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Die angebliche “Pornografisierung der Gesellschaft“ ist zur Zeit das Medienthema: so diskutierte im TV kürzlich Alice Schwarzer auf Sandra Maischbergers Elternzeit-Moderationssessel mit fachkundigen Gästen wie Gaby Dohm und King Orgasmus One über das Thema "Früher, härter, unromantischer - Sex ohne Liebe?" In besagter Sendung erfuhr man nicht wirklich Bahnbrechendes, Alice Schwarzer rückte keinen Millimeter von ihrer schon vor 30 Jahren gefaßten Meinung ab: Pornos sind schlecht, verderben die Jugend, erniedrigen Frauen und führen zwangsläufig zu gewaltsamen Übergriffen; die Talkgäste kamen entweder kaum zu Wort oder waren des Wortes an sich kaum mächtig (King Orgi), so dass man ratlos wegzappte. Fakt ist, dass Sex, nackte Körper und deren Vermarktung in Film,Werbung, Alltag überpräsent sind, und “Porno“ sich vom Schmuddelbegriff zum Lifestyleaccessoire hochschlief. Passend zur aktuellen sensibilisierten PorNO- oder -YES-Stimmung haben die beiden Musiker, Journalisten und DJs Fritz Ostermayer und Didi Neidhart 69 (sic!) Songs, Tracks und Filmmusiken ausgesucht, die bei Normal Records auf vier Samplern erschienen sind – die “Heavy Breathing“-Hedonismus-Quadrologie fächert sich auf in die Kapitel “Bite It! Greasy Listening/Erotica/Obscure Beats/Curious Sextronica“, “Thrill Me! Funky Pleasures/Soulful Body Languages/Bouncy Buttshakes“, “Stop It! Sampled Lust/Electronic Orgasms/Digital Porn“ und “Touch Me! Disco Extravaganza/Kinky House Tunes/Ecstatic Techno.“ Alle Stücke handeln von Sex, laden zum Sex ein, sind meistens höchst explizit und nur für Leute über 18 – mal ist es der pumpende Groove, der zeigt, wo's langgeht; mal die unmissverständlichen Lyrics und überwiegend das Gestöhne meist weiblicher Prä- und Postorgasmierender. Es gibt jede Menge Funk, Psychedelic, Disco, Soul und experimentellen Elektro, keinen Gitarrenrock, der per se unsexy zu sein scheint. Auf CD 1 (“Bite It!“) finden sich sleazy Soundtracks aus Siebzigerjahrefilmen, Jean Seberg haucht “Hiasmina“, ein Song, der dem Eurotrash-Film “Kill!“ mit unter anderem Curd Jürgens entstammt, die Psychedelic-Hippies Rare Earth sind mit “Come With Me“ zu hören, Screamin' Jay Hawkins entführt die Hörer ins Land of Voodoo-Sex mit “Bite it“ - originelle Raritäten halten sich mit Stöhnorgien wie Ritas “Erotica“ die Waage. Sampler Numero 2 widmet sich sexy Soul und Funk, es ist beeindruckend, Ike und Tina Turner bei “Doin' it“ zuzuhören, oder Kool Keith, HipHop-MC aus der Bronx, dessen “Lick My Ass“ passenderweise auf Funky Ass Records erschienen ist. Female alien Grace Jones raunt “Feel Up“, Lil' Kim, James Rivers und Intimate Strangers steuern verruchte funky Tracks zur privaten Swingerparty bei. Der musikalisch spannendste Sampler ist Nummer 3 mit anspruchsvollen Elektro- und No-Wave-Tracks von James White (mit einer extrem angeturnten Lydia Lunch am Telefon), Chris & Cosey, Kevin Blechdom, die gemeinsam mit Mocky eine heftige Version ihres “Love You From the Heart“ bringt und einer sehr süssen Version des Stöhn-Klassikers “Je t'aime … moi non plus“ von Sven Väth und Miss Kittin'. Mehr auf die Tanzfläche als auf die Satinlaken entführt Sampler Nummer 4, der auch als dezent erotisierte House- und Discocompilation durchgehen würde. Hier rocken und shaken Whirlpool Productions, Montana Sextet, Basement Jaxx, Armand van Helden oder Raze, Hyper Crads “3“ gibt's im geilen (ha!) Backdoor Mix. Trotz der bacchantischen Fülle und offensichtlicher Perlen verhält es sich auch mit Sexmusik nicht anders als mit allem anderen auf der Welt: zu viel ist zu viel. Nach vier Stunden Stöhnen, Lustschreien zu aufpeitschenden Funktracks und gehauchten “Ohhhh Babys“ fühlt man sich so abgestumpft wie eine Sexshopverkäuferin im Frankfurter Bahnhofsviertel. Und wird später in der Nacht Kopfschmerzen vortäuschen. Coming Home.
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