Short Cuts April 07.2
Frau Mohr empfiehlt in dieser Woche:
Maximo Park:
Our Earthly Pleasures
(Warp)
Dass sich satt.org erst jetzt der neuen Platte von Maximo Park annimmt, hat einen Grund (und zwar nicht unsere Verschnarchtheit): ein Interview war angekündigt, Maximo Park würden E-Mail-Fragen beantworten! satt.org war elektrisiert, schickte Fragen und …. wartete. Und wartete noch länger – und dann kam es doch so, dass Maximo Park besseres zu tun hatten (auf Tour gehen zum Beispiel), als Millionen E-Mails aus Deutschland zu beantworten. Das ist zwar schade, aber verständlich, und wer weiß, vielleicht kommen ja doch irgendwann die Antworten, die wir dann natürlich umgehend online stellen werden. Bis dahin muss das Werk für sich selbst sprechen: „Our Earthly Pleasures“ beginnt mit dem Maximo-typischen Gitarrenstakkato, „Girls Who Play Guitars“ ist ein Song über Mädchen, die gern mal einen trinken und deswegen noch lange keine Schlampen sind – Sänger Paul Smith als Frauenversteher. Dieses und viele andere Stücke preschen gewaltig nach vorn und verbreiten mitreissende Stimmung, aber es gibt auch melancholische Momente wie bei „Books from Boxes“, „Karaoke Plays“ und „By the Monument“: Songs, die zeigen, dass Maximo Park nicht nur in ihrer Highspeed-Variante funktionieren. „Our Earthly Pleasures“ braucht insgesamt eine kleine Weile, bis die Songs hängenbleiben, ein eindeutiger Hit wie „Apply Some Pressure“ oder „Graffiti“scheint zunächst nicht dabei zu sein. Nach dem zweiten oder dritten Durchgang offenbart sich aber die Qualität: härter, dichter ist der Sound geworden, thematisch bewegt man sich zwischen Getriebensein und Nachdenklichkeit, was Maximo Park von anderen Bands abhebt, deren Universum hauptsächlich aus Pub und Fussballstadion besteht. Elegante Gitarrenläufe erinnern an die Smiths und an New Order, Pianogeplinker an den richtigen Stellen und nicht zuletzt Paul Smiths charmanter Newcastle-Akzent sorgen dafür, dass Maximo Park die Hürde „zweites Album“ mit Leichtigkeit nehmen.
Maximo Park Live: 25.05. Köln - Coke Sounddiscovery Tour @ Live Music Hall,
26.05. Hannover - Coke Sounddiscovery Tour @ Capitol,
02.06. Adenau - Rock am Ring,
03.06. Nürnberg - Rock im Park
» www.maximopark.com
The Rakes:
Ten New Messages
(V2)
Weder hinter Maximo Park noch hinter anderen Gitarrenbands müssen sich The Rakes aus London verstecken – ihr Sound ist reduziert, klar und stringent, die Melodien zwingend, Sänger Paul Donahues Stimme britisch-näselnd. Aber woran lag es, dass The Rakes mit ihrem ersten Album von 2005, „Capture/Release“ nicht denselben Erfolg hatten wie zum Beispiel Franz Ferdinand? Darüber kann man nur mutmassen, vielleicht steht ihnen der Bandname im Weg, vielleicht traut man Musikern, die so dünn wie Rechen (Rakes) sind und sich dann auch noch so nennen, nicht allviel zu. Bleibt zu hoffen, dass „Ten New Messages“ den verdienten Erfolg bringt: die zehn Messages/Songs des Albums sind grossartig und füllen die Leerstelle, die The Libertines hinterlassen haben, und verraten die Sozialisation der Rakes durch Bands wie Joy Division, Wire, The Jam und XTC. The Rakes lassen trotz aller Knackigkeit den Songs genug Raum und Zeit, um sich zu entfalten. Anfängliche Sprödigkeit wird zur entfesselten Dance-Hymne („We danced together“), ein hardrockiges Gitarrenriff bereitet einen der einprägsamsten Refrains des Jahres vor („ … is it trouble that you're looking for / it's trouble that you find / sometimes trouble finds you, no matter where you hide“, „Trouble“). Die singende Newcomerin Laura Marlin steuert Gastvocals zu „Suspicious Eyes“ bei, einem Song, der kritisch-entlarvend die Bombenanschläge auf die Londoner U-Bahn im letzten Jahr kommentiert. Und so kann man in jedem Song einzigartige, hinreissende Details ausmachen. Gebt den Rakes eine Chance – im Mai kommen sie für einige Konzerte nach Deutschland!
