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Sofie Lichtenstein: Bügeln. Protokolle über geschlechtliche Handlungen




Juni 2007
Christina Mohr
für satt.org

Short Cuts-Logo
Short Cuts Juni 07, erste Hälfte


Frau Mohr releases the stars! Vorhang auf für Björk, Rufus Wainwright, Marilyn Manson, Jennifer Gentle, King Khan & The Shrines, Katatonia und Susi Hyldgaard. Mit einem Gastbeitrag von Marcel Tilger.


Björk: Volta
(Polydor/Universal)

Björk, Volta

„In the beginning there was rhythm“ skandierten einst die Slits und dieser Leitspruch traf auch auf Björk Gudmundsdottirs letzte Alben „Homogenic“, „Vespertine“ und „Medúlla“ zu. Bei diesen drei Platten ging die Grundidee vom Rhythmus aus – anders beim neuen Album, „Volta“, das buchstäblich auf der ganzen Welt aufgenommen wurde. „Volta“ ist eine Reiseplatte, das von ihrer rastlosen Kreateurin und ihren Kooperateuren in New York, Reykjavik, Portland, Malta, San Francisco und -zig weiteren Orten eingespielt wurde.
Björk sagt, dass die Beats bei „Volta“ erst zum Schluss drankamen, sie musste nachdenken: einerseits wollte sie keine altmodischen Neunzigerjahre-Drummachines verwenden, andererseits sollte „Volta“ trotz aller Internationalität nicht zu worldmusic-mässig klingen. Schliesslich entschied sie sich zunächst für zwei Live-Schlagzeuger, Chris Corsano, Gastmusiker bei Sonic Youth und Brian Chippendale von Lightning Bolt, die für sehr unmittelbare, teils martialische Beats sorgen. Beim Opener „Earth Intruders“ äussert sich das in einem tribalartigem Rhythmus, der hypnotisierende Trancewirkung entfesselt. Die beiden Drummer sind aber keineswegs die einzigen Kollaborateure Björks: Timbaland hat die meisten Tracks produziert, eine zehnköpfige Bläserinnengruppe, die chinesische Pipa-Spielerin Min Xao-Fen, Technopionier Mark Bell, afrikanische Musiker und nicht zuletzt Gastsänger Antony machen „Volta“ zu einem globalen Trip. Und man kann nur dankbar sein für die relative Unentschlossenheit Björks - „Volta“ ist nicht homogen, keine Platte aus „einem Guss“, sondern ein anspruchsvolles Patchwork. Trotz der von Björk betonten Rhythmik sind nur wenige Stücke wirklich tanzbar, im Vordergrund steht das Experiment.
Bei „Innocence“ regiert ein quietschender, schleifender HipHop-Beat, mit indisch anmutenden Glöckchen gleitet man über in den nächsten Song, „I See Who You Are“. Die Ballade „The Dull Flame of Desire“, die Björk gemeinsam mit Antony singt, ist ebenso waldhornbetont wie „Pneumonia“, beide Songs gehören zu den intensivsten Momenten des Albums – trotz oder wegen der kontemplativen Wirkung. Grandioser Höhepunkt ist das rotzig-feministische „Declare Independence“, ein wilder Mix aus Electroclash und hysterischem Punkrock, Björks Stimme überschlägt sich, wie sie es wahrscheinlich in ihrer ersten Band „Spit and Snot“ getan hat: „Start Your Own Currency / Make Your Own Stamp / Protect Your Language / Declare Independence / Make Your Own Flag / Raise Your Flag“ - diese wütenden Zeilen machen aus dem Track ein Manifest gegen Globalisierung und pro Feminismus in Einem. Danke Björk, sowas musste mal wieder sein!


