Hüter des Feuers
Kollektivist, Professor, Saxofonist:
Archie Shepp zum siebzigsten Geburtstag
Der wahre Jazzmusiker sei Reporter, hat Archie Shepp, Tenor- und Sopransaxofonist, Pianist, Sänger, Literatur- und Theaterwissenschaftler mit eigenem Lehrstuhl und seit kurzem auch Labelgründer, einmal gesagt. Unerwartete Worte aus dem Munde eines Mannes, der wie John Coltrane, Albert Ayler und Ornette Coleman mit dem Aufbruch des Free Jazz verbunden wird, jener Musik, der von Anfang an unverdientermaßen und doch nicht ganz unschuldig das Image des Elitären, ja der Selbstdarstellung anhaftet. Dabei wird gerne vergessen, dass der harsche Lärm, der ganze Rabatz ein zutiefst politisches und soziales Anliegen hatte. Es waren die Bürgerrechtsbewegung der sechziger Jahre und der Vietnamkrieg, die die Jungen Wilden des Jazz ihre Instrumente malträtieren ließen. Und die Erinnerung an die Anfänge schwarzer Kultur in den USA, an mündliche Überlieferung, an die Kollektivimprovisationen der Marching Bands in den Südstaaten.
Shepp selbst kann sich gut erinnern, an die Zeit, als Jazz noch eine zugängliche und erschwingliche Musik war. Als der angehende Musiker 15 Cent für ein Bier bezahlte, und sich den ganzen Abend eine Kapelle anhören konnte. Als ein gebrauchtes Saxofon hundert, ein neues fünfhundert Dollar kostete. Heute geht der Preis in die Tausende. Kein Wunder, dass die schwarze Jugend auf der Suche nach Möglichkeiten des Ausdrucks lieber zu Plattenspieler und Mikrofon greift. Shepp, der oftmals als wiedergeborener Traditionalist beschrieben wird, kann sich daher durchaus für Rap, für Public Enemy erwärmen. Eine seiner Wunschvorstellungen sei es, Coltrane mit den Digitable Planets oder James Brown zu hören. Coltrane, auf dessen “Ascension” Shepp mitgespielt hat, eine dieser schier unglaublichen Platten, nach denen wenn schon nicht die Welt, dann das Leben geändert ist. Coltrane, der Shepp die Tür zum legendären Impulse-Label öffnete. Auf dem sein Protegé “Four For Trane” und das programmatisch betitelte “Fire Music” herausbrachte.
1969 war Shepp vor Ort, als in Algier der europäische Free Jazz den großen Sprung nach vorn antritt. Aus der Hauptstadt Algeriens, die das erste Panafrikanische Festival ausrichtete, reisten er und dutzende Mitstreiter nach Paris, um dort eine Reihe von Alben aufzunehmen, die Sammlern noch heute als Klassiker gelten. 1972 fasste Shepp sein Credo zusammen, nicht das letzte Mal übrigens: Musik des Widerstands sei auf “The Cry Of My People”, wieder auf Impulse erschienen, zu hören. Ausdrücklich nicht der Aufschrei des Vereinzelten, sondern ein kollektiver. Eines der Wörter, die Shepp am meisten in Interviews gebraucht, lautet Community. Dabei ist seine Musik nicht nur schrill. Jazz, er spricht lieber von Negro Music, kennt keine heiligen Kühe. Weder die Tradition noch den Bruch mit ihr. Von Anfang hat sich der Schüler Cecil Taylors auf Ben Webster und Dexter Gordon bezogen, auf Blues und Gospel. In den siebziger und achtziger Jahren wurde sein Spiel, seine Auftritte und Platten ruhiger, in den Ohren der Kritiker auch kommerzieller. Gerne wüsste man, was der Mann, der nie im Elfenbeinturm leben wollte, dazu sagen würde. Vorher soll er aber Geburtstag feiern dürfen: Am 24. Mai ist Archie Shepp, diesen Winter hat er mit seinem kürzlich verstorbenen Pianisten Siegfried Kessler das wunderbare Duoalbum “First Take”, mit den Marokkanern Dar Gnawa das energiegeladene “Kindred Spirits” veröffentlicht, siebzig Jahre alt geworden.
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Erstveröffentlichung: junge welt, 24. Mai 2007