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Februar 2007
Christina Mohr
für satt.org

Batschkapp
30 Jahre Hörgenuss


Batschkapp:
30 Jahre Hörgenuss

Emm/EMI

Batschkapp – 30 Jahre Hörgenuss

„Nee, das isser net“ sagt Ralf Scheffler, Jahrgang 1948, Mitbegründer des legendären Frankfurter Clubs „Batschkapp“ in vollmundigem Hessisch. Dabei habe ich noch gar nichts gefragt, sondern lediglich auf das Cover der gerade erschienenen Doppel-CD „30 Jahre Hörgenuss“ gedeutet. „Alle wollen immer wissen, ob das Joschka Fischer mit Sturmkappe is, er isses aber net“. Ok, dann wäre die Frage nach dem Coverboy oder -girl der CD schon mal beantwortet: es handelt sich bei dem halbverdeckten Gesicht nicht um ein Jugendfoto unseres Ex-Aussenministers, der während der wilden Sixties zur Frankfurter Hausbesetzerszene gehörte. Eigentlich wollte ich ja wissen, wer denn für das schwer revolutionär gestylte Cover der CD verantwortlich ist, hat sich die Plattenfirma das ausgedacht? „Nein, das Cover war meine Idee“ antwortet Scheffler, „so sah es 1976 in Frankfurt überall aus, die Strassenkampfszenen sind authentisch. Und auch die Batschkapp hatte in ihren Anfangstagen explizit politische Ziele, heute ist das nicht mehr so.“

Das Kulturzentrum Batschkapp (hessisch-regionale Bezeichnung für eine Sommermütze) wurde 1976 im Frankfurter Stadtteil Eschersheim gegründet, wo es sich auch heute noch befindet (Maybachstrasse, U-Bahnhaltestelle Weisser Stein, U3). Neben dem eigentlichen Konzertsaal gehört die Kneipe Elfer zum Batschkapp-Ensemble. Seit 30 Jahren werden in der „Kapp“ Konzerte veranstaltet, Discos und Bandwettbewerbe finden hier statt, das Ambiente ist rockig-rauh, die politische Ausrichtung bis heute links, auch wenn Politik für die Programmgestaltung längst nicht mehr dieselbe Rolle spielt wie in den siebziger Jahren. Die „Batsch“ nicht zu kennen, ist für musikbegeisterte Bewohner des Rhein-Main-Gebiets kaum möglich. In der Batschkapp traten sie alle auf, ob die Strassenjungs, The Cramps, der Gun Club oder die Lemonheads. Legendär ist das alljährlich stattfindende Weihnachtskonzert der Punkrockaltstars Peter and the Test Tube Babies: eine inzwischen kultische Veranstaltung für Fans und Band, das Veteranentreffen gerät in schöner Regelmässigkeit zum grossen Besäufnis, das Peter and the Test Tube Babies offenbar so viel Spass macht, dass sie das heilige Fest lieber in Frankfurt als daheim in England verbringen.

Batschkapp Außenansicht
Die Batschkapp
Foto © Bomber

Doch nicht nur Dinosaurier sind hier zuhause, die Batschkapp hat eine beachtliche Sprungbrettfunktion für junge Bands: vor zwei Jahren spielten Mando Diao vor circa 900 begeisterten ZuschauerInnen, bei der folgenden Tour fasste die Batschkapp die gewachsene Fanmenge längst nicht mehr, das Konzert fand in einer grösseren Halle statt. Auf solche Bandentwicklungen ist man sehr stolz, der allerliebste Vorzeigekarrierist ist Robbie Williams, der sein erstes Solokonzert nach der Trennung von Take That im Schuppen in der Maybachstrasse gab. Und auch wenn Mr. Williams mittlerweile die Fläche des gesamten Frankfurter Flughafengeländes benötigt, um seine Fangemeinde zu versammeln, fungiert die Batschkapp noch immer als Veranstalter.