» bjork.com



Rufus Wainwright:
Release the Stars
(Geffen/Universal)

Rufus Wainwright, Release the Stars

„Do I disappoint you in just being human? And not one of the elements that you can light your cigar on“ - sehr geschickt, lieber Rufus Wainwright, dein neues Album mit diesen entwaffnenden Zeilen zu eröffnen! Was könnte man dir danach noch vorwerfen? „Why does it always have to be chaos, wanderlust, sensational?“ fragt er weiter und ein winzigkleines Alarmlämpchen beginnt zu leuchten: wofür entschuldigt sich Rufus schon im voraus? Fürchtet der „gay messiah“, den Erwartungen seiner mittlerweile enorm angewachsenen Fangemeinde nach den Meisterwerken „Want One“ und „Want Two“ nicht entsprechen zu können? Und tatsächlich gibt es erste enttäuschte Äusserungen, so klagt Jens Friebe in seinem Intro- und taz-Artikel, Rufus habe sich „unterfordert“. Natürlich wird hier auf hohem Niveau geklagt, selbst eine von Rufus unter der Dusche gesummte Melodie enthält mehr Pracht, Glanz und Gloria als ein heutzutage handelsüblicher Popsong. Andererseits geht Rufus' Musik weit über Pop hinaus, atmet Klassik, Broadway, Judy Garland und Beethoven ein und aus.
Rufus Wainwright zog für die Aufnahmen zu „Release the Stars“ nach Berlin, weil er ein „heruntergestripptes, skelettartiges“ Album aufnehmen und sich „direkter ausdrücken“ wollte. Er erhoffte sich Inspiration durch den Anblick zerbröselnder Barockschlösser, doch schwarzweisse Fin-de-Siècle-Stimmung mochte nicht aufkommen. Rufus verknallte sich in Krachlederne (Rufus in kurzen Lederhosen kann man im CD-Booklet bewundern) und Schloss Sanssouci. Also Neuschwanstein statt Preussen. Der gewohnte opernhafte Pomp sollte doch wieder in die Arrangements einfliessen, Rufus engagierte Neil Tennant als „Berater“; Producer Marius de Vries, der auch schon für „Want One & Two“ verantwortlich zeichnete, holte das London Session Orchestra ins Studio. Weitere Kollaborateure sind Rufus' Schwester Martha und Joan Wasser, a.k.a. Policewoman, die ihre Violine bei einigen Songs erklingen lässt, zum Beispiel bei der Single „Going to a Town“, einer im Billy Joel-Stil gehaltenen Anti-USA-Ballade. Dieser Song schielt sehr nach Charts und Affirmation, „I'm so tired of you, America“ ist ein Satz wie „Do I disappoint you“ - wer will ihm schon widersprechen? „Release the Stars“ hält glücklicherweise noch schönere Balladen bereit, das nachdenkliche Schlussmach-Lied „Not ready to Love“ zum Beispiel, auch „Slideshow“, „Leaving for Paris“ und „Nobody's off the Hook“ sind eindringlich-intim und lassen Rufus' einzigartige Stimme wunderbar zur Geltung kommen. Die Berlin-Hommage „Tiergarten“ mit verträumtem Harfengeplinker präsentiert den Flaneur Wainwright; das für seine Verhältnisse punkrockige „Between my Legs“, ein kantiges Onanie-Stück mit mitreissendem Singalong-Refrain, featuret die Broadway-Grande Dame Sian Phillips, die eine kurze Spoken Word-Passage zu Gehör gibt. „Rules and Regulations“ wird durch die mit jeder Menge Trompeten, Flöten und Posaunen untermalten Melodie zum Pophit der Platte, nicht zuletzt durch die hübsche Zeile „All my life I wanted to roam / Even if it was just inside my own home.“ Das hedonistische „Sanssouci“ handelt von nächtlichen Liebestreffen im Park, Rufus croont „I'm tired of writing elegies in general / I just want to be at Sanssouci tonight“ und nimmt die Eingangsidee von „Do I disappoint you“ wieder auf: das Wunderkind will spielen, mal ausbrechen und so wie die anderen sein. Der überdrehte Titeltrack enthält das Credo „Hollywood is over“ und Rufus singt, „Yes of course I'm speaking in metaphors for something more in your heart.“ Aber was ist das „something more“? Vielleicht ist „Release the Stars“ in seiner Uneindeutigkeit, die aus Rufus' Wunsch nach Einfachheit versus seiner unleugbaren Lust an schwelgerischer Opulenz entsteht, doch das Berlin-Album geworden, das er ursprünglich im Kopf hatte: der Glam vergangener Tage hat seine ideale Entsprechung im Heute noch nicht gefunden. Back to Bombast oder Simplify Your Style? Diese Fragen müssen sich Berlin und Rufus gleichermassen stellen.


