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April 2007
Christina Mohr
für satt.org

Sampler für den April

Heavy Breathing, Vol. 1 – 4
(Normal Records)
www.heavy-breathing.com

Heavy Breathing 1
Heavy Breathing 2
Heavy Breathing 3
Heavy Breathing 4

Die angebliche “Pornografisierung der Gesellschaft“ ist zur Zeit das Medienthema: so diskutierte im TV kürzlich Alice Schwarzer auf Sandra Maischbergers Elternzeit-Moderationssessel mit fachkundigen Gästen wie Gaby Dohm und King Orgasmus One über das Thema "Früher, härter, unromantischer - Sex ohne Liebe?" In besagter Sendung erfuhr man nicht wirklich Bahnbrechendes, Alice Schwarzer rückte keinen Millimeter von ihrer schon vor 30 Jahren gefaßten Meinung ab: Pornos sind schlecht, verderben die Jugend, erniedrigen Frauen und führen zwangsläufig zu gewaltsamen Übergriffen; die Talkgäste kamen entweder kaum zu Wort oder waren des Wortes an sich kaum mächtig (King Orgi), so dass man ratlos wegzappte. Fakt ist, dass Sex, nackte Körper und deren Vermarktung in Film,Werbung, Alltag überpräsent sind, und “Porno“ sich vom Schmuddelbegriff zum Lifestyleaccessoire hochschlief.

Passend zur aktuellen sensibilisierten PorNO- oder -YES-Stimmung haben die beiden Musiker, Journalisten und DJs Fritz Ostermayer und Didi Neidhart 69 (sic!) Songs, Tracks und Filmmusiken ausgesucht, die bei Normal Records auf vier Samplern erschienen sind – die “Heavy Breathing“-Hedonismus-Quadrologie fächert sich auf in die Kapitel “Bite It! Greasy Listening/Erotica/Obscure Beats/Curious Sextronica“, “Thrill Me! Funky Pleasures/Soulful Body Languages/Bouncy Buttshakes“, “Stop It! Sampled Lust/Electronic Orgasms/Digital Porn“ und “Touch Me! Disco Extravaganza/Kinky House Tunes/Ecstatic Techno.“ Alle Stücke handeln von Sex, laden zum Sex ein, sind meistens höchst explizit und nur für Leute über 18 – mal ist es der pumpende Groove, der zeigt, wo's langgeht; mal die unmissverständlichen Lyrics und überwiegend das Gestöhne meist weiblicher Prä- und Postorgasmierender. Es gibt jede Menge Funk, Psychedelic, Disco, Soul und experimentellen Elektro, keinen Gitarrenrock, der per se unsexy zu sein scheint.

Auf CD 1 (“Bite It!“) finden sich sleazy Soundtracks aus Siebzigerjahrefilmen, Jean Seberg haucht “Hiasmina“, ein Song, der dem Eurotrash-Film “Kill!“ mit unter anderem Curd Jürgens entstammt, die Psychedelic-Hippies Rare Earth sind mit “Come With Me“ zu hören, Screamin' Jay Hawkins entführt die Hörer ins Land of Voodoo-Sex mit “Bite it“ - originelle Raritäten halten sich mit Stöhnorgien wie Ritas “Erotica“ die Waage. Sampler Numero 2 widmet sich sexy Soul und Funk, es ist beeindruckend, Ike und Tina Turner bei “Doin' it“ zuzuhören, oder Kool Keith, HipHop-MC aus der Bronx, dessen “Lick My Ass“ passenderweise auf Funky Ass Records erschienen ist. Female alien Grace Jones raunt “Feel Up“, Lil' Kim, James Rivers und Intimate Strangers steuern verruchte funky Tracks zur privaten Swingerparty bei. Der musikalisch spannendste Sampler ist Nummer 3 mit anspruchsvollen Elektro- und No-Wave-Tracks von James White (mit einer extrem angeturnten Lydia Lunch am Telefon), Chris & Cosey, Kevin Blechdom, die gemeinsam mit Mocky eine heftige Version ihres “Love You From the Heart“ bringt und einer sehr süssen Version des Stöhn-Klassikers “Je t'aime … moi non plus“ von Sven Väth und Miss Kittin'. Mehr auf die Tanzfläche als auf die Satinlaken entführt Sampler Nummer 4, der auch als dezent erotisierte House- und Discocompilation durchgehen würde. Hier rocken und shaken Whirlpool Productions, Montana Sextet, Basement Jaxx, Armand van Helden oder Raze, Hyper Crads “3“ gibt's im geilen (ha!) Backdoor Mix.

