Neue (alte) Musikbücher
Nach der Buchmesse ist vor der Buchmesse: obwohl die meisten Verlage mittlerweile den strengen Veröffentlichungsrhythmus Herbst/Frühjahr aufgeweicht haben und lustig Bücher herausbringen, wann immer es sein soll, ballt es sich neuerscheinungsmässig doch nach wie vor gewaltig um die beiden deutschen Buchmessen Frankfurt und Leipzig herum. Da bleibt es manchmal nicht aus, dass Bücher entdeckt werden, die nach der gängigen Veröffentlichungspolitik längst zur sogenannten Backlist gehören, sprich als Schnee von gestern gelten. Dieser kunstwerkverachtenden Praxis im schnellebigen Kulturbetrieb wollen wir Einhalt gebieten und eröffnen unsere Musik-Bücherschau mit einem Titel, der bereits im letzten Herbst erschienen ist. Unter der Zwischenüberschrift
Personality Crisis
Lemmy (with Janiss Garza): White Line Fever Mit einem Vorwort von Bela B. (Heyne Hardcore)
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schlagen wir die Autobiographie des letzten lebenden Rockmonsters auf: Ian Fraser Kilmister gibt sich die Ehre, geboren am 24.12.1945, bekannt als Lemmy, Chef und Bassist von Motörhead. Auf 300 Seiten wird das vielschichtige, facettenreiche Porträt eines Mannes entwickelt, der unter seiner vorgeblich rauhen Schale einen sensiblen Kern …. alles Quatsch, Lemmy hasst es, weichei-mässig herumzuschwafeln und gibt den Lesern mit „White Line Fever“ voll eins auf die Glocke. Lemmy, bekennender Macho und Speedfreak, beherrscht die grosse Kunst der Selbstinszenierung, die ihn zu dem machte, was er seit Jahrzehnten ist: ein monolithischer Hardrock-Dinosaurier, der sich in dieser Rolle pudelwohl fühlt – alle anderen (und das sind im Verlauf des Buchs ganz schön viele) sind doof oder tot. Wir erfahren Details aus dem Leben des kleinen Ian, der in Stoke-on-Trent* mit seiner Mami allein aufwächst, weil der Vater (den Lemmy bis zu dessen Tod aus vollstem Herzen verachtet) die Familie verlässt, noch bevor sein Sohn das Licht der Welt erblickt. Zu den Hobbys des heranwachsenden Lemmy gehört das Reiten und er bemerkt bald, dass er als jugendlicher Pferdeflüsterer den direkten Weg zu Herzen und Höschen der weiblichen Teenager gefunden hat – seine erste Leidenschaft, nennen wir sie die wörtliche Uebersetzung von „Rock and Roll“, ist geweckt. Die anderen, Musik, Alkohol und Drogen, folgen bald. Lemmys musikalische Karriere beginnt als Bassist in einer Coverband, die Songs von den Merseybeats und den Byrds spielte. Der Weg zu Motörhead ist lang und steinig, führt über Bands wie Hawkwind, deren Mitglied Lemmy für einige Jahre ist. Während dieser Zeit – wir befinden uns im London der späten sechziger und frühen siebziger Jahre – beschliesst Lemmy, seine eigene Band zu gründen, die nur einen Chef haben wird und zwar ihn. Alle „Bastarde“ (eins seiner erklärten Lieblingswörter) können ihn von nun an gern haben: gemeinsam mit Phil „Philthy Animal“ Taylor und „Fast“ Eddie Clarke nimmt er die wegweisenden Platten „Motörhead“, „Bomber“, „Overkill“ und „Ace of Spades“ auf, ausserdem das Livealbum „No Sleep 'til Hammersmith“. Auf diese Alben können sich bis heute Heerscharen von Heavy Metal-Fans, Punks und Rockern einigen, Motörhead können – trotz aller Härte und Aggressivität im Sound – eine Konsensband genannt werden. Nach „Ace of Spades“ zerbricht die ursprüngliche Bandbesetzung, beziehungsweise Lemmy feuert und rekrutiert neue Musiker, dass einem schwindlig werden kann. Aber ihn ficht das nicht an, denn alle, die nicht seiner Meinung sind, sind ja (s.o.) doof oder tot. Und wer noch lebt, dem hat Lemmy ganz sicher geholfen: entweder beim Erlernen eines beliebigen Instruments, beim Komponieren oder beim Heroinentzug. Bei der Lektüre von „White Line Fever“ möchte man so manches Mal in die Ecke brechen, so machohaft sind Mr. Kilmisters Ausführungen bisweilen, vor allem natürlich in Bezug auf Frauen. Richtig komisch (im Sinne von lustig) wird es, wenn Lemmy philosophische Betrachtungen über die Welt und das Leben an sich anstellt, andererseits hilft dieses Buch gewiss, das angeknackste Ego jugendlicher Pickelgesichter (oder kahl werdender Altrocker) mit einem beherzten Prankenhieb aufzubauen. Mit einem Bier in der Hand (wahlweise Pillen nach Gusto), einer Braut auf dem Schoss und dem dreckigsten Hardrock aller Zeiten sieht die Welt doch wieder ganz anders aus. Cheers to Egozentrismus!
* Stoke-on-Trent, eine Gemeinde in den englischen Midlands, scheint eine geheimnisvolle Substanz im Grundwasser zu haben, die die Produktion von Rockstars begünstigt: auch Slash/Guns'n'Roses und Robbie Williams stammen aus S-o-T
Marilyn Manson (with Neil Strauss): The Long Hard Way Out of Hell Übersetzt von Christoph Gurk Koch International/Hannibal
Vito Pinto: (Selbst-)Inszenierungen als gesellschaftliche Provokation. Tabubruch und Transgression bei „Marilyn Manson“ Logos
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Aehnlich ich-fixiert wie bei Lemmy geht es auch in Marilyn Mansons Autobiografie „The Long Hard Road Out of Hell“ zu, die in diesem Frühjahr ihre zehnte (!) Auflage erreicht. Also bitte, zehn Auflagen, wer kann so viele heutzutage schon vorweisen? Eventuell Hape Kerkeling oder Michael Crichton, aber ein Popstar oder gar ein Literat? Also erstmal Hut ab ….
„The Long Hard Road“ ist in der ursprünglichen Fassung bereits 1998 erschienen, in der Zwischenzeit mehrfach überarbeitet und aktualisiert worden. Brian Warner a.k.a. Marilyn Manson realisierte offenbar schnell, dass bei einer Figur wie ihm eine Autobiografie gar nicht früh genug erscheinen kann und begann mit „The Long Hard Road“, kurz nachdem das Album „Antichrist Superstar“ erschien (1996). Manson inszeniert sich seit den Anfängen der Band als Schockrocker, Bürgerschreck und - siehe Plattentitel - Antichrist Superstar. Sein Styling ist eine bizarre Melange aus Gothic-, Sado/Maso- und Horrorelementen, auf der Bühne neigt Mr. Manson zur Selbstverstümmelung, die Narben auf seiner Brust sind Schmuck und Seelenschau zugleich. Im