» rufuswainwright.com
» myspace.com/rufuswainwright



Marilyn Manson: Eat Me, Drink Me
(Interscope/Universal)

Marilyn Manson, Eat Me, Drink Me

Ein weiterer US-Artist, der Berlin für ein morbid-verfallenes Disneyland hält, ist Brian Hugh Warner, bürgerlich Marilyn Manson. Mr. Manson pflegt seine Obsession zu Bad old Berlin mit Hingabe: die Releaseparty fürs neue Album fand in einer Villa in Grunewald statt, es heisst, er suche eine ständige Bleibe eben dort und man ertappte ihn schon beim Max-Raabe-Plattenhören. Mansons Berlinliebe äussert sich nicht wie bei Wainwright im Lederhosentragen, sondern in einer eigenwilligen Interpretation von Zwanzigerjahredekadenz, die schon auf dem letzten – ungeliebten – Album „The Golden Age of Grotesque“ dominierte. Optisch-stilistisch fügt sich alles zu einem dunkelrotschwarzen Ganzen (remember den legendären Nagellack „rouge noir“ von Chanel), was ohnehin Mansons Lieblingsfarbe sein dürfte, ob er sich gerade in Berlin, Los Angeles oder Transsylvanien befindet. „Eat Me, Drink Me“ entstand während und nach Mansons Scheidung von Burleske-Queen Dita von Teese. Ganz eindeutig wird auf der Platte die schmerzhafte Trennung verarbeitet, nicht ohne zynische Seitenhiebe auf die Verflossene und stolzes Präsentieren ihrer Nachfolgerin, der 20jährigen Rachel Evan Wood. Laut Manson sei das neue Album sein bisher persönlichstes: er habe gelernt, dass er Kunst und Leben nicht mehr trennen dürfe, die Songs seien „letters directly to the audience“. Geht man nach den Käuferkommentaren bei amazon.de, erzeugt „Eat Me, Drink Me“ Verstörung bei den Fans, die verwirrt sind durch des Antichristen Brachialromantik. Tatsächlich wirkt Manson zuweilen ein wenig tapsig, wie Dracula im Sonnenlicht, erotisch überfordert von der jungen Freundin. „Eat Me, Drink Me“ widmet sich dem Motiv des Einverleibens, Begehren heisst hier sich-fressen-wollen, Blut und Sperma bilden die Ursuppe des Manson'schen Liebesuniversums. Die Single „Heart-Shaped Glasses“ interpretiert „Lolita“ neu: „Don't Break My Heart / and I won't Break Your Heart-Shaped Glasses“ heisst es im Text. Auch „If I Was Your Vampire“ und „Are You the Rabbit“ thematisieren den Komplex älterer Mann/jüngere Frau. Mit Manson ist man selbstredend nie allein, „You and Me and the Devil Makes 3“ bereitet die Geliebte auf den unvermeidlichen Dritten im Bunde vor, dessen „sperm's cold as ice“ ist.


