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April 2007
Christina Mohr
für satt.org

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Short Cuts April 07, erste Hälfte


Gudrun Gut, I put a Record on

Gudrun Gut, I put a Record on
(Monika Enterprise)

Obwohl Gudrun Gut seit langer Zeit als Musikerin (Mania D, Malaria!), DJ (Oceanclub) und Labelbetreiberin (Monika) arbeitet, ist „I put a Record on“ ihr erstes echtes Soloalbum. Ob Anfang der achtziger Jahre mit Malaria! oder später als Produzentin, GG liebte stets die Maschinen, scheute sich nie vor der Programmierer-Frickelei und kann mit Fug und Recht die Pionierin der deutschen Elektroszene genannt werden. „I put a Record on“ ist eine warme, fliessende, sehr persönliche Platte geworden: Gudrun wollte kein Technoalbum machen, sondern mit techno-untypischen Stilen experimentieren. Sie samplet Instrumente wie Mundharmonika und Akkordeon, webt Boogie-Woogie, Blues, Chanson und Swing mit lässiger Eleganz in den elektronischen Basisteppich.Über all dem schwebt unnahbar und doch warm und wohlig Gudruns dunkle sexy Stimme. Die Single „Move me“ besteht aus shufflenden, kubistischen Tangoversatzstücken und bleibt sofort in Ohr und Bein. Ihre ehemalige Malaria!-Mitstreiterin Manon P. Duursma ist bei den Songs „Pleasuretrain“ und „The Wheel“ zu hören, gemeinsam mit Pipilotti Rist drehte GG das Video „Celle“, das als Bonus auf der CD zu finden ist – Netzwerken á la Gudrun Gut.


» www.m-enterprise.de



CocoRosie, The Adventures of Ghosthorse and Stillborn

CocoRosie, The Adventures of
Ghosthorse and Stillborn

(Touch and Go)


CocoRosie im Juni
auf Deutschlandtournee:

4.6. Köln, Kulturkirche
5.6. Frankfurt, Mousonturm
6.6. Mannheim, Alte Feuerwache
7.6. Schorndorf, Manufaktur
10.6. München, Muffathalle

Die Schwestern Sierra und Bianca, a.k.a CocoRosie, sind „angekommen“: ihr drittes Album beweist eindrucksvoll, dass das Konzept CocoRosie keine skurrile, niedliche Fussnote der Popmusik sein will, sondern das Werk zweier hochbegabter Wunderkinder ist. Das Coverfoto stammt vom Künstlerduo Pierre & Gilles, die nun auch zu CocoRosies grosser Clique gehören; zu Leuten wie Antony, Devendra Banhart, William Basinski, die sich um eindeutige Geschlechterunterscheidungen in männlich/weiblich einen feuchten Kehricht scheren. Das Loslösen von strengen Regeln setzt Kreativität frei, das mag ein Gemeinplatz sein, trifft auf CocoRosie aber uneingeschränkt zu.

Auf „The Adventures …“ gibt es zwar noch immer viele schrullige und rätselhafte Details zu entdecken, noch immer maunzen Katzen, knarren Dielen, fiepen undefinierbare Geräte - aber CocoRosie haben den Song entdeckt, betreiben Konstruktion statt Dekonstruktion. Die neue Eingängigkeit geht glücklicherweise nicht auf Kosten der Originalität: sei es verschleppter HipHop-Beat wie bei „Rainbowarriors“ oder das revuehafte, verspielte Minihörspiel „Japan“, stets schwingt etwas Geheimnisvolles, Unerklärliches in der Musik mit, das vom Wechselspiel von Sierras Operngesang und Biancas heiserer Stimme lebt. Die versponnenen traumartigen Texte (siehe auch der Albumtitel) tragen zusätzlich dazu bei, dass CocoRosie in ihrer ganz eigenen Liga spielen – „trotz“ eingängigerer Musik.


» www.cocorosieland.com



CocoRosie, The Adventures of Ghosthorse and Jah Wobble, Heart & Soul

Jah Wobble, Heart & Soul
(Trojan)