» www.therakes.co.uk
Dinosaur jr.:
Beyond
(Pias)
Zehn Jahre sind seit der letzten Dinosaur Jr.-Platte vergangen und - ähnlich wie die
Lemonheads, Comebacker des letzten Jahres - wähnte man die Band in den ewigen
Jagdgründen des Indierocks. Mastermind J Mascis kümmerte sich um sein neues Projekt
The Fog, sein Bandkollege (und je nach Stimmungslage bester Freund oder Feind) Lou
Barlow zimmerte mit Sebadoh an einer eigenen Legende, Schlagzeuger Murph kam
zwischenzeitlich bei den bereits erwähnten Lemonheads unter. Deshalb umso überraschender und überwältigender: "Beyond", das Wir-sind-zurück-waren-wir-überhaupt-weg?-Album von Dinosaur Jr., treibt dem noch nicht vollends verhärteten Hörer vom ersten Ton an Tränen der Freude in die Augen. Der Opener "Almost Ready" würde kein bisschen anders klingen, wäre er bereits 1989 aufgenommen worden: Perlende Gitarre vor schwerem Hintergrund, grossartige Melodie und dazu die frühgealterte Knarzstimme von Mr. Mascis - grandios. Der zweite Track, "Crumble" zeigt, dass sie auch die melancholischen Töne noch beherrschen; "This Is All I Came To Do" ist ein klassisches laut-leise-laut-Dinosaur-Stück, inklusive wie beiläufig gesungenem Refrain, den man trotzdem sofort behält. Das muss man erstmal schaffen, so quasi aus dem Stand Sound, Stimmung und Qualität von "Bug"-Zeiten wieder abzurufen. Lou Barlow darf zwei Songs zum Album beisteuern ("I got Lost" und "Back to your Heart"), man kann also davon ausgehen, dass das Kriegsbeil zwischen Barlow und Mascis begraben ist. Wenn der neue Friedenszustand solche Ergebnisse liefert, bleibt zu wünschen, dass die beiden sich ab jetzt für immer liebhaben. Zu "Been There All the Time" gibt es ein entzückendes Video, gedreht von Matt Dillon (!), in dem nicht nur Dinosaur Jr. selbst zu sehen sind, sondern auch Sonic Youth (!!) und Kim Gordons Tochter Coco (!!!) und das sogar bei MTV läuft - wird vielleicht doch einfach alles gut? Und wer hat behauptet, dass Dinosaurier ausgestorben seien?
» www.dinosaurjr.com
Feist: The Reminder
(Polydor/Universal)
Die Kanadierin Leslie Feist läuft seit ihrem letzen Album „Let it Die“ Gefahr, in eine Reihe mit Sängerinnen wie Norah Jones oder Katie Melua gestellt zu werden: oberflächlich betrachtet ist es verlockend und einfach, Sängerinnen mit Hang zur melancholischen Ballade über einen Kamm zu scheren. Aber man könnte kaum weniger fehl am Platze in der Mainstream-Damenrunde sein als Miss Feist: ihre musikalische Biografie ist der von Joan as Policewoman nicht unähnlich, beide begannen ihre Laufbahn in Punkbands, bevor sie ausgefeiltere und sanftere Töne für sich entdeckten. Dazu kommt Feists verdächtiger Freundeskreis: kann man im Mainstream landen, wenn man mit Gonzales und Peaches auf du und du ist? Wenn man assoziiertes Mitglied der Broken Social Scene ist? Hoffen wir das Beste und wünschen Feist, dass sie für die ganz grosse Hochglanzmagazinkarriere immer ein wenig zu kantig bleiben wird. Denn: „The Reminder“ ist die schönste Platte dieses Frühlings, daran kann man nicht rütteln.Ob „So Sorry“, die zarte Ballade am Anfang, bei der Leslies intensive, heisere Stimme voll zur Geltung kommt, oder das beschwingte „I Feel It All“, das der Nachfolgehit zu „Mushaboom“ vom letzten Album werden könnte. Oder ihre Interpretation eines Songs von Nina Simone, „Sealion“, die zu einem entfesselten Neogospel gerät, oder das wehmütige Liebeslied „The Limit to Your Love“, oder „1234“, das mit Kinderreim-Charme und Soulfeeling mit zielsicheren Worten Liebeslust und -leid dekliniert: „1234 tell me that you love me more / Sleepless long nights that is what my youth was for …“ Eigentlich ist es unfair, einzelne Songs hervorzuheben, wo doch jeder für sich so vollkommen ist, ohne aufdringlich zu sein. Mit der tatkräftigen Unterstützung ihrer Freunde Gonzales am Piano, Mocky an Bass und Farfisa-Orgel, Jamie Lidell als Arrangeur und Gastsänger und ihr selbst am Banjo wird „The Reminder“ zur begeisternden Variation des Themas „Beauty is the new Punkrock.“
» www.feist-music.de
» www.listentofeist.com
Patrick Wolf:
The Magic Position
(Polydor/Universal)