MM live in Deutschland:
17.6. Chemnitz, Woodstage Festival
22.6. Neuhausen, Southside Festival
23.6. Scheessel, Hurricane Festival
24.6. Berlin, Zitadelle Spandau
26.6. Dortmund, Westfalenhalle
Musikalisch baut Manson ein solides Spukschloss aus Industrial-, Darkwave-, Hardrock-, Nine Inch Nails- und Smashing Pumpkins-Versatzstücken, ausgiebige Gitarrensoli erinnern in den schwächeren Momenten an Bon Jovi, in den kraftvolleren an Alice Cooper. Spannung wird wie gewohnt durch schleppende Drums, Hall- und Laut-Leise-Effekte aufgebaut, insgesamt wirkt „Eat Me, Drink Me“ weicher und experimenteller als frühere Alben (oha! keine falschen Erwartungen, bitte: wir reden hier von Variationen innerhalb des bewährten Manson-Sounds, nichts Grenzüberschreitendes). Sehr spassig ist der Remix von „Heart-Shaped Glasses“ im Ibiza-Style von Jade E. Puget, der als Bonustrack firmiert. Aber Spass ist ja nicht wirklich das, was Marilyn Manson-Fans von ihrem bleichen Helden erwarten.


» marilynmanson.de
» marilynmanson.com



Jennifer Gentle:
The Midnight Room
(Sub Pop/Cargo)

Jennifer Gentle, The Midnight Room

Die oben genannten Künstler benötigen keine Unterstützung mehr, deren Promotionmaschinerien laufen wie geschmiert. Noch etwas anders sieht das bei Jennifer Gentle aus: JG ist keine Solokünstlerin aus dem angloamerikanischen Sprachraum, sondern die Band von Marco Fasolo aus Padua/Italien. Die erste Jennifer Gentle-Platte für Sub Pop hiess „Valende“ und wurde von Kritikern in aller Welt hochgelobt, allein, der grosse Erfolg blieb aus. Allerdings wurde Steve Shelley, seines Zeichens Drummer bei Sonic Youth, auf die Italiener aufmerksam und liess sich bei Auftritten mit seinem Nebenprojekt Two Dollar Guitar von Jennifer Gentle supporten, was ihnen viel Credibility verschaffte. Die neue JG-Platte „The Midnight Room“ nahm Fasolo in seinem Ectoplasmic Studio auf, das in einem verlassenen Haus in Norditalien untergebracht ist. Der frühere Besitzer hatte sich in diesem Haus erschossen und es scheint, als spuke nicht nur er durch „The Midnight Room“. Das Album klingt wie eine kleine Nachtmusik für Emily the Strange und es empfiehlt sich unbedingt, die Platte spätabends zu hören, das Licht zu löschen und die Fenster zu öffnen, damit die Kreaturen der Dunkelheit den Ursprung dieser seltsamen Klänge auch gut orten können … Wobei wir es hier keinesfalls mit Gothic zu tun haben, nein, stellt Euch einen verlassenen Rummelplatz vor, auf dem sich Federico Fellini, Link Wray und Lydia Lunch treffen, um einen Soundtrack für Edgar Allen Poe-Verfilmungen zu komponieren. Oder denkt an eine dunkle Straßenecke im Berlin der zwanziger Jahre, an der sich Lotte Lenya vom kunstseidenen Mädchen Feuer geben lässt. Oder stellt Euch die Jukebox eines American Diner aus den Fifties vor, deren Inhalt von Luigi Nono neu interpretiert wird. Marco Fasolo selbst führt Syd Barrett, 13th Floor Elevators und Joe Meek als Einflüsse auf, was eine ungefähre Richtung vorgibt. Er und seine Mitmusiker erreichen mit einfachem Rock'n'Roll-Instrumentarium (zwei Gitarren, Bass, Schlagzeug, vereinzelter Klaviereinsatz) eine spooky Stimmung, die nicht von dieser Welt, zumindest nicht aus dieser Zeit zu kommen scheint. Der Opener „Twin Ghosts“ klingt, als hätte Angelo Badalamenti mit den Geistern jung verstorbener Teenstars wie Ritchie Valens Kontakt aufgenommen; „Telephone Ringing“ würde Captain Beefheart zur Ehre gereichen: dekonstruierte Rockabilly-Rhythmen werden mit undefinierbaren Hintergrundgeräuschen garniert, auch „Mercury Blood“ mit der geisterhaften Quietschfanfare am Anfang und „Quarter to Three“, das mit kontrapunktischen Laut-Leise-Effekten arbeitet, sind experimentelle Kleinodien der dritten Art. „It's in her Eyes“ klingt durch das plinkernde Klavier ein bisschen wie „Love Cats“ von The Cure, nur ohne Refrain, bei „Take my Hand“ sieht man derangierte Nighthawks vor sich, die zu einer Kurt Weill-Melodie ins Morgengrauen schwofen. „The Ferryman“ und „Electric Princess“ sind runtergestrippte Rock'n'Roll-Operas, bei denen kein Ton zuviel erklingt; in „Granny's House“ rasselt und raunt es unwirklich über den minimalistischen Klangkörper. „The Midnight Room“ wirkt als Gesamtkunstwerk lange nach und ist eine der grossen kleinen Entdeckungen des Jahres.