Andere Frankfurter Alternativclubs hegen verständlicherweise eine gesunde Hassliebe gegenüber der Batschkapp: „Klar, viele finden uns etabliert und deswegen scheisse“, sagt Scheffler, „aber damit kann ich leben, schliesslich waren wir die ersten.“ Er relativiert: „na ja, zuallererst gab es das Zoom, später hiess es Storyville. Das war ein Jazzclub, der schon in den Fünfzigern eröffnet wurde. Später traten dort Beat- und Rock'n'Roll-Bands auf, vergleichbar war das Zoom nur mit dem StarClub in Hamburg. Da es in Wiesbaden so viele GIs gab, wurde das Rhein-Main-Gebiet zu einer Beat-Hochburg.“ Scheffler ging gerne ins Zoom, sammelte Beat-Singles und fasste irgendwann den Entschluss, selbst einen Club zu eröffnen – aber nicht allein: In den frühen Tagen der Batschkapp „regierte“ ein Kollektiv aus bis zu dreissig Personen, Beschlüsse konnten so gut wie nie gefasst werden, weil jeder auf seiner Meinung beharrte. Trotzdem gab es immer ein Programm, finanzielle Erwägungen stellte niemand an. Konzerte kosteten normalerweise um die drei Mark, wurden mal höhere Preise verlangt, begehrten die Besucher sofort auf und riefen Verrat und Ausverkauf. Während der späten siebziger Jahre festigte die Batschkapp ihren Ruf als ausserhalb der Gesellschaft befindliche Insel der glückseligen Gammler, Punks und Protestierer. Selbst die Polizei mied den Laden oder rückte nur noch in Mannschaftsstärke an, unzählige Blaulichter wurden von den „Wannen“dächern abmontiert und als Trophäen mit in die WGs genommen.

Doch in den frühen achtziger Jahren endete der links-antikapitalistische Traum, die Batschkapp wäre beinah wegen schnöder finanzieller Probleme in die ewigen Jagdgründe eingegangen. Behördliche Auflagen wie Brandschutztüren verschlangen grosse Summen, dazu kamen Steuerschulden von 30.000 DM. Die Batschkapp-Betreiber stellten zwar einen Buchhalter ein, doch die Schliessung konnte nur durch eine gross aufgezogene Benefiz-Veranstaltung abgewendet werden. 1982 spielten angesagte Bands wie BAP und Ideal auf besagtem Benefiz, um die „Batsch“ zu retten – das Wunder geschah, die Einnahmen des Konzerts reichten aus, um die ersten Schulden zu tilgen, es konnte weitergehen in der Maybachstrasse. Als der Punkrock endlich auch nach Hessen schwappte, veränderte sich auch das Programm der Batschkapp: „eine Verjüngungskur“ nennt Ralf Scheffler das Aufkommen von Punk, leider erinnert er sich nicht mehr an das erste Punkkonzert in der Batschkapp, weil er wegen Familiengründung für einige Zeit aus dem Batsch-Kollektiv ausgestiegen war. Mit Punk kam nicht nur neue aufregende Musik nach Frankfurt, es war auch die Zeit der radikal-alternativen Theatergruppen, vornehmlich aus England, die ihr zahlreiches Publikum auch in der Batschkapp fanden. Seit dieser Zeit finden in der Batschkapp immer wieder Veranstaltungen statt, die nicht direkt mit Musik zu tun haben, auch Lesungen werden hier gehalten.

