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Mai 2007
Christina Mohr
und Maria Sonnek
für satt.org

Short Cuts-Logo
Short Cuts Mai 07, zweite Hälfte


Frau Mohr und Frau Sonnek empfehlen:

In dieser Short-Cuts-Ausgabe widmen wir uns CDs, die im Tsunami der wöchentlichen Neuveröffentlichungen untergehen könnten – weil sie nicht knallfroschartig hochspringen und „kauf mich!“ kreischen, sondern etwas dezenter und zurückhaltender erklingen (bis auf The Girls vielleicht). Bitte lenkt Eure kostbaren Aufmerksamkeitsspannen auf:

Field Music: Tones of Town
(Cooperative/Rough Trade)

Field Music: Tones of Town

Field Music könnten es sich wirklich leichter machen: Das Trio aus Sunderland/Nordengland könnte die räumliche und freundschaftliche Nähe zu Maximo Park ausnutzen, aus modischen Gründen auf Nummer sicher gehen und tanzbaren Gitarrenpop spielen. Aber die Brüder David und Peter Brewis und Andrew Moore mögen es komplizierter: auf ihrer Myspace-Seite geben sie „Serge Gainsbourg, My Bloody Valentine, Stravinsky, Stax & Motown, Thelonious Monk, Roxy Music, Talking Heads, The Neptunes and Peter Gabriel“ als Einflüsse an, also durchweg anspruchsvollen stuff. „Tones of Town“, das zweite Album von Field Music, verwendet all diese Ingredienzien, höchst komplexe 7/8-Rhythmen und ausgefeilter Satzgesang wecken ausserdem Erinnerungen an die beiden grössten Popbands aus UK, die Beatles und XTC. Field Music schaffen es, dass man beim ersten Hören die vertrackten Beats kaum wahrnimmt, man fühlt sich stimmungsmässig an die Beach Boys und gar an die Wings erinnert (wären diese eine gute Band gewesen), doch dann spürt man sie, die bewusst platzierten „Störer“: bei „Sit Tight“ könnte man vermuten, das Abspielgerät würde springen, aber die arhythmischen Hopser sind gewollt, eine allzu liebliche Anmutung wird dadurch geschickt vermieden. Auch wenn Field Music im Grossen und Ganzen der Popsong-Struktur verbunden bleiben, brechen sie diese Strukturen gerne auf: Progrock- und Freejazzelemente, das Vertrackte im vermeintlich Eingängigen werden Nostalgiker (siehe Beatles und Beach Boys) ebenso erfreuen wie moderne Hipster (Fans von Belle & Sebastian und Franz Ferdinand dürfen sich hier angesprochen fühlen). Field Music messen den Lyrics ebenso viel Bedeutung zu wie ihrer Musik, übergreifendes Thema der Platte ist die ungreifbare, aber fühlbare Ortlosigkeit/Entwurzelung junger Menschen. Der Titeltrack, besonders aber „A House is not a Home“ thematisieren das Gefühl des Nicht-Dazugehörens.


» www.field-music.co.uk
» www.myspace.com/fieldmusic



The Embassy: Tacking
(Service/Alive)

The Embassy, Tacking

Über dieses Album werden viele Menschen sagen, es sei eigentlich “zu schön”, zu glatt und perfekt - aber ich bitte Euch: The Embassy sind Schweden! Die können gar nicht anders, denkt nur mal an The Concretes, Peter, Bjorn & John, die Shout out Louds (siehe unten) und nicht zuletzt an Mando Diao. Seht Ihr: lauter perfekte Pop-Perlen, ach was, eine ganze Schatulle voller Perlen! Vielleicht mischt die schwedische Regierung eine geheimnisvolle Substanz ins Grundwasser, die hochbegabte Jungmusiker/innen heranzüchtet, wer weiss. The Embassy machen jedenfalls alles richtig mit ihrem eingängigen Electropop, der durch gezielten Einsatz akustischer Gitarren in seinen besten Momenten ein bisschen so klingt wie Aztec Camera und Prefab Sprout. Mit ihrem ersten Album „Futile Crimes“ war die Band in ihrer schwedischen Heimat enorm erfolgreich, das wird mit dem neuen Werk kaum anders sein. Man hört – nicht zuletzt durch die mit Verve vorgetragenen Vocals – dass The Embassy viel Spass mit ihrer Musik haben. Doch bei aller Leichtigkeit, die The Embassy mit Glöckchen und Synthieplinkern erzeugen, ist der Grundton der Platte durchaus melancholisch-romantisch. Das luzide Gewirk der Songs stellt The Embassy in die Nachbarschaft von Achtziger-Elektrobands wie Tears for Fears und OMD, aber auch von jüngeren Acts wie Phoenix und Hot Chip. Beschwingte Westerngitarren in Songs wie „Time's Tight“, „Stage Persona“ und „It Pays to Belong“ unterstreichen die eingängigen Melodien, bei diesen Stücken ist die Aztec-Camera-Nähe am deutlichsten. Im Subtext des opening tracks „Some Indulgence“ läuft New Order mit, man kann aber auch Verbindungen zu The Cure während ihrer „In Between Days“-Phase ausmachen. „Lurking“ mit seinem dezenten Elektrobackground und dem discoiden Bass bringt Depeche Mode mit ins Spiel - man kommt bei The Embassy nicht um Vergleiche und Verweise herum. Doch sie als reine Retro- oder Zitatband zu betiteln, wäre falsch und unfair, denn die Songs sind wirklich gut. The Embassy gehen selbstironisch mit diesem „Problem“ um: das Cover ihrer CD wird von einem Rahmen geziert, die Fläche darin ist leer. Referenzen mag ein jeder selbst eintragen …


» www.theembassy.info



Khan: Who Never Rests
(Tomlab)

