Rocko Schamoni im Interview
Rocko Schamoni & Little Machine (Trikont 2007)
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Rocko Schamoni: Sternstunden der Bedeutungslosigkeit (Dumont 2007)
260 S., 14,90 € » amazon
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April 2007, 16.30 Uhr, Rocko Schamoni hat wenig Zeit: „Wie lange brauchst du denn für dein Interview?“, ich, zögerlich: „eine halbe Stunde?“, er: „na, das ist ja ---- ganz schön lang.“ Mit dem unguten Gefühl, King Rocko, Held meiner Jugendtage, gleich völlig auf den Wecker zu fallen, eile ich zum Mousonturm/Frankfurt am Main. Dort findet am späteren Abend das Abschiedskonzert von Rocko Schamoni & Little Machine statt, zwei Wochen vorher hatten sich am selben Ort Blumfeld die Ehre gegeben und für immer „Tschüss“ gesagt. Alles macht weiter oder alles hört auf? Das letzte Album von Rocko Schamoni & Little Machine („Tex“ Matthias Strzoda/Schlagzeug, „Jones“/Jonas Landerschier, Keyboards) ist nachdenklich, teilweise düster geworden, verpackt in ein opulent-melancholisches Soulgewand werden die ganz grossen Themen behandelt: das Leben, der Tod und der Rest dazwischen. „Leben heisst sterben lernen“ heisst es gleich im ersten Song, damit muss man klarkommen, ganz weit weg scheint der anarchische Rocko von früher, der 1990 gemeinsam mit Michael Holm „Mendocino“ schmetterte. Und auch Rockos neuer Roman, „Sternstunden der Bedeutungslosigkeit“ ist alles andere als ein Schenkelklopfer: Michael Sonntag, augenscheinlich Rockos alter ego, ist ein begabter, aber ambitionsloser ewiger Student, der zwischen Hypochondrie, Depression, unglücklicher Liebe und gelegentlichen Alkoholexzessen pendelt. Wäre nicht Rockos typischer Humor, der zielsichere Pointen setzt, könnte man bei der Lektüre selbst depressiv werden. Muss man sich Sorgen um den echten Rocko machen? Wie geht es weiter mit dem eleganten Allround-Entertainer? Will er wirklich mit der Musik aufhören, wird er weiter Bücher schreiben, Theatermusik komponieren oder sich nur noch um den Pudel Club kümmern? Fragen über Fragen, die ich loswerden will. Zu meiner grossen Erleichterung ist Rocko freundlich und entspannt, und der Interview-Quickie dauert insgesamt doch eine gute halbe Stunde …
CM: Die letzte Tournee mit Little Machine – fühlst du dich wehmütig oder erleichtert?
RM: Ich habe ja nicht den Entschluss gefasst, nie wieder live zu spielen oder nie mehr in einer Band zu sein - ich will nur nicht mehr das Aushängeschild sein. Diese neue Band gibt's noch nicht, die gründen wir noch. Vielleicht ist es auch diese Band, mit der ich gerade unterwegs bin, das kann gut sein. Aber immer im Mittelpunkt stehen, das Aushängeschild sein – das will ich nicht mehr. Das ist schon mit dem Literaturzeugs anstrengend genug.
CM: Ist das nicht eine Diskrepanz zu deinen früheren Hoppla-hier-komm-ich-Inszenierungen wie „King Rocko“?
RM: Mit fortschreitendem Alter bekommt man die Möglichkeit, Bescheidenheit zu lernen. Die meisten Leute im Showgeschäft haben eine Profilneurose. Ich habe mir mit der Zeit immer mehr gewünscht, nur noch Musik zu machen. Ich möchte Teil einer funktionierenden kleinen Gemeinschaft sein.
CM: Das Ende von Blumfeld wurde häufig mit dem Bild des „geschlossenen Kreises“ beschrieben – hast du auch das Gefühl, dass etwas abgeschlossen ist?
RM: Jochen und ich verfolgen ein konträres Konzept, eine genau gegensätzliche Bewegung. Jochen will – glaube ich – alleine auftreten, nicht mehr mit diesem Konglomerat von Leuten unterwegs sein, wie es mit Blumfeld der Fall war. Bei mir ist es genau umgekehrt: ich will jetzt die Band haben, die er nicht mehr will. Darauf würde ich mich freuen.
CM: Du bist ein vielbeschäftigter Mann - bekommst du denn alles unter einen Hut: Familie, Musik, Bücherschreiben, den Pudel Club?
RM: Nö (lacht).