Batschkapp – 30 Jahre Hörgenuss

„Was hat sich verändert in den letzten Jahren?“ frage ich Ralf Scheffler, „das Publikum wird immer verweichlichter“ wettert er los. „Die Leute drohen immer gleich mit Polizei und Anwalt, beschweren sich beim Ordnungsamt, wenn es angeblich zu voll ist. Ich kann nur sagen: Wenn's voll ist, wird's halt eng!“ Besonders ins Gedächtnis gebrannt hat sich ein Auftritt von Laith Al-Deen: „Von den Besuchern war bestimmt noch keiner vorher in der Batschkapp, das war eine völlig andere Szene, so Schickimicki-Clubgänger. Die haben aus Vorsicht vor der Bühne sieben Meter frei gelassen, die Leute, die von hinten reinkamen, fanden keinen Platz mehr. Wir mussten Neuankömmlinge dann durch den Seiteneingang vorne reinlassen. Und hinterher hatten wir das Ordnungsamt auf dem Hals, weil sich die Leute beklagt hatten.“ Konsequenz daraus? „Na ja, so softiges Zeug machen wir bei uns nicht mehr.“ Ebenfalls unvergessen ein Ina-Deter-Konzert in den seligen Achtzigern: die Posthippies liessen sich im Schneidersitz vor der Bühne nieder und nahmen so viel mehr Platz weg, als wenn sie gestanden hätten. Scheffler bat Ina Deter, sie soll ihr Publikum zum Aufstehen bewegen, diese traute sich aber nicht, solch eine harte Ansage zu bringen. Weitere Anekdoten dieser Art kann man im Booklet der Jubiläums-Doppel-CD „30 Jahre Hörgenuss“nachlesen, angereichert werden die Stories mit jeder Menge Fotos von „damals“ und heute.

Das Schöne an der Batschkapp ist, dass dort eben nicht nur „die gude alde Zeit“ abgefeiert wird, man schaut nach vorne und beweist für neue Trends immer eine Spürnase – siehe Mando Diao. Wer aber trotzdem in der Vergangenheit stöbern und schwelgen will, sollte die Batschkapp-Website besuchen: hier finden sich nicht nur jede Menge Fotos von Bands, Besuchern und Bedienungen, sondern auch alle Konzertprogramme der letzten Jahrzehnte inklusive Auflistungen aller Konzerte, die je in der Maybachstrasse stattfanden.

An dieser Stelle ein dreifach donnerndes „Keep on rockin'“ für die Batschkapp – auf nochmal dreissig Jahre, mindestens!

Tracklist „30 Jahre Hörgenuss“
CD 1:
  1. Fehlfarben - Ein Jahr (Es geht voran)
  2. Aztec Camera - Oblivious
  3. Sisters Of Mercy - Temple Of Love
  4. Die Toten Hosen - Hier Kommt Alex
  5. Killing Joke - Love Like Blood
  6. R.E.M. - The One I Love
  7. The Pogues - If I Should Fall From Grace With God
  8. The Bangles - Haze Shade Of Winter
  9. Wall Of Voodoo - Mexican Radio
  10. Faith No More - King For A Day
  11. The Lemonheads - Mrs. Robinson
  12. Manic Street Preachers - If You Tolerate This ….
  13. Primal Scream - Movin On Up
  14. Cypress Hill - Insane In The Brain
  15. Rage Against The Machine - Killing In The Name
  16. Spin Doctors - Two Princes
  17. Nick Cave - Tupelo
  18. The Terrible Noises (Reloaded) - Not Fade Away
  19. Einstuerzende Neubauten - Blume (French Version)
CD 2:
  1. Robbie Williams - Rock DJ
  2. Red Hot Chili Peppers - Behind The Sun
  3. Social Distortian - When Angels Sing
  4. Subway To Sally - Sieben
  5. Fun Lovin Criminals - Scooby Snacks
  6. Faithless - God Is A DJ
  7. Nada Surf - Hi-Speed Soul
  8. Barenaked Ladies - I Know
  9. Moby - Lift Me Up
  10. Crowded House - Don't Dream It's Over
  11. Korn - Make Believe
  12. The Gathering - Saturnine
  13. Nightwish - Nemo
  14. The Darkness - One Way Ticket
  15. Black Rebel Motorcycle club - Red Eyes and tears
  16. Maroon 5 - This Love
  17. Mando Diao - Down In The Past
  18. Bloc Party - So Here We Are
  19. The Kooks - Sofa Song
  20. The Terrible Noises (Reloaded) - Fortune Teller

» www.batschkapp.de