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April 2007
Christina Mohr
für satt.org

Do it Yourself


D-I-Y. Do it Yourself.
The Rise of the
Independent Music
Industry After Punk

(Soul Jazz 2007)

Do it Yourself. The Rise of the Independent Music Industry After Punk
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Der Begriff DIY, Do it Yourself wird – ähnlich wie das Wort “Independent” - als Synonym für eine musikalische Stilrichtung (im weitesten Sinne Punk) verwendet, ohne tatsächlich einen Stil zu bezeichnen. DIY heisst zunächst ja nur “mach' es selbst”, und das kann vom Bau einer Gartenhütte über Pulloverstricken bis hin zum Gitarre-schnappen-und-Band-gründen alles mögliche bedeuten. Aufs Popmusikbusiness übertragen steht DIY (oder Independent) für ökonomisches Handeln von Bands, Labels, Läden und Konzertveranstaltern jenseits etablierter Majorstrukturen. Bombast-Rockbands wie Yes oder Pink Floyd hatten den Musikbetrieb der siebziger Jahre in eine Starre versetzt, die von respektlosen Youngsters mit Wonne aufgebrochen wurde: Der Impuls, alles selbst, sofort und unabhängig zu tun, ging mit dem Aufblühen der Punkbewegung Hand in Hand, was zur Gleichsetzung von Musik und neuen wirtschaftlichen Strukturen führte. Die Idee, dass jede/r ein Künstler, Musiker, Designer, Clubbetreiber sein konnte, der es nur wollte – ohne vorherige “Arbeit” in Form von jahrelangem Üben oder einer Ausbildung – war revolutionär und stiess die Kunsthandwerker besagter Dinosauriercombos vor den Kopf. Wobei hier eingeschoben werden soll, dass die Punks erster Stunde natürlich jeglichen Vorwurf des Künstlerseins weit von sich wiesen – die frühe Phase des Punk hatte etwas sehr expressionistisches: alles Alte kaputthauen, auf dass Neues aus den Trümmern entstehe.

Der vom Soul-Jazz-Label wie gewohnt sehr aufwändig gestaltete und liebevoll zusammengestellte Sampler “DIY. The Rise of the Independent Music Industry After Punk” sorgt für ein Wiederhören mit Bands, die die Gunst der Stunde nutzten, die von Punk vorbereitet wurde. Einige davon sind bis heute populär, wie die Buzzcocks, die den Sampler mit “Boredom” eröffnen, oder Kleenex aus der Schweiz, die nicht lange so heissen durften: der gleichnamige Papiertaschentuchhersteller und Markeninhaber klagte gegen die Frauenband, die sich bald in Liliput umbenannte. Auch die Swell Maps, die Band der mittlerweile verstorbenen Brüder Nikki Sudden und Epic Soundtracks, wurden einigermassen bekannt, ebenso wie Scritti Politti, das Bandprojekt von Green Gartside, der im letzten Jahr mit “White Bread, Black Beer” eines der schönsten Comebackalben veröffentlichte. Auf “DIY” ist die erste Scritti-Single “Skank Bloc Bologna” zu hören, die auf feinsinnige Weise Punk und Antonio Gramsci zusammenbrachte. Ebenfalls vertreten ist eine der ersten Aufnahmen von Industrial Records: Throbbing Gristle's “Distant Dreams (Part Two)” klingt in der Rückschau erstaunlich zahm und verspielt, die Synthie-Etüde bereitete den Boden für die vielen verschiedenen Formen elektronischer Musik von Industrial bis EBM. Thomas Leers “Tight as a Drum” klingt wie es heisst, auch dieser Prä-Elektro-Track beweist – wie die Experimental-Extremjazzer Blurt und die Bristol-Pioniere Glaxo Babies - dass “DIY” nicht zwangsläufig Punkrock bedeuten muss. Untergegangene Bands wie Artery, The Naffis, The Flys oder Mick Hucknalls (Simply Red) erste Band The Frantic Elevators werden aus der Versenkung gekramt – nicht jede Band konnte bleibende Eindrücke hinterlassen, aber gut, dass sich doch noch jemand an sie erinnert. Der Sampler könnte durchaus auch einen anderen Titel tragen, die Auswahl der Bands und Songs verweist nicht zwangsläufig auf die DIY-Bewegung, liefert aber ein facettenreiches Bild von Independent-Musik der Jahre 1977 – 1986.