CM: Es gibt so ein Business-Sprichwort, dass man, wenn man etwas erledigt haben will, Leute fragen soll, die ohnehin schon viel zu tun haben ….
RM: Ich such' mir das ja so aus: ich komme erst auf Niveau, wenn ich Druck habe. Sonst interessiert mich alles nicht. Ich komme erst mit hohem Druck voran, das ist allerdings nicht unbedingt angenehm.
CM: Dein neues Buch, „Sternstunden der Bedeutungslosigkeit“ ist stellenweise ganz schön bedrückend. Spürst du die Diskrepanz, dass das Publikum einen lustigen Rocko erwartet, der aber gar nicht immer lustig ist?
RM: Tatsächlich ist Michael Sonntag, Protagonist des Buchs, sowas wie mein alter ego. Ich wollte immer beides sein: ich bin lustig und ernsthaft, auch privat. Das wurde nie verstanden. In Deutschland wollen die Leute entweder den Clown oder die Heulsuse, dazwischen geht nichts. Deswegen hat sich die Figur Rocko Schamoni nicht transportiert, wie sich das vor vielen Jahren die Polydor ausgedacht hat. Damals wollte man aus mir so einen spassigen, Ärzte-ähnlichen Typ machen, aber das hat nicht funktioniert. Die Kanten waren zu scharf für ein grösseres Publikum. Aber ich versuche immer, beide Seiten zu zeigen.
CM: Der Anfang des Buchs bringt das Thema Depression eindrucksvoll auf den Punkt (Sonntag beim Arzt, Arztbesuch als wichtigster Tagesordnungspunkt), diese Mischung aus Lebensüberdruss und Hypochondrie …
RM: Ich arbeite viel mit Depressionen, mit dem Thema kenne ich mich gut aus. Und die einäugige Sprechstundenhilfe* gibt es tatsächlich! „Sei doch nur einmal nett“, hab ich mir immer gedacht, wenn ich zum Arzt gegangen bin …
*an dieser Stelle sei nur so viel verraten: die zyklopische Sprechstundenhilfe aus „Sternstunden …“ fragt Sonntag/Schamoni auch beim 30. Besuch in der Praxis, ob er schon mal da gewesen sei …
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CM: Du bist in der Literatur– und in der Musikbranche unterwegs, gibt es Unterschiede?
RM: Oh ja, grosse Unterschiede: in der Literaturszene nehmen sich alle viel wichtiger, jeder sucht seinen Platz in der Geschichte. Das ist in der Musikszene schon anders, alle suchen zwar Ruhm und Glanz, aber das ist mehr auf den Augenblick gerichtet, nicht auf die Historie. Bei den Literaten spürt man ein hohes Niveau an Lebensqualität, das auch alle für sich einfordern. In der Musik gibt es mehr Dumpfbacken, die einfach saufen und einen tollen Abend haben wollen. Das kann ich aber auch gut verstehen.
CM: Deine Lesungen sind immer sehr gut besucht …
RM: Das finde ich manchmal ein bisschen tragisch: da kommen in derselben Stadt 600 Leute zu meiner Lesung, aber vielleicht nur ein Drittel zum Konzert. Mein Hauptding war zwar immer die Musik, aber manchmal frage ich mich schon, ob ich nicht gleich von Anfang an hätte schreiben sollen – mittlerweile ist es okay für mich. Ich glaube nicht, dass das Lesungspublikum auch zu den Konzerten geht. Und andersrum auch nicht.
CM: Mittlerweile gibt es ganz viele Bücher von Musikern, sogar Kai Havaii von Extrabreit hat seine Memoiren veröffentlicht. Glaubst du, dass du das mit „Dorfpunks“ losgetreten hast? Ich habe den Eindruck, das gab es vorher so nicht …
RM: Hm. Ich glaube, dass diese Leute auch früher schon geschrieben haben. Der Literaturmarkt hat jetzt erst kapiert, dass es funktioniert und eine breite Oeffentlichkeitswirkung hat. Vielleicht gibt es ein paar Musiker, die nur auf den Zug aufspringen, aber im Grossen und Ganzen will ich anderen ihre ernsthafte Ambition nicht absprechen.
CM: In „Dorfpunks“ und auch in „Sternstunden“ spielt die dörfliche Herkunft des Protagonisten eine wichtige Rolle. Kannst du dir vorstellen, aufs Land zurückzukehren?
RM: Nein, aber ich pendele. Ich kann mir gut vorstellen, auf dem Land einen festen Wohnsitz, ein kleines Haus oder irgendwas zu haben, aber konkret ist das zur Zeit nicht angedacht. Die Pendelbewegung finde ich gut. Aber wohnen und leben will ich in der Stadt – Regentage auf dem Land sind wirklich hart, da geht dann gar nichts mehr.
