Anzeige:
Sofie Lichtenstein: Bügeln. Protokolle über geschlechtliche Handlungen




April 2007
Marcel Tilger
für satt.org

Alleine zu zweit

Es hatte sich längst abgezeichnet, dass die Wege von Duncan Patterson und Mick Moss sich trennen würden. Mehrere Jahre lang haben die beiden Musiker als kreatives Gespann unter dem Namen Antimatter agiert, haben Musik aufgenommen, die in ihrer stillen Kraft atemberaubend ist und sind mit einiger Konstanz quer durch Europa getourt (dokumentiert auf „Live @ K13“). Schon ihr zweiter gemeinsamer Streich „Lights Out“ (2003) – ein Album voller Nachtstücke, ein Album, das Patterson noch immer schwärmerisch als eines seiner gelungensten und intensivsten bezeichnet – lässt hinter der Musik allerdings zwei Songschreiber erkennen, die bei aller geistigen Verwandtschaft zueinander nicht finden können. Zwar werden alle Stücke noch gemeinsam in Dublin eingespielt. Ein wirkliche Kooperation wie das Stück ,Angelic’ (aus dem Debütalbum „Saviour“; 2002), das seine Existenz beiden Musikern zu gleichen Teilen verdankt, gibt es hier jedoch nicht mehr. „Planetary Confinement“, 2005 veröffentlicht, ist schließlich eine Split-CD im wahrsten Sinne des Wortes und vereinigt unter einem Namen zwei Künstler, die an mehreren Produktionsstätten (Irland und Frankreich: Patterson; England: Moss) zwei Alben aufnahmen und dabei von zwei unterschiedliche und letztlich doch miteinander harmonierenden ästhetische Ansätze ausgingen. Dass Patterson Antimatter danach verließ, scheint konsequent und ermöglicht beiden Musikern heute, ihren Weg völlig frei und unabhängig zu gehen. Jetzt melden die Musiker sich mit neuer Musik zurück: Íon, Pattersons neues Projekt, wurde im Dezember 2006 veröffentlicht; das neue Antimatter-Album wird Anfang April erscheinen. Es bietet sich an, diese beiden Alben gegeneinander zu hören.


Antimatter:
Leaving Eden

(Prophecy/Soulfood 2007)

Antimatter: Leaving Eden
   » amazon

Während Patterson in dem aus seiner Feder stammenden Abschnitten von „Planetary Confinement“ die Stimme immer öfter schweigen lässt oder sie im Laufe eines Stückes zum Verstummen bringt, hat Mick Moss, um mit einer im Briefwechsel zwischen Hugo von Hofmannsthal und Richard Strauss immer wieder auftauchenden Ermahnung des Dichters zu sprechen, dem Gesang oft absoluten Vorrang eingeräumt. Dass Patterson selten selber gesungen, sondern sich für seine Kompositionen stets weibliche Unterstützung ins Studio geholt hat, kann helfen, die verschiedenen Vorgehensweisen zu verstehen. Wichtiger aber scheint, festzuhalten, dass Moss beim Ausarbeiten seiner Musik von Anfang an weitgehend der Singer/Songwriter-Tradition verhaftet zu sein schien. Wo Patterson oszillierende Miniaturen schuf und Texte schrieb, die am Ende in erster Linie Stimmung erzeugen und transportieren, meinte und meint man, mit Moss’ Texten eine Message, ein Anliegen verbinden zu können, das von der Musik entsprechend aufgegriffen und getragen wird. „Leaving Eden“ weicht von diesem Muster kaum ab, entwickelt seine prägenden Momente aber immer häufiger auch aus einem Instrumentarium heraus, das Verstärker bedarf. Problematisch ist das nicht, weil „Leaving Eden“ dadurch ein lauteres, rockigeres Antimatter-Album geworden ist – wer gerne in Melancholie badet, findet in ,Ghost’ noch hinreichend Ruhe, den eigenen Gedanken nachzuhängen, und in ,Landlocked’ genügend elegante Streicher, eine gewisse Sentimentalität zu befeuern –, sondern weil die kraftstrotzenden, von E-Gitarren vorangetriebenen eruptiven Auflösungen konstruiert wirken und außer einer Zunahme an Lautstärke keine nennenswerte atmosphärische Wirkung zeitigen. Ausnahmen wie ,The Immaculate Misconception’ und das Titelstück ,Leaving Eden’ bestätigen diese Regel eher als sie zu widerlegen, taugen indes, um auf Moss’ charismatische und durchaus wandelbare Stimme hinzuweisen, die sicher und selbstbewusst zwischen satter und feinfühliger, beinahe wunder Intonation changiert. Es ist immerhin auch dieses besondere Timbre, an dem der Name Antimatter haftet und in dem sich die Schönheit der Musik bricht, an dem sie sich reibt, aus dem sie erst erwächst. Ob im sphärischen, getragenen Rock dieser Nummern Antimatters Zukunft liegt, bleibt abzuwarten. Ein feineres Händchen beim Abmischen wäre Moss in diesem Falle zu wünschen, damit ein klangliches Gefälle, wie es auf „Leaving Eden“ zwischen akustischen Passagen auf der einen Seite und E-Gitarre und Schlagzeug auf der anderen Seite vorherrscht, zukünftig vermieden wird.