» jennifergentle.it
» myspace.com/jennifergentle



King Khan: What Is?
(Hazelwood Vinyl Plastics)

King Khan, What Is?

Ebenfalls aus einer anderen, fernen Zeit scheint „What Is?!“ zu stammen, das neue Album des „Maharaja of 60's Soul“, wie King Khan gerne betitelt wird. Der King wurde als viertes von sieben Kindern der indisch-afrokanadischen Familie Khan geboren, seine Eltern nannten ihn Arish Vajavishnu. Der erziehungsresistente Wirbelwind interessierte sich schon als Zehnjähriger ausschliesslich für Mädchen und Rock'n'Roll, der Grundstein für seine Karriere wurde früh gelegt. 1995 verlässt er das heimische Montreal, um als Bassist der Garagenpunkband The Spaceshits die Welt zu erobern, damals legte er sich das Alias Blacksnake zu – der Namensverwirrung ist kein Ende. Im Jahre 2003 trifft King Khan auf Gordon Friedrich und Wolfgang Gottlieb, Labelchefs von Hazelwood Vinyl Plastics. Die beiden sind sofort Feuer und Flamme für den jungen Irren, der wie die Inkarnation von Screamin' Jay Hawkins, Little Richard und Sun Ra in einer Person wirkt. Friedrich und Gottlieb adoptierten King Khan, bis heute steht immer ein Bett für ihn in den Hazelwood Studios in Frankfurt-Rödelheim bereit.
2004 erscheint das Album „Mr. Supernatural“ bei Hazelwood, die Auftritte des King werden rasch zu urban legends: von ekstatischen, entrückten Zuständen bei Publikum und Performer ist die Rede, genau erinnern kann sich niemand. Jetzt ist die zweite Platte „What Is?!“ draussen und wer die darauf enthaltenen 14 Tracks am Stück durchhält, ist entweder King Khan selbst oder ein hyperaktives Kind vor der Ritalinbehandlung. 60's-Beat für Hektiker und Pillenschlucker kesselt dem Hörer entgegen, schrille Intros wie beim Opener „(How Can I Keep You) Outta Harms Way“ gehen über in Khans heiseres Schreien. Mit Tambourin, verzerrten Gitarren und Schweineorgel werden die Seelen von Jimi Hendrix und James Brown beschworen, King Khan findet den Punk im Soul und umgekehrt. „I Wanna Be A Girl“ besticht durch beat-punkigen Rhythmus, bei „Welfare Bread“ kann man Northern-Soul-Elemente ausmachen; „Land of the Freak“ ist nichts weniger als die Hymne des Kings: eine trillernde Highspeed-Orgel treibt den Beelzebub erst richtig ein. Die psychedelische Trash-Garage steht durchgehend im Mittelpunkt, man sieht den Schweiss der durchdrehenden Tänzer förmlich von den Wänden rinnen. Man kann die Sixtiesseligkeit des Kings für eskapistisch und rückwärtsgewandt halten, für ihn und Hazelwood ist es der Sound der puren Energie, des schieren Wahnsinns. Rock'n'Roll!