Wird das Wunderkind erwachsen? Betrachtet man das Cover der neuen CD von Patrick Wolf, muss man das nicht befürchten. In knalligem Outfit inszeniert sich der androgyne Magic Boy auf einem Kinderkarussell, seine Gliedmassen sind viel zu lang für den kleinen Esel, auf dem er sitzt - deutlicher Hinweis, dass der 23jährige Londoner keineswegs ein Kind, sondern eine musikalische Ausnahmebegabung ist. Seine beiden ersten Alben "Lycanthropy" und "Wind in the Wires" rissen Publikum und Kritiker zu Begeisterungsstürmen hin, so etwas hatte man noch nicht gehört: die Mischung aus Elektronik und versponnenem Folk klang so, als hätte Charles Dickens mit einem visionären Komponisten den Soundtrack zu David Copperfield erdacht. Mit seiner neuen Platte erfindet sich Wolf nicht grundlegend neu, an manchen Stellen sind die Beats ein bisschen härter, die Bässe volumiger, seine Stimme klingt voller und reifer. Wie die beiden Vorgängeralben kontrastiert „The Magic Position“ melancholische Folkballaden ("The Bluebell", "Enchanted") mit durchgedrehten elektronischen Tracks wie "Accident & Emergency". Der Opener "Overture" besticht durch mächtigen Sound und zarte Tears-for-Fears-Zitate (aus "Mad World"); der Titeltrack "The Magic Position" ist ein wirbelnder footstomping-handclapping Ringelreihen zum Mitpfeifen, ein überschäumendes Liebeslied, das man nicht mehr aus dem Kopf bekommt. Ebenso hedonistisch und überdreht ist "Get Lost", das very british zum Tanze lädt, Wolf lässt all seine Lieblingsinstrumente erklingen: das Theremin, die Ukulele, das Vibraphon. Die Ukulele ist gemeinsam mit einem wohltönenden Cello auch auf "Augustine" zu hören, einer ergreifenden Ballade über eine verbotene Liebe. Eines der Glanzlichter des Albums ist "Magpie", bei diesem geheimnisvollen Track ist Marianne Faithfull Wolfs raunende, heisere Duettpartnerin zu hören. Vergleichbar - in Bezug auf Originalität und Britishness - ist Patrick Wolf höchstens mit Marc Almond und The Divine Comedy. Aber eigentlich spielt er in seiner ganz eigenen Liga.
» www.patrickwolf.com
Arctic Monkeys:
Favourite Worst Nightmare
(Domino)
Die Arctic Monkeys, die Überraschungsband des letzten Jahres, hat es mit ihrem zweiten Album genauso eilig wie ihre Konkurrenten Maximo Park, Bloc Party und Kaiser Chiefs. Unter den hier genannten sind die Arctic Monkeys die jüngste, die un-stylishste, die unprätentiöseste und vielleicht auch die sympathischste Band und waren offenbar zur richtigen Zeit am richtigen Ort: Das Monkeys-Debütalbum "Whatever People Say I Am, That's What I'm Not" mit der Single "I Bet You Look Good on the Dancefloor" führte nicht nur weltweit die Jahres-Hitlisten an, sondern gilt auch als das bestverkaufte Debüt aller Zeiten in Großbritannien. Dieser Erfolg legt die Erwartungsmesslatte natürlich ganz hoch; das Presseinfo verspricht ein "upgrade instead of a sequel", und tatsächlich ist der Einstieg in
"Favourite Worst Nightmare" furios: die aktuelle Single "Brianstorm" beginnt mit energiegeladenem Drum-Geprassel, in das die vertraute knackige Gitarre einsteigt, atemlos und druckvoll wird die Story eines geheimnisvollen sinistren Typen erzählt, dessen Identität unklar bleibt. Bei "Teddy Picker", Song Nummer zwei, wird das Tempo ein wenig gedrosselt, so dass man garantiert gut auf der Tanzfläche aussieht! "D Is For Dangerous" wird von einer tiefen, dunklen Basslinie dominiert und "Balaclava" mit seinem versprengten Perkussionteil ist einer der Höhepunkte der Platte: Axel Turners postpubertäre heisere Stimme klingt hier so nordenglisch und streetwise, dass es eine wahre Freude ist. "Flourescent Adolescent" ist ein superpoppiger Hit, wie ihn nur Engländer hinbekommen: two-tone-Offbeat geht mit jubilierenden Keyboards Hand in Hand, genauso tanzbar ist "This House Is A Circus", verschleppter Urban-Reggae plus schnittigem funky rhythm. Mit "Only Ones Who Know" ist auch eine Ballade dabei - obwohl die Jungs eigentlich auf langsamere Stücke verzichten wollten, weil "sie im Studio einfach nicht so viel Spass machen." Die spannendsten Momente bietet das Album immer dann, wenn wie bei "Do Me A Favour" die Andeutung eines Morricone-Zitats vorbeiweht, oder bei anderen Songs ein Dub-Hall um die Ecke kommt, der grossen Vorbildern wie The Fun Boy Three huldigt. "Favourite Worst Nightmares" wurde in den Miloco Garden Studios in Shoreditch, East London aufgenommen - die Arctic Monkeys konnten also den "New Rave"-Hype um Klaxons etcetera direkt vor der Haustür mitverfolgen. Aber Nachhilfe auf dem Gebiet Gitarrenrock für den Dancefloor haben sie definitiv nicht nötig, das Zusammenbringen dieser beiden Elemente gelang ihnen schon auf ihrem Debüt grossartig, auf der neuen Platte führen sie diese Linie weiter. Wie bei den anderen rockenden Lads aus England (siehe oben) wird es nicht das zweite, sondern das dritte Album zeigen, ob sie lediglich die Band der Stunde oder doch für die Ewigkeit sind.
» www.arcticmonkeys.com