Buch erfährt man, wer die direkten Vorbilder für Mansons Look und Attitude sind: Willy Wonka und Kiss – sobald man das verinnerlicht hat, ist man schon mal einen Schritt weiter zum Verständnis des MM'schen Kosmos. Marilyn Brian Mansons Geschichte ist wahrscheinlich deckungsgleich mit der tausender anderer Jugendlicher. Eine verkorkste Kindheit in einer amerikanischen Kleinstadt: aufgewachsen in Canton, Ohio, in der streng christlichen Schule zu blindem religiösen und hierarchischen Gehorsam erzogen, die Eltern verklemmt und bigott. Aber eigentlich beginnt die Road into Hell in Opas Keller: mit einem Schulfreund observiert der kleine Brian das heimliche Treiben von Warner Senior in dessen Hobbykeller und entdeckt Dinge, die weder er noch der Rest der Familie sehen sollten. Opa trägt gern Frauenkleider, liebt Pornografie mit Tieren und besitzt eine beachtliche Dildosammlung. Diese Beobachtungen in der eigenen Familie lassen im jungen Brian eine grundsätzliche Skepsis gegenüber dem American Dream und all seiner oberflächlichen Verheissungen wachsen. Dazu kommt der übliche Hass auf Lehrer, Eltern, Mitschüler und voilá: hier ist der amerikanische Alptraum, verkörpert durch Marilyn Manson. Um die Musik der Band Marilyn Manson geht es in der Autobiographie nur am Rande – die Mitglieder werden zumeist als schwache, debile Drogenwracks dargestellt, die ohne seine, Mansons, starke Hand kaum lebensfähig wären. Ebenfalls eher am Rande erwähnt wird Mansons starke Verehrung für Trent Reznor, Chef von Nine Inch Nails, der aber für die Karriere von Marilyn Manson nicht unwichtig war. Manson kann gut schreiben, ist sehr belesen und philosophisch durchaus bewandert – natürlich kommt kein Manson-Buch ohne das Thema Satanismus aus, Anton LaVey, mittlerweile verstorbener Gründer der American Church of Satan wird als Quasi-Mentor Mansons beschrieben. Die Begegnung mit dem König der Unterwelt beeindruckt Manson nachhaltig, seit diesem Tag fühlt er sich befreit von den Fesseln des Christentums und inszeniert** sich umso konsequenter als Inkarnation des Antichristen. „The Long Hard Road out of Hell“ ist aufwändig ausgestattet, hunderte von Illustrationen, Fotos, Zitaten aus literarischen Werken schmücken den Band, der zwar voller Mummenschanz und HokusPokus steckt, aber andererseits mehr über „the land of the free“ aussagt als so manche wissenschaftliche Studie.
** Der Kulturwissenschaftler Vito Pinto hat dem Phänomen Marilyn Manson eine wissenschaftliche Arbeit gewidmet: Im Logos Verlag ist der Titel „(Selbst-)Inszenierungen als gesellschaftliche Provokation. Tabubruch und Transgression bei Marilyn Manson“ erschienen. Pinto erklärt Schlüsselbegriffe wie Inszenierung, Tabu, Abjekt und Provokation in Bezug auf Pop allgemein und auf Manson im Besonderen. Anhand theaterwissenschaftlicher und philosophischer Ansätze wird erläutert, weshalb eine Figur wie Manson überhaupt als „Schocker“ gilt. Detaillierte Analysen einiger Manson-Videos runden die Arbeit ab.
