Musikbücher, Februar 2007
Bücher, die sich mit Popmusik beschäftigen, haben derzeit Hochkonjunktur. Wobei sich die vor einigen Jahren allgegenwärtige „Popliteratur“ mit selbstverliebten Autoren wie Benjamin vS-B, die meist auch die Protagonisten ihres popistisch verbrämten Egonzentrismus waren, überlebt hat. Obsolet scheinen mittlerweile Bücher, die das 80er-Jahre-Setting als Ausgangspunkt für die alkohol- und softdrogengeschwängerten Adoleszenzberichte ihrer jugendlichen, überwiegend männlichen Antihelden nutzen. Je mehr Leute ein Thema entdecken, desto langweiliger und bedeutungsloser wird das Ganze – das zeigte sich in den letzten Jahren sehr deutlich. Seit einiger Zeit wird nun die Musik selbst zum Subjekt kulturwissenschaftlicher Untersuchungen, Popmusikerbiografien sind mittlerweile bei Verlagen zu finden, die sich üblicherweise nicht speziell mit Musik befassen. Pop boomt – auch und gerade im Verlagsgeschäft. Das mag zum einen daran liegen, dass Popmusik den Ruch des unseriösen Schmuddelkrams langsam verliert, zum anderen sicherlich daran, dass heutige Autoren, Lektoren, Presseleute, Verlagschefs und Kulturdezernenten durch eine ähnliche popkulturelle Sozialisation vereint werden. Warum sollten Biografien von Bob Dylan, Marilyn Manson, Campino, Johnny Cash und John Peel weniger „wichtig“ und bedeutend sein als die von Vertretern der sogenannten Hochkultur wie Theater, Klassischer Musik, Literatur?
Die erste satt.org-Musikbuchschau des noch jungen Jahres 2007 wirft einen langen Blick zurück: die Swinging Sixties stehen im Mittelpunkt. Dieses Jahrzehnt wirkte zukunftsweisend wie kein anderes des vergangenen Jahrhunderts, viele popkulturelle und politische Topoi, auf die wir uns heute berufen, haben ihren Ursprung in den sechziger Jahren. Die fünfziger Jahre bereiteten mit Filmen wie „The Wild One“, rebellisch wirkenden Schauspielern wie Marlon Brando und James Dean und den ersten Elvis-Platten zwar den Boden für die Jugendkultur, aber zumindest in Deutschland war man noch zu sehr mit Aufbau und Verdrängung der jüngeren Vergangenheit beschäftigt, um erste zarte subversive Auswüchse wahrnehmen zu können. Ganz anders dann in den sechziger Jahren: nun wurde es ernst mit dem Spaß und der Rebellion. Pop und Politik waren auf einmal keine unvereinbaren Gegensätze mehr, sondern ballten eine gemeinsame Faust. Jugendkultur wurde zum ernstzunehmenden gesellschaftlichen Faktor.
Detlef Siegfried:
Time is on my Side.