Jah Wobble, 1958 in London als John Wardle geboren, ist eine Legende: von 1978 bis 1980 spielte er in John Lydons Postpunkband Public Image Ltd. mit, seine tiefen, dunklen Bassläufe prägten den PiL-Sound entscheidend. Warble-Wobble war wie viele britische Punkmusiker begeistert von Reggae und Dub und begann als einer der ersten, originär schwarze Sounds in den Weissbrot-Punkrock zu integrieren. In den späten achtziger Jahren beschäftigte sich Jah Wobble mit World Music, verband in seiner neuen Band The Invaders of the Heart Pop mit Dub und arbeitete mit Can, Sinéad O'Connor, Bill Laswell und The Orb zusammen. 1996 gründete er das Label 30 Hertz Records, auf dem er seine mannigfaltigen Projekte veröffentlichte, zu denen auch verschiedene Soundtracks zählen.Wobble hat im Leben nichts ausgelassen, Drogen und Alkohol haben viele Male beinahe das getriebene Künstlerherz ausgebremst. Doch die selbstzerstörerischen Zeiten scheinen überwunden, Wobble ist wieder mittendrin, völlig pathetisch kann man sagen, dass die Musik sein Leben gerettet hat. Das aktuelle Album „Heart and Soul“, das bei Trojan Records erscheint, ist eine Essenz in Dub, knapp 30 Jahre unermüdlichen Schaffens kulminieren in den hier versammelten 17 Tracks. Der dunkle, tiefe Bass durchzieht den Sound, Wobble kombiniert ihn mit orientalischen, afrikanischen, jamaikanischen und indianischen Ingredienzien, die „Heart and Soul“ zu einem wahrhaft internationalen Werk machen. Nur wenn Jah Wobbles eigene, krächzige Stimme ertönt, verrät der very britishe Tonfall seine Wurzeln.


» www.30hertzrecords.com



Bruno Franceschini & Band, Du kannst das alles haben

Bruno Franceschini & Band,
Du kannst das alles haben
(Kook Music)


Live:
13.4. Berlin, Grüner Salon
(Kook-Relaunch-Party)

Oh nein, deutscher Pop ist nicht nur Roger Cicero oder Monrose: ginge es bei solchen Events tatsächlich um Qualität oder Originalität, der Italo-Berliner Bruno Franceschini wäre definitiv die bessere Wahl für den European Song Contest gewesen. Andererseits haben weder er noch seine Band es verdient, zwischen all' den Knallchargen auftreten zu müssen, die angeblich die aktuelle Popmusik verkörpern. Das Album „Du kannst das alles haben“ ist schon seit ein paar Monaten erhältlich, lohnt das Hinhören sehr und hilft, wenn die Aprilstürme die Stimmung drücken: zwischen Chanson, Gitarrenpop, Jazzanklängen, softem Reggae und dezent hingetüpfelten Latin-Rhythmen singt Bruno von der Liebe und vom Leben. Das klingt mal lustig („Ich bin ein Brötchen in der Brandung / wenn du einen Raum betrittst …“), mal desillusioniert („man stellt kaum Fragen / und keiner besucht sich / nicht mal an Sonntagen“/Keiner besucht sich), und einen komplett auf italienisch getexteten Song gibt es auch („Una storia italiana“) …also alles dabei, was ein gutes Pop-Album braucht, das einen durch den Frühling und den Rest des Jahres begleiten soll. Liebeslieder von und für Großstädter, die den Begriff „Bohème“ nicht mehr hören können.


» www.brunofranceschini.net



Calla, Strength in Numbers

Calla, Strength in Numbers
(Beggars Banquet)

Calla aus New York sind sowas wie die Idealdefinition der Independent-Gitarrenrockband: sie klingen, als hätten sie Nick Cave und The Mission mit der Muttermilch aufgesogen und transportieren den guten, alten Indie-Düstersound in die Jetztzeit. Perfekt beherrschen sie, mittels ihres getragenen, volumigen Sounds Melancholie zu erzeugen, gleichzeitig sorgen Gitarrenriffs an der Grenze zum Hardrock dafür, dass es nicht allzu verhangen und traurig wird. Calla ist ein Trio (Aurelio Valle/Gesang, Gitarre; Wayne Magruder/Schlagzeug; Peter Gannon/Bass), reduzierte Bandbesetzungen wie diese führen ja immer zur Konzentration, zur Betonung des Essenziellen. Kein Instrument kann sich hinter dem anderen verstecken oder ausruhen, sondern muss den Song tragen, entwickeln können. Beim letzten Calla-Album „Collisions“ pflegten die drei einen eher rauhen, liveähnlichen Klang, der ihnen weltweit euphorische Reaktionen verschaffte. Auf „Strength in Numbers“ erlaubt sich die Band mehr Experimente: Softe Discoanleihen bei „Bronson“ verführen zum Tanz, spartanisches Gitarrenpicking verrät die Herkunft der Musiker (Austin, Texas). Dieses Album sollte unbedingt an Stümper wie Nickelback (sorry, Calla, dass ich diese Band in diesem Kontext erwähne) geschickt werden, damit sie sich mal anhören, wie eine „Powerballade“ klingen kann, ohne dass die Hörer unter Bombast und Schleim ersticken.


» www.callamusic.com
» www.myspace.com/callamusic