Trotz der bacchantischen Fülle und offensichtlicher Perlen verhält es sich auch mit Sexmusik nicht anders als mit allem anderen auf der Welt: zu viel ist zu viel. Nach vier Stunden Stöhnen, Lustschreien zu aufpeitschenden Funktracks und gehauchten “Ohhhh Babys“ fühlt man sich so abgestumpft wie eine Sexshopverkäuferin im Frankfurter Bahnhofsviertel. Und wird später in der Nacht Kopfschmerzen vortäuschen.


Coming Home.
Compiled by Nouvelle Vague
(Stereo Deluxe/edel)

Coming Home - Compiled by Nouvelle Vague

Wer die vier Sex-Sampler durchgehalten hat, darf sich jetzt mit der “Coming Home“-Ausgabe von Nouvelle Vague, entspannen. “Coming Home“ ist eine Reihe des Labels Stereo Deluxe, anders als bei den DJ-Kicks-Alben von !K7 handelt es sich nicht um DJ-Mixe, sondern schlicht und einfach Lieblingstracks von Musikern, liebevoll zusammengestellt wie einst die gute alte Cassette respektive Mixtape. Kürzlich haben wir Tim “Love“ Lees Zusammenstellung vorgestellt, jetzt sind die französischen Produzenten Olivier Libaux und Marc Collin, besser bekannt als Nouvelle Vague an der Reihe. Libaux und Collin sind seit ein paar Jahren mit ihren Bossa- und Chansonversionen von Disco- und Punksongs enorm erfolgreich; die charmante Idee, junge Laiensängerinnen ein ihnen unbekanntes Stück aus ihrem Geburtsjahr interpretieren zu lassen, öffnete weltweit Herzen und Clubtüren für Nouvelle Vague. Der Bandname bezieht sich auf eine Stilrichtung des (vornehmlich) französischen Films, so lag es nahe, den cineastischen Moment auch bei den zu kompilierenden Stücken anzuwenden. Auf “Coming Home“ finden sich 20 Melodien, die ausschliesslich aus Filmsoundtracks stammen. Der Reigen wird mit Gato Barbieris “Last Tango in Paris“ eröffnet, führt weiter über “The Way to San Matteo“ von Lalo Schifrin, stoppt mit Nino Rota kurz in “O Venezia“ und endet schliesslich mit Vangelis' “La Petite Fille De La Mer.“ Die Tracks sind melancholisch, weltgewandt, obskur, easy-listening-mässig, glamourös und verträumt. Es gibt überwältigende Momente in Breitwand und Technicolor, aber auch das kleine Glück in der Dachmansarde. James-Bond-Komponist John Barry darf natürlich ebenso wenig fehlen wie Ennio Morricone, aber die meisten Stücke sorgen mit ihrer zurückhaltenden Art für leise, angenehme Aha- und Überraschungsmomente. Nouvelle Vague zeigen mit ihrer geschmackvollen Auswahl, dass Filmmusik ein häufig unterschätztes Genre ist – zumindest was die hier ausgewählten Kompositionen betrifft.


Brazilution – Musica electronica
com sabor do Brasil. edicao 5.5
(Stereo Deluxe)

Brazilution – Musica electronica com sabor do Brasil. edicao 5.5

Und noch ein Stereo-Deluxe-Release: die erfolgreiche und beliebte Brazilution-Reihe ist um eine weitere Ausgabe in schicker Doppel-CD-Ausstattung ergänzt worden. Wen die hiesigen hochsommerlichen Temperaturen Anfang April die Vorzüge der Erderwärmung haben lobpreisen lassen, kann sich mit „Brazilution“ die Copa nach Bremen oder Kassel holen. Verteilt auf eine moody „Luna“- und eine heisse „Sol“-Seite bringen Tracks von Zero dB, Ian Pooley, Bugz in the Attic, Cibelle, Bebel Gilberto und Sergio Mendes die Sonne ins Wohnzimmer. Warm und lebendig, genau das Richtige für wettermässig wankelmütige Frühlingswochen.