Konsum und Politik
in der westdeutschen
Jugendkultur der 60er Jahre
(Wallstein Verlag)
Diesem Wertewandel widmet sich Detlef Siegfried in „Time is on my Side“, dem Kuckucksei dieses Artikels: „Time“ ist stattliche 840 Seiten dick und eine veritable wissenschaftliche Studie, Band 41 der Reihe Hamburger Beiträge, herausgegeben von der Forschungsstelle für Zeitgeschichte Hamburg, erschienen im renommierten Wallstein Verlag. Siegfried, Jahrgang '58, Professor an der Universität Kopenhagen und Autor verschiedener kulturwissenschaftlicher Bücher, beleuchtet in fünf grossen Kapiteln das Phänomen der Jugendkultur in der BRD der sechziger Jahre, das meist in der mythischen Jahreszahl „1968“ kulminiert wird. Aufhänger des Buches ist – schon am Titel erkennbar – Popmusik mit ihrem revolutionären, subversiven, aufrührerischen, liberalisierenden und modernisierenden Potential. Siegfried gelingt der Spagat zwischen universitärer Forschung und unterhaltsamer Alltagstrivia. So erfährt man, dass in den späten Fünfzigern und frühen Sechzigern der Plattenspieler ein vorwiegend von jungen Frauen genutztes Gerät war: klein, tragbar im praktischen und modischen Köfferchen verpackt, diente der Plattenspieler dazu, Paul Anka und Roy Black auch unterwegs und beim Picknick hören zu können. Erst die später einsetzende Hightechnisierung und das aufkommende Jazzrevival, das Spezialistenwissen erforderte, machten den Plattenspieler zum männlich konnotierten Tool. Detlef Siegfried fächert ausserdem das breite Spektrum der in den sechziger Jahren aufkommenden Untergrundliteratur und -presse auf, „Twen“ und „Konkret“ wurden damals gegründet. Rundfunkformate wie Radio Bremens Beat Club gingen auf Sendung und die ersten Folk- und Undergroundfestivals auf der Burg Waldeck und die Essener Songtage lockten tausende Langhaariger zum kollektiven Musikgenuß. Den Soundtrack der Sechziger bildeten Bands wie Ton Steine Scherben, Amon Düül, Faust und die verehrten angloamerikanischen Vorbilder Bob Dylan, Rolling Stones, Byrds, Beatles – geht es um Beatmusik in Deutschland, fällt unweigerlich der Name Star-Club, 1962 auf der Hamburger Reeperbahn eröffnet. Hier leiten wir über zu
Horst Fascher:
Let the Good Times Roll!
Der Star-Club-Gründer erzählt
(Eichborn)
Bei Horst Fascher geht es kein bisschen wissenschaftlich, sondern derb und handfest zur Sache. Der siebzigjährige Mitbegründer des Star-Club erzählt seine eigene Geschichte: Kriegskind, Kleinkrimineller, Boxer, Hamburger Jung', neben Mädchen und Autos liebt er die wilde laute Beatmusik, die aus England über den Kanal schwappt. Mit 19 jobbt er in einer Kneipe und wird vom Kiezkönig Manfred Weissleder angesprochen – Weissleder gehören bereits mehrere Etablissements, nun plant er die Eröffnung eines Beatschuppens und will Fascher als Türsteher, Organisator, Mädchen für alles und Mann fürs Grobe gewinnen. Fascher zögert nicht und am 13.4.1962 eröffnet der legendärste Club Deutschlands: Hamburgs Star-Club. Fascher kann einigermassen gut Englisch sprechen und holt sie bald alle nach Deutschland: Little Richard, Bill Haley, Chuck Berry, Ray Charles (der eine für damalige Zeiten exorbitant hohe Gage verlangte – er bekam sein Geld anstandslos) und natürlich die Beatles. Fascher freundet sich mit den Fab Four an (damals war noch Stu Sutcliffe dabei, der 21jährig an einem Hirntumor starb), zieht mit den Jungs um die Häuser und reisst Mädchen für sie auf. Genüsslich räumt Fascher mit dem lange verbreiteten Vorurteil auf, die Beatles seien während ihrer Hamburger Zeit unerfahrene brave Jungs gewesen, denen es nur um die Musik ging – von wegen! Schmutzige Details könnt Ihr bei Horst Fascher nachlesen. Exzesse aller Art – Drogen, Sex, Prügeleien – bestimmten die wilden Sixties auf der Reeperbahn und Fascher sass nicht ohne Grund so manches Jahr hinter schwedischen Gardinen. Faschers Leben ist eine Achterbahnfahrt par excellence: nach seinem unfreiwilligen Ausscheiden beim Star-Club im Jahre 1965 war für Fascher die wilde Party zunächst vorbei, Krisen und Depressionen bestimmten sein Leben. Doch mittlerweile, als Rock'n'Roll-Opa scheint Fascher seinen Frieden und gefunden zu haben, seine Erinnerungen sind ein Stück Musikgeschichte, deren Lektüre nicht nur Zeitzeugen gefallen dürfte.