» king-khan.com
» hazelwood.de
» myspace.com/kingkhantheshrines



Katatonia: Live Consternation
(CD + DVD, Peaceville/Snapper)

Katatonia, Live Consternation

Die Liebe der britischen Plattenfirma Peaceville zu ihren langjährigen Schützlingen Katatonia ist zwar gerechtfertigt. Die eigenwilligen Blüten, die diese Liebe hervorbringt, wirken deswegen aber nicht weniger befremdlich: Ganze drei Singles aus einem Album auszukoppeln, auf dem es vor eingängigen Nummern wimmelt, das allerdings immer noch melancholisch genug klingt, um Charts-Luft nicht einmal aus der Ferne zu schnuppern, sieht nach einer Strategie aus, eingeschworene Fans mit B-Seiten zu locken. „Live Consternation“ lässt sich schon rein optisch als Nachklapp des noch aktuellen „The Great Cold Distance“-Albums ausmachen: Das tiefrot und brennend, mitunter verstörend und beängstigend gehaltene Layout zieht sich als konzeptueller Faden durch Album, Singles und Live-Compilation. Auch wenn die beiliegende DVD dem durch das Layout geschürten hohen Anspruch an die Optik nicht genügen kann, lohnt das Package – für Fans und Neulinge. Katatonia hat das Schicksal vieler Metal-Bands ereilt, die sich einst von „ihrer Musik“ und damit von einem Teil ihres Publikums verabschiedet haben: Sie sind zu Heimatlosen, zu Rastlosen geworden, die das Etikett „Heavy Metal“ nicht loswerden, in der so genannten Independent-Presse nicht Fuß fassen können und dort gar verlacht werden. Es klingt wie ein überstrapaziertes Klischee, aber Kreativität lässt sich von Widerspruch durchaus befeuern; „The Great Cold Distance“ hatte keine völlig neuen Töne angeschlagen, kompositorisch jedoch einen neuen Zenit erreicht. Der für „Live Consternation“ beim Summer-Breeze-Festival 2006 mitgeschnittene Auftritt ist folglich um Songs aus eben dieser Platte gruppiert und bricht bloß in „Ghost of the Sun“ aus „Viva Emptiness“ – neben „Discouraged Ones“ wohl der programmatischste Titel ihres Werkes – in aggressivere Gefilde aus. Was musikalisch gar nicht weit von der rockigen Seite von Bands wie Dredg entfernt liegt, wird einzigartig durch Jonas Renkses Stimme. Sein warmes, resigniertes Timbre kennt und schätzt, wer eines der Alben seit „Discouraged Ones“ gehört hat. Was dieses Konzert also auszeichnet, ist auf der einen Seite eine tolle Songauswahl, die gerade Einsteigern ein schönes Panorama auf das Schaffen dieser Gruppe bietet, und andererseits Renkses hier noch leidenschaftlicher, beinahe zärtlich und verletzlich klingender Gesang. Parade Beispiele dafür: „Cold Ways“ aus „Discouraged Ones“ und „Right Into the Bliss“ aus „Tonight’s Decision“ (im Original mit kongenialer Jeff-Buckley-Adaption), wo die Schweden außerdem zeigen, wie man einer Gitarre Melodien entlocken kann, die gleichzeitig von dunkler Eleganz und großer Traurigkeit sind. Die DVD braucht man dazu gar nicht einlegen. Denn wer, um ein weiteres Klischee zu bemühen, eine so zärtliche und fragile Stimme hat, bringt Saiten zum Klingen, die tief in seiner Persönlichkeit begründet liegen: Renkse ist mit Sicherheit ebenso wenig ein geborener Performer wie seine Bandkollegen; seine Gesten wirken so schüchtern, wie die Posen der Saitenfraktion statisch und einstudiert sind. Der exzellente Sound kommt auf der CD besser zur Geltung, weil der mit wenig Feingefühl betriebene Schnitt, die etwas einfallslose Kameraführung nicht von ihm ablenken. (Marcel Tilger)


» katatonia.com



Susi Hyldgaard:
Magic Words … to steal Your Heart Away
(Enja Records/Soulfood)

Susi Hyldgaard, Magic Words … to steal Your Heart Away

Die Dänin Susi Hyldgaard gilt eigentlich als