CM: Deine „Abschiedsplatte“ wirkt so existenzialistisch mit dem Schwarz-Weiss-Cover und den grossen Themen, die du verhandelst. Worauf würde eine neue Rocko-Platte aufbauen, wenn es eine gäbe?
RM: Es bot sich einfach so an, dass mit dieser Platte alles auf den Punkt gebracht wird. Ich wüsste nicht, was ich jetzt noch sagen sollte. Die Platte ist auch deswegen so düster geworden, weil meine Mutter vor vier Jahren gestorben ist.
Ich würde mich wahnsinnig freuen, Musik zu machen, ohne für die Texte verantwortlich zu sein. Ich fände auch eine Instrumentalplatte interessant. Im Moment habe ich nichts zu sagen - es wird sich aber bestimmt wieder einiges ansammeln, das dann in neue Songtexte und Bücher einfliessen wird.
CM: Euer Sound wird mit Al Green verglichen …
RM: Das ist genau mein Traumsound, dieses Trockene, Pappige, Unmittelbare. Mit dem Unterschied, dass Al Green auf einem ganz anderen Niveau singt. Ich kann mir immerhin zugute halten, mit sehr eigenwilligen und sonderbare Texten zu arbeiten, was Al Green nicht gemacht hat .Was die Band betrifft, haben wir sehr lange am Sound gearbeitet, um beispielsweise einen so trockenen Schlagzeugsound hinzubekommen. Auf der Platte sind wir ja nur zu dritt, aber wir treten zu fünft auf – den fulminanten Sound von der Platte kriegen wir sonst nicht hin.
CM: Mit welchem – toten oder lebendigen - Musiker würdest du gerne mal arbeiten?
RM: Mit Sly Stone, während seiner mittleren Phase. Er muss damals immer so stoned gewesen sein, dass er zu Studioaufnahmen kam, als die Band schon spielte. Er ist irgendwo eingestiegen und dann umgekippt. Das hört man den Stücken an: die labbern so völlig unmotiviert aus, weil die Band nicht wusste, wie und wo sie aufhören sollte.
Mit wem ich auch gerne arbeiten würde, ist D'Angelo, der vor ein paar Jahren ziemlich erfolgreich war. Mittlerweile ist er völlig abgekackt auf Drogen, war im Knast und ist tierisch fett geworden. Ihn hat es fertig gemacht, dass er nur auf seinen Körper reduziert wurde - er wurde ja richtig trainiert, auf den Covern sieht man immer nur seine Sixpacks, die Musik interessierte keinen so richtig. Ich habe ihn mal in Hamburg live gesehen, das war das beste Konzert, das ich jemals besucht habe. Danach wollte ich nie wieder ein Instrument anfassen, weil es undenkbar ist, jemals so gut zu werden. Er und diese Band (12 Musiker) … es hat niemals sowas Gutes gegeben wie diese Band. Das kann man nicht beschreiben, die waren zu gut für diese Welt. D'Angelo hat inzwischen eine neue Platte aufgenommen, die ihm aber nicht gefallen hat, deshalb hat er sie gleich wieder in die Tonne getreten.
CM: Vor einigen Monaten gab es einen grossen Artikel von Lorenz Schröter im SZ-Magazin, der dich und andere deutsche (Ex-)Punks und ihren Weg in den Kulturbetrieb gezeigt hat.
RM: Das war ein Versuch, etwas darzustellen, was nicht so ist. Manchen Leuten von damals geht's gut, aber manchen auch furchtbar schlecht. Aus Zufall hat man mich auch dazugezählt, aber es wären auch viele andere Beispiele möglich gewesen. Ich gehöre zu einer Generation, von der einige zwangsläufig im Establishment landen, wenn sie älter werden. Ich zähle mich selbst zwar nicht dazu, aber wenn die Parameter für Establishment sind, dass man Bücher schreibt und Theatermusik macht, dann gehöre ich vielleicht doch dazu. Kann sein. Aber ich empfinde mich selber nicht als einen angekommenen Erfolgstypen, das fühlt sich nochmal ganz anders an. Ich habe kein Geld auf dem Konto, kein Auto, kein eigenes Haus. Ich kann nur sagen, dass ich vergleichsweise angstlos lebe und mir keine Sorgen machen muss.
CM: … Du könntest aber nicht „aussteigen“, mit allem aufhören?
RM: Unmöglich, undenkbar – ich habe keine Schäfchen im Trockenen.