Siegfried Tesche:
„Mr. Kiss Kiss Bang Bang“.
Die Geschichte der
James-Bond-Titelmusiken
Buch + CD
(Schott)
Daniel Craig hat die Feuertaufe bestanden: nach anfänglich massiven Anfeindungen durch James-Bond-Fanclubs und der Presse konnte Craig voll und ganz als neuer Bonddarsteller überzeugen, Heike Makatschs Ex-Freund ist für weitere Bondfilme im Gespräch. Die Figur des britischen Geheimagenten 007, eine Erfindung des Krimiautors Ian Fleming, steht seit dem ersten Bond-Film von 1962 (James Bond jagt Dr. No) für ein Rolemodel, das dem Traum vieler Männer, nicht nur seines Autors entsprechen dürfte. Sexy, sportlich, sophisticated, umgeben von seltsamen und tödlichen Spielzeugen, aufgrund des Jobs immer mit einem Bein im Grab, aber dafür mit den heißesten Frauen des Planeten im Bett. Neben Autos, Girls und Knarren war und ist die Musik ein wichtiger Bestandteil jedes Bond-Films, Songs wie „Goldfinger“ von Shirley Bassey (1964), „All Time High“ von Rita Coolidge (1971) wurden Welthits und jeder Spatz der Erde kann das berühmte Bond-Theme pfeifen. „Deutschlands Bond-Experte Nummer eins“ (so der Klappentext) Siegfried Tetsche geht in seinem Buch der Entstehungsgeschichte der Bond-Titelmelodie nach. Er beschreibt den Streit zwischen den Komponisten Monty Norman und John Barry, die beide die Urheberrechte an dieser Melodie für sich reklamieren. Tetsche erzählt die Bondhistorie anhand einzelner Songs und Künstler, in Kapitel 17 beispielsweise geht es um die norwegische Band A-ha, die 1987 für „Der Hauch des Todes“ (Bonddarsteller: Timothy Dalton) den Titelsong „The Living Daylights“ schrieben. Da beim 1985er-Bond „Im Angesicht des Todes“ die Zusammenarbeit zwischen Duran Duran, die mit „A View to a Kill“ einen Nummer-Eins-Hit landeten und John Barry so gut klappte, wollte man mit A-ha dieses Erfolgsmodell wiederholen. A-ha wurden unter anderem wegen ihres originellen Videos zu „Take on Me“ als neue Bondband ausgewählt. Doch Barry und A-ha verstanden sich überhaupt nicht, A-ha weigerten sich sogar, den Film anzuschauen – trotz aller Widrigkeiten erreichte der Song „The Living Daylights“ immerhin Platz fünf der britischen Charts.
Ein umfangreicher Anhang mit allen Bond-Songs, deren Interpreten und Chartplatzierungen komplettieren den Band, dessen Anschaffung schon allein wegen der beigelegten CD lohnt: darauf finden sich unbekanntere Bond-Songs und Kompositionen, die keine Verwendung fanden wie zum Beispiel Blondies „For Your Eyes Only“ oder Billy Prestons Version von „Goldfinger“.*
* For further Listening: Wer von den Bond-Songs genug hat, sich aber weiterhin bondmässig slick, smart und sexy fühlen möchte, dem sei an dieser Stelle das Album „Cinescope“ der Washingtoner Funkmeister Steve Raskin und Sid Barcelona, a.k.a. Thunderball empfohlen.
Die beiden Spezialisten in Sachen „cinematic blaxploitation soundtrack funk“ shaken und stirren ultracool-urbanen Funk, Reggae, Electric Boogie und globale Beats und verbeugen sich tief vor ihren unsterblichen Vorbildern Curtis Mayfield, Isaac Hayes und – James Bond. Der Track „Thunder in the Jungle“ wird von Afrika Bambaataa veredelt, „Strictly Rude Boy“ wandelt auf Off-Beat-Pfaden – insgesamt 12 Stücke, zu denen Martinis ebenso passen wie eisgekühlter Champagner.
