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April 2007
Robert Mießner
für satt.org

DISCO 3000
01

Jazz klänge ihm nach Bluthunden, die einen Langsameren hetzen, befand Theodor Adorno. Bei allem Respekt sei an dieser Stelle Einspruch erhoben. Jazz ist klingende Freiheit, gehört weder in Yuppielofts noch in den Staub der Akademien. Disco 3000 (nach Sun Ras ultrararer Platte von 1978) stellt in loser Folge vor: Klassiker und Neuerscheinungen, Unerhörtes und Vergessenes der Tanzmusik von übermorgen. Stil- und Genregrenzen werden bewusst ignoriert. Für den Tag, an dem wir den tanzenden Stern gebären.

Sprich Cockney, spiele den Jazz von morgen
Infinite Livez vs Stade “Art Brut Fe De Yoot”

Infinite Livez vs Stade “Art Brut Fe De Yoot”

Früher war alles so herrlich einfach. In der einen Ecke Hip Hop, die Erfolgsstory seit spätestens den frühen Neunzigern. In der anderen Jazz, speziell Avantgarde-Jazz, das unverdaulichste Gebräu seit der Zwölftonmusik. Pop das eine, Hochkultur das andere. So einfach war es natürlich nie (Stichwörter Gang Starr, Miles Davis, Guru). Und mit Art Brut Fe De Yoot wird es das endgültig nicht mehr sein.

Infinite Livez
Infinite Livez
Foto: Tom Oldham

Als die Nischen noch schön gesondert lagen, in den achtziger Jahren, wächst Infinite Livez, Sohn einer jamaikanischen Familie, in Londons East End auf. In Bethnal Green, um genau zu sein, dem Viertel der Kray Twins. Der junge Mann, der heute zumeist mit einer Handpuppe, Barry Convex genannt, auftritt und sich auch Vinnie Tiefilz (Linguisten vor) nennt, hört, wie könnte es anders sein, Dub und Dancehall. Bis er eines Tages auf Grandmaster Flash and The Furious Fives The Message stößt. Infinite ist schwerstens verblüfft. Von den zornigen Wortkaskaden und dem Sound, der ihm, obwohl nicht aus Jamaika stammend, sonderbar bekannt vorkommt. Er fängt an mit Breakdance, bis er 1985 selbst das Mikro in die Hand nimmt und zu rappen beginnt. Musikstunden folgen, und, nachdem er 1989 die Schule verlässt, sogar ein Plattenvertrag. Die Aufnahmen freilich bleiben in der Schublade. Wie De La Soul soll der Nachwuchsstar klingen. Er will aber nicht.

Stattdessen schreibt er sich an der Chelsea School of Art ein (genau die, die auch Ralph Fiennes besucht hat), macht seinen Abschluss. Zeichnet und designt, die Musik wird vorerst ein Hobby bleiben. Das er in einer Punkband pflegt, die sich Garage, den Butthole Surfers und Steve Albini verschrieben hat. Eine Szene freilich, die genauso ihre Tücken hat. Noch heute beklagt sich Infinite darüber, wie von Punk und Hip Hop nur die Variante Fastfood verkauft wird. Wo doch unter der Oberfläche so viel mehr zu entdecken ist. Für Jahre arbeitet Infinite Livez an seinem Stil, studiert den musikalischen Straßenslang seiner Gegend: Cockney, der Dialekt, von dem er sagt, dass er bestens geeignet sei, bilderreiche und surreale Geschichten zu erzählen. Als er 2004 dann doch sein Debütalbum veröffentlicht, Bush Meat, auf dem Label, dass nicht umsonst Big Dada heißt, versuchen sich auf dem Festland, in Lausanne, zwei Schweizer an Grenzüberschreitungen der ganz eigenen Art. Pierre Audétat, Piano und Sampler, und Chris Calpini, Drumpads und Sampler, wollen nichts weniger, als die vertrackten Klänge des Jazz und die direkte Sprache des Hip Hop zu einer neuen elektroakustischen Musik verbinden. Über zehn Jahre haben sie bereits auf beiden Feldern gearbeitet, bis sie Stade gründen. Das Duo bildet den Kern eines offenen Kollektivs, dem sich bald Namen wie Elliott Sharp und Nils Petter Molvaer anschließen sollen. Und Audétat Infinite Livez auf einer Schweizer Bühne erlebt, den Londoner spontan zur Mitarbeit einlädt.

Infinite Livez vs Stade
Infinite Livez vs Stade
Foto: Ellen Doherty

Art Brut Fe De Yoot, das Ergebnis der Einladung, kommt der Vision des so noch nie gehörten Hip Hops und der Avantgarde, die noch verblüffen kann, überwältigend nahe. Soul erklingt, ein Piano, das so auch vor einem Barpublikum gespielt werden könnte. Um im nächsten Moment von Lautmalerei und Sprachfetzen unterlaufen zu werden. Infinite Livez jagt seinen Gesang, der im übrigen ein außerordentlich melodiöser sein kann, durch Effektgeräte, Audétat und Calpini improvisieren dazu. Wobei ihre Spielart von Improvisation in höchstem Maße strukturiert und rhythmisch ist. Durch das ganze Album zieht sich ein aberwitziger, fast schon grotesker Humor. Es darf vermutet werden, dass Infinite seinen Schweizer Kollegen erst einmal eine ganze Kollektion Monty Python gezeigt hat. Oder wie sonst kommt das Trio zu Stücken, die da webcamwoman.co.uk, The Ballad of Baby Man oder, schwer noch zu übertreffen, Artyfartypartynazi heißen. Auf The Confessions of a White Backing Band (schon wieder einer dieser programmatischen Titel) spielt selbige gar auf einem Cembalo. Der zehnte Song ist schlicht Track 10 überschrieben. Einer nennt sich The Taste of Jazz to Cum (und ist es dann auch). From Now On Things Are Gonna Be Different heißt es zum Schluss dieser stilistischen Geisterbahnfahrt. Es sind ausdrücklich skurrile, aber in der Mehrheit gute Geister, die einem begegnen. Infinite Livez und Stade werden ihrem eigenen Anspruch gerecht. Das vermeintlich Komplizierte, selten klang es so gegenwärtig, ja fast schon wieder einfach.



» www.myspace.com/vinnietifeilz
» www.myspace.com/stademusic