» www.antimatter.tk




Íon: Madre,
Protégenos

(Equilibrium 2007)

Íon: Madre, Protégenos

Wer die Bands kennt, in denen Duncan Patterson schon gewirkt hat, verfügt über eine solide Ausgangsposition, um zu erahnen, welche Musik es von ihm nicht mehr geben wird. Wiederholung ist dem Mann ein Gräuel und die kreative Verwandlung ein hohes künstlerisches Gut. Als er die britische Gruppe Anathema als einer der wesentlichen künstlerischen Köpfe aus dem Doom-Metal-Untergrund zunächst zu einer melodischeren, offeneren Variante ihres Stils führte („The Silent Enigma“), sie auf dem raumgreifenden „Eternity“-Opus an Pink Floyd anlehnte und sie nach „Alternative 4“ in einem nach allen Seiten offenen Universum mit den Koordinaten Radiohead, Beatles und Pink Floyd verließ, schien er als Rockmusiker alles gesagt zu haben. In Antimatter und in einer in erster Linie auf der Akustikgitarre basierenden Musik lag eine neue Herausforderung, in der man rückblickend schon eine vage Vorausdeutung auf „Madre, Protégenos“ verorten kann. Erst in den Jahren mit Antimatter entwickelt Patterson sich weg vom Rock-Furor, von einer nach vorne drängenden, eingängigen Strophe/Refrain-Struktur und lernt, wie man mit dem minimalen Einsatz von Klängen ein absolutes Maß an atmosphärischer Dichte erzielt. Íon erreichen in dieser Hinsicht ein vorläufiges Klimax. Der Bandname (Íon: gälisch für rein oder pur) spielt dabei kaum auf eine stilistisch reine oder gar eindimensionale Musik an. Vielmehr bringt er zum Ausdruck, wie sehr Patterson, der vor einigen Jahren von Großbritannien nach Irland übersiedelte, künstlerisch mittlerweile in der irischen Kultur und Tradition wurzelt; nachzuhören ist das auch und vor allem in dem gleichermaßen hinreißend und wehmütig intonierten Traditional ,Goodbye Johnny Dear’. Auf der anderen Seite hebt die prominente Verwendung des Gälischen auf ein ganz generelles Hingezogensein zum Archaischen, zum Folkloristischen ab. Obwohl dieser Begriff ob seines inflationären Gebrauchs inzwischen viel von der konkreten Bedeutung eingebüßt hat, die er vielleicht niemals besaß, lässt „Madre, Protégenos“ sich nur – falls überhaupt – als Weltmusik definieren. Man sollte sich alleine die schnöden Eckdaten dieses Albums auf der Zunge zergehen lassen: Zu hören sind Musiker aus acht Nationen (Irland, Italien, Griechenland, Russland, USA, Mexiko, Argentinien, Australien), sieben verschiedene Stimmen und eine Vielzahl von (mitunter traditionellen) Instrumenten, deren spezielle, individuelle Klangfarben das Album bei allem Minimalismus so nuancenreich machen. Wer darob zerfahrene, schwer überschaubare Stücke erwartet, sollte genauer lesen. Alle Stücke kreisen um einzelne, fragile Melodien, ziehen ihre Kraft aus meditativen, beinahe mantraartigen Wiederholungen und einer manches Mal fast bis zum Verstummen der Musik ausgereizten Laut/Leise-Dynamik. Verhalten pluckernde Beats zollen hie und da den im Grunde in minimalistischer Musik allgegenwärtigen Größen des TripHop Tribut, müssen am Ende aber eine Andeutung bleiben; die wabernde Samples und Keyboards decken solche Details nicht wie zäher Kleister zu, sondern lassen sie, wie aus einem sich dahin windenden Fluss, auftauchen und wieder untergehen. Dies ist, kurzum, Musik von schlichter Schönheit und Kraft, Musik wie ein Traum, Musik wie eine Reise, von der man wünscht, dass sie niemals enden möge.


» www.ion.equilibriummusic.com