt. Eine Musik, der es darum geht, ungeahnte Weite entstehen zu lassen. „Love and other planets“ ist ein Konzeptalbum. Das kann schnell mal schief gehen. In diesem Fall hat es weder genutzt noch geschadet. Und würde es nicht in der Ankündigung des Labels stehen, kein Mensch käme wahrscheinlich auf die Idee, das man es hier mit einem Konzeptalbum zu tun hat: Adem widmet sich den Facetten des Themas Raum. Geographisch und zwischenmenschlich zugleich. Den Raum durchfährt er im zweiten Gang bei Tempo 30. Wem das zu langsam ist, der wird mit seinen Songs nichts anfangen können. Das heißt, hier muss man vor allem eins mitbringen: Zeit. Gleichzeitig muss einem die gewöhnungsbedürftige Stimme Adems gefallen. Sie ist nicht unbedingt eingängig, irgendwie nasal kommt sie daher, zieht einen aber nichtsdestotrotz in Bann. Der Brite spielt mit Pop und breiten Arrangements, um gleich darauf den Charme des Unperfekten darüber zu werfen. Und das wirklich sehr gekonnt. Leider vermisst man auf dieser Reise durch Raum und Zeit die Höhepunkte, die Spotlights, an denen man Halt machen könnte. Über die gesamte Strecke betrachtet, fehlt ein Spannungsbogen, fehlen die Überraschungsmomente. Ab und zu bieten eine außergewöhnliche Instrumentierung, ein Glockenspiel, das unerwartete Händeklatschen einen „Aufhorcher“. Wer entspannt eintauchen möchte, ist hier genau richtig. Alles in allem ein solides und schönes Album.