www.marilynmanson.com
Rob Jovanovic: Kate Bush. Die Biografie Übersetzt von Kirsten Borchardt (Koch International/Hannibal)
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Wer jetzt genug hat von der hemmungslosen Selbstdarstellung narzisstischer Rockmachos, kann zum Beispiel zur Biografie von Kate Bush greifen. Autor Rob Jovanovic hat bereits Bücher über Beck, Nirvana und Pavement verfasst und schreibt ausserdem für Zeitschriften wie Mojo und Q. Jovanovic verehrt sein Objekt und lässt sich viel Zeit mit der Geschichte Katherine Bushs, dem musikalischen Wunderkind aus der Grafschaft Kent. Kate wächst behütet auf, geniesst von Kindesbeinen an eine fundierte musikalische Erziehung, die Eltern lassen ihr aber viele Freiheiten, so dass man die kleine Kate ein glückliches Kind nennen kann. Ihre Eltern und Brüder entdecken und fördern ihre musikalische Begabung, sehr früh beginnt Kate, auf ihrem heissgeliebten Klavier selbst zu komponieren, ausserdem nimmt sie Gesangs-, Tanz- und Pantomimeunterricht, um sich zu einer „Allround-Künstlerin“ auszubilden. Als dann – die Geschichte ist bekannt – David Gilmour von Pink Floyd auf die junge Musikerin aufmerksam wird, nimmt eine Karriere ihren Anfang, die im England der späten siebziger Jahre beispiellos ist. Jovanovic thematisiert, wie „unmodisch“ Kate Bush zu Zeiten des Punkrock zunächst wirkte und wie erfolgreich die erste Single „Wuthering Heights“ wurde – inmitten von Bands wie The Damned, den Sex Pistols und The Clash. Die Plattenfirma wollte zunächst einen anderen Song als Single veröffentlichen, doch Kate Bush setzte durch, dass „Wuthering Heights“ genommen wurde. Diese Geschichte widerlegt das „ätherische“ und zerbrechliche Image, das Kate Bush bis heute vorauseilt. Miss Bush ist Löwin – im Herzen und als Sternzeichen (deshalb heisst auch ihr zweites Album „Lionheart“) und hat sich bis heute das Vorrecht bewahrt, seltsam zu sein. Ihr Ruhm und ihre Beliebtheit sind trotzdem oder gerade deswegen ungebrochen: als sie nach zwölf Jahren Funkstille das Album „Aerial“ veröffentlichte, wurde sie von ihren Fans gefeiert, als sei kein Tag vergangen. Kate Bush ist eine freakige, sehr britische, geniale Künstlerin, die sich allen Regeln widersetzt – und ein wunderbares Beispiel für einen echten Topstar, der nach den Gesetzen des Marktes gar keiner sein dürfte.
Linus Volkmann: Anke Ventil Verlag
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Linus Volkmanns Roman „Anke“ fällt neben den Biografien von Kate Bush, Lemmy und Marilyn Manson zwar ein wenig aus dem Rahmen, ist aber ein Buch, das so sehr Pop ist, wie ein Roman heute nur sein kann. Linus Volkmann schreibt über Personen, die seinem eigenen Umfeld entstammen könnten und es wahrscheinlich auch tun. Hauptfigur ist der 30jährige Gärtner, der sich in der misslichen Lage befindet, nach einigen rauschhaften Jahren als Promoter einer grossen Plattenfirma in Berlin wieder in sein Jugendzimmer im Elternhaus in Hattersheim/Hessen zurückkehren zu müssen. Die fetten Jahre sind vorbei, Gärtner wurde aussortiert und kann jetzt nur noch im Rückblick davon zehren, dass sein Name mal was galt und auf allen Gästelisten der Republik stand. Als Erwachsener „nach Hause“ zurückzukommen, heisst auch, seiner Vergangenheit in Form von längst vergessenen Schulkameraden zu begegnen. Leuten, die mit der hippen Berlin-Posse nichts anfangen können und deren geilste Zeit „damals“ war, damals mit 16, Klassenfahrt zum Titisee, you name it. All diesem muss sich Gärtner stellen und trifft ausserdem noch seine Exfreundin Anke wieder – die Beziehung lebt zwar nochmal auf, endet aber nicht gut. History repeated … Auch wenn die Geschichte an sich nicht wahnsinnig originell ist, die Erzählung lebt durch Volkmanns unverwechselbaren Stil, der im „Intro“ für die unterhaltsameren Passagen sorgt. Er schreibt witzig, aber nicht albern, lakonisch, aber nicht larmoyant. Er zitiert Popbands und deren Lyrics, biedert sich aber nicht an. Seine Beschreibungen von In-Parties, In-Klamotten und In-Büros und den damit verbundenen gescheiterten Lebensläufen ihrer Protagonisten sind zum Teil sogar regelrecht tragisch. Wie das richtige Leben eben.