Khan, Who Never Rests

Khan ist ein Getriebener, ein Wanderer durch Raum und Zeit: geboren in Finnland als Sohn türkisch-finnischer Eltern, aufgewachsen in Frankfurt, weitere Stationen waren Köln, Mexiko, New York, zur Zeit lebt er in Berlin und Mexico City. Khan kann nicht nur auf zahllose Wohnorte zurückblicken, auch seine musikalischen Kollaborationen sind mannigfaltig: Kid Congo, Diamanda Galas, Julee Cruise und Francoise Cactus sind nur einige, mit denen er zusammen arbeitete – zumeist als Produzent. Wenn er eigene Musik macht, tritt Khan gern mit verschiedenen Namen auf, Captain Comatose ist der wohl bekannteste und erfolgreichste seiner Alias-Personifikationen. Drei Alben veröffentlichte er auf dem amerikanischen Label Matador, jetzt hat er bis auf weiteres bei Tomlab angedockt. „Who Never Rests“ ist ein durch Stile und Stimmungen mäanderndes Psychogramm eines nicht-greifbaren Künstlers, dessen Ortlosigkeit sich auch im musikalischen Oevre niederschlägt: Grollender Hardrock eröffnet das Album, „Excommunication“ dröhnt es unheilsschwanger aus den Boxen. Danach geht es elektronisch, technoid, bluesig und tanzbar weiter und wirft den Hörer in wahre Wechselbäder der Gefühle: „Strip Down“ hopst lebhaft hin und her, als würde Justin Timberlake in einem unbeobachteten Moment mit einer Haarspraydose als Mikrofon vor dem Spiegel üben, „I Got To“ brilliert mit E-Gitarre, elastischem Bass und Dancefloorrhythmus: Disco por favor! Der Titeltrack, ein schleppender Hypno-Blues, ist Khans Manifest: He who never rests … Geht man mit Khan, dem „hot-blooded man from a cold place“ (Booklet-Info) auf die Reise, ist man vor Überraschungen nicht gefeit. Aber der Trip lohnt sich, Khan ist ein unerschrockener Fremdenführer, der einem „Favor after Favor“ gewährt, wie auch der letzte Track des Albums heisst.


» www.tomlab.com



Shout Out Louds: Our Ill Wills
(Haldern Pop/Cargo)

Shout Out Louds, Our Ill Wills

Vor ungefähr anderthalb Jahren flatterte eine Platte ins Haus, die sich durch ihren bittersüßen Charme in die Herzen ihrer Hörer schmeichelte. Vor allem „Please Please Please“ vom Debüt „Howl Howl Gaff Gaff“ der schwedischen Band Shout Out Louds entwickelte sich zum Tanzflächenfüller. Lauthals sang man beim Tanzen: „Please please please, come back to me!” Auch wenn sie neben den ganzen Über-Bands ein klein wenig untergegangen sind, sie bisher in kleinerem Ambiente ihre Livekünste zur Schau stellten und man nirgends große Werbeplakate von ihnen sah, belohnen sie ihre Fans nun mit ihrem neuen Album „Our Ill Wills“. Es hat sich zwar nicht viel geändert, doch beweisen sie erneut einen Hang zu schönen Popsongs, die mit der an Robert Smith erinnernden Stimme von Sänger Adam noch eingängiger wirken. Die Nähe zu The Cure spiegelt sich vor allem in „Normandie“ wieder, was jedoch keinesfalls aufgesetzt wirkt oder gar langweilig, der Song lässt die Beine zucken, den Kopf nicken. Sogleich projiziert sich das Bild der fünf auf die Netzhaut, wie Bebban verträumt auf dem Xylo-dingsda ihre Klöppel schwingt und alle irgendwie schwedisch dabei aussehen. Selbst wenn sie davon singen, dass sie einen Freund bei einem Unfall verloren haben („Time Left For Love“), scheint die Sonne durch die Dunkelheit zu strahlen, denn Gitarre, Klavier und Stimme erzeugen eine rundum positive Stimmung. „Our Ill Wills“ ist lohnenswert, schon allein wegen des zuckersüßen Songs „Blue Headlights“, den Sängerin und Keyboarderin Bebban so lieblich ins Mikrofon säuselt. Eine Platte, die neben dem Debüt nicht im Plattenschrank fehlen darf, auch wenn der Titel nicht ganz so poetisch klingt wie Bandname und Erstlingswerk. (Maria Sonnek)


» www.shoutoutlouds.com



The Girls: Talk to the Pervert
(Middle Class Pig/Cargo)

The Girls, Talk to the Pervert

The Girls, vierköpfige Band um Sängerin Sharon K, klingen zwar, als kämen sie aus Greenwich Village/NYC, stammen aber aus Tel Aviv und platzieren damit Israel auf der Pop-Landkarte. Auf ihrem nur 25 Minuten langen Debütalbum präsentieren sie Trash-Bluesrock mit Punkattitüde, der frühen Patti Smith-Platten nicht fern ist. Der energetische Rock'n'Roll der Girls lässt jede Menge Variationen zu, melodiösen Streetblues wie „Light my Cracker“ zum Beispiel, beherzten Punkrock bei „Blonde“, „Pervert“ und „Fire Out“, mit „Cockroach“ ist sogar ein sanfter Popsong an Bord. Die Songs sind kurz und prägnant, rotzig und rockig, aber mit Charme und Herz – wer The Affair und Yeah Yeah Yeahs mag, wird The Girls lieben. Sharon K's voluminöse Stimme lässt auf grandiose Liveerlebnisse schliessen; The Girls waren gerade für ein paar Konzerte in Deutschland, bleibt zu hoffen, dass sie mit mehr Material bald zu einer grösseren Tour zurückkommen!


» www.myspace.com/thegirls