Michael Streissguth:
Johnny Cash at Folsom Prison.
Die Geschichte eines Meisterwerks
(Rogner & Bernhard)
Der Film „Walk the Line“, der Anfang letzten Jahres in die Kinos kam, beginnt mit dem legendären Auftritt Johnny Cashs im Gefängnis von Folsom, Kalifornien. Obwohl Johnny Cash im Laufe seiner Karriere mehr als 30 Gefängniskonzerte absolvierte, ist dieser Auftritt im Folsom Prison am 13.1.1968 der wichtigste und berühmteste. Johnny Cash hatte zu dieser Zeit einen schweren, aber erfolgreichen Drogenentzug hinter sich, seine Beziehung zu June Carter entwickelte sich positiv, aber er hatte seit einigen Jahren keinen wirklichen Hit mehr. Der Auftritt vor Gefangenen im Knast von Folsom sollte dazu dienen, seinen Ruf als Country-Outlaw, als wahrer „Man in Black“ zu manifestieren.
Michael Streissguth, Englischprofessor am Le Moyne College in Syracuse, New York widmet der Entstehungsgeschichte des Folsom-Konzerts ein ganzes Buch: das allein unterstreicht die Bedeutung des Auftritts und der dabei aufgenommenen Liveplatte, erschienen bei Columbia Records. Doch so gewagt und bewundernswert das Unterfangen Professor Streissguths ist, offenbaren sich schnell die Mängel des Buchs: Streissguth startet mit einer Kurzbio Johnny Cashs, der Geschichte seiner Jugend, seiner Soldatenzeit im deutschen Landsberg während des zweiten Weltkriegs, seiner ersten Ehe, seinen musikalischen Gehversuchen und der Beziehung zu June Carter. Das hat man in letzter Zeit oft gelesen und gesehen, kann also beinahe als Allgemeinwissen vorausgesetzt werden. Dazu kommen viele Redundanzen, die möglicherweise unvermeidlich sind, wenn ein einziges Geschehnis dargestellt werden soll, erschweren die Lektüre zuweilen aber beträchtlich. Streissguths Ausführungen verdichten sich im zentralen Kapitel drei, „Blow my Blues Away“. Hier geht er ausführlich auf die Geschichte des Folsom Prison ein, erklärt anhand konkreter Beispiele und Insassen die unmenschlichen Bedingungen im Knast, der Spannungsbogen endet im Auftritt Cashs vor den begeisterten Gefangenen. Cash solidarisiert sich mit den Häftlingen, stellt sich auf ihre Seite und bringt lauter Songs, die das Gefängnisleben, Einsamkeit, das Gefühl des Eingekerkertseins ausdrücken: „I Still Miss Someone“, „Long Black Veil“ und natürlich „Folsom Prison Blues“ mit der berühmt-berüchtigten Zeile „I shot a man in reno / just to watch him die“. Columbia Records zierte sich zunächst, das Album „Johnny Cash at Folsom Prison“ zu veröffentlichen, die Platte wurde dann zu einer der erfolgreichsten für Cash und für das Label.
Streissguth integriert die Geschichte des Häftlings Glen Sherley, der im Gefängnis den Song „Greystone Chapel“, den Cash während des Folsom-Konzerts singt, während Sherley im Publikum sitzt. Cash setzt sich später für die Freilassung Sherleys ein, der aber dem Leben „draussen“ nicht gewachsen ist. Er nimmt eine Platte mit eigenen Songs auf, stirbt aber arm und einsam als Obdachloser.
Trotz einiger stilistischer Mängel überzeugt das Buch vor allem durch die üppige Bebilderung: mehr als hundert zum Teil bisher unveröffentlichte Fotos machen „Johnny Cash at Folsom Prison“ zum perfekten Geschenk für Cash-Aficionados und -Einsteiger.