CM: Hält einen das Gefühl, dass eben nicht alles gesichert ist, kreativ am Laufen?
RM: Ich arbeite nicht regulär und habe auch keine Hobbies. Meine Musik und alles, was ich tue, mache ich aus Leidenschaft und kann deswegen nie damit aufhören. Wenn ich aufhöre, ist mein Leben vorbei. Ich mache, was ich leben will.
CM: Traumhaft, eigentlich …
RM: Wenn man unter dem Traum nicht zusammenbricht, weil man sich zuviel aufbürdet, ist das genau der Traum, den ich als Jugendlicher hatte. Meine Eltern wollten, dass ich einen ganz normalen Beruf lerne, aber ich habe immer gesagt: „ich habe einen Traum.“ Mittlerweile freut sich mein Vater, dass ich kein Töpfer geworden bin! (Die traumatische Töpferlehre spielt eine zentrale Rolle in „Dorfpunks“, Anm. cm) Wobei Töpfer ein ehrenwerter Beruf ist, ich habe gerade neue Lampen für den Pudel Club getöpfert! Der Pudel wird gerade renoviert, der untere Raum wird vergrössert, oben kommen ein Bistro, eine Galerie und ein Lesungsraum rein, im Dachgeschoss sind die Büros … wir haben den Pudel also verdreifacht.
CM: Erinnerst du dich noch an die Rock'n'Roll-Rauchmaschine?
RM: Was war das, was hab ich gemacht?
CM: Bei einem Konzert mit Motion** hast du einen Draht an deine Gitarre gebastelt, um deine Zigarette daran zu befestigen. Das war 1992 in Lich …
** Motion war eins der vielen Projekte Rockos in den Neunzigern, 1996 brachten sie bei ZickZack die LP „Ex Leben“ heraus.
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RM: Im Kino Traumstern! Das war ein tolles Konzert, werde ich nie vergessen! Dort will ich unbedingt wieder mal spielen. Damals hatte ich immer solchen Kram dabei, ich hatte zum Beispiel einen Taschenventilator als Plektron benutzt, der eine superschnelle Mandolinenbewegung erzeugt hat. Weil wir zur Zeit so seriös und soulmässig unterwegs sind, habe ich solche Sachen völlig vergessen. Das muss ich mal wieder machen!
CM: Vor zwei Jahren warst du Kandidat für Die Partei in Hamburg ….
RM: Sowas würde ich nie wieder machen, das war wirklich eine Fehlentscheidung. Martin Sonneborn hat mich angesprochen, Heinz Strunk und ich haben sofort gesagt, okay, wir machen das. Aber wir haben nicht das Titanic-Niveau, unser Humor funktioniert ganz anders. Ich kann keine Wahlkampfreden halten, die ich mir selber schreiben muss. In dem Bereich bin ich wirklich nicht gut genug, das können die Titanic-Leute viel besser. Eine Stunde nach der Wahl bin ich von allen Ämtern zurückgetreten. Damals haben sich viele Leute auf meine Seite eingeloggt, um zu gucken, wie politisch so drauf bin. Die meisten haben aber gleich geschnallt, dass das eine Titanic-Geschichte ist. Ich will lieber in einer Band sein, kein Polit-Hampelmann.
CM: Würdest du unter deinem richtigen Namen auftreten?
RM: Nein, der ist nur für die Behörden da. Die kennen Rocko Schamoni nicht, über den sollen sie keine Macht bekommen!
CM: Ich finde ja, dass „Rocko Schamoni“ einer der besten Künstlernamen überhaupt ist. Und Madonna hat sogar ihren Sohn nach dir benannt …
RM: Ohne Witz gab es vor 13 Jahren mal eine Anfrage von der amerikanischen Polydor (mein Vertrag bei Polydor Deutschland war gerade ausgelaufen): das Management rief an und sagte, Madonna würde in den USA Saturday Nightlife moderieren und wollte mich für die Show haben. Damals waren Fotos von mir in der amerikanischen Männer-Vogue, ich trug Hemden von Helmut Lang … vielleicht hat sie die gesehen und sich den deutschen Künstler gemerkt. Polydor hat die Anfrage leider erst zwei Monate später weitergeleitet, Saturday Nightlife war längst gelaufen, ich hab' mich tierisch geärgert …
CM: Aber dann ist es doch sonnenklar, dass Madonna ihren Rocco wegen dir so genannt hat!
RM: Ihr Sohn wird mit ja Doppel-C geschrieben … aber offenbar hab' ich doch einen nachhaltigen Eindruck bei ihr hinterlassen :-)
» www.rockoschamoni.de
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