Wem nach dem Studium der umfangreichen Sampler-Linernotes von Stuart Baker der Sinn nach weiterführender Lektüre steht, sollte zu Rob Youngs bisher nur in englischer Originalfassung erhältlich Buch über das Label Rough Trade greifen. Young hat für die Reihe “Labels Unlimited” des Verlags Black Dog Publishing bereits einen Band über Warp Records verfasst, weitere Titel sind geplant.


Rob Young: Rough Trade
Black Dog Publishing 2006

Rob Young: Rough Trade

190 S., Tb, $29.95
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Rough Trade und sein Gründer/Impresario Geoff Travis versinnbildlicht wie kein anderes Label den Independent-Gedanken. Der 24jährige Travis war gerade von einem längeren USA-Aufenthalt nach Great Britain zurückgekehrt, im Gepäck hatte er jede Menge Schallplatten, die er billig in San Francisco erstanden hatte. Diese bildeten den Grundstock für den Plattenladen, den er 1976 in 202 Kensington Park Road, London eröffnete und den er nach dem Titel eines Groschenromans “Rough Trade” nannte – eine einzigartige Story nimmt ihren Lauf, die Vorbild wurde für andere Independentlabels wie Mute und Factory.

Rough Trade wurde bald zum Treffpunkt für Punks und Reggaefans, MusikerInnen wie Mayo Thompson und Vivien Goldman arbeiteten dort und machten den Laden zum kreativen Hotspot der Stadt. Im Jahre 1978 stoppte ein Auto aus Frankreich vor dem Laden – vier junge Punkrocker sprangen heraus und hielten Geoff Travis ein Tape unter die Nase: “Kannst du uns helfen? Wir wollen eine Single rausbringen!” Travis zögerte nicht lange, und Metal Urbains “Paris Maquis” wurde die erste Veröffentlichung des Rough-Trade-Labels. Den Vertrieb übernahm man ebenfalls selbst und Rough Trade begann zu wachsen. Bands wie Cabaret Voltaire, Stiff Little Fingers, The Monochrome Set oder Subway Sect erschienen bei Rough Trade, das Label wurde zur ersten Adresse für Postpunk. Kultstatus (um dieses hässliche Wort zu benutzen) erreichte Rough Trade durch Signings wie The Fall und - The Smiths. Spätestens ab “Hand in Glove”, der ersten Smiths-Single schien für Rough Trade alles möglich, Geoff Travis und Morrissey entwickelten Allmachtsphantasien. Doch der Kapitalismus ist grausam: Rough Trade übernahm sich gewaltig, zersplitterte in ein undurchsichtiges Gewirr von Unter- und Nebenfirmen, der internationale Vertrieb brach zusammen, alles schien verloren, Travis am Ende. Aber – Wunder geschehen – und Rough Trade rappelte sich langsam wieder hoch. Nach einem von Höhen und Tiefen bestimmten Beginn der neunziger Jahre (die Rave-Welle war am Abebben und spülte einige nichtssagende Epigonen an), gelang es Travis und seinem “pair of good ears”, vielversprechende Bands wie The Sea and Cake und Mazzy Star an Rough Trade zu binden. Und in den Nullerjahren ging es mit den Libertines, den Strokes Antony and the Johnsons und Arcade Fire noch mal richtig los … to be continued …

Rob Youngs empfehlenswertes Buch erzählt nicht nur die Rough Trade History von A bis Z, sondern enthält viele Interviews, Bandporträts, Fotos, Cover- und Ticketabbildungen und einen umfangreichen Anhang mit Bandlexikon und – ganz wichtig – der kompletten Rough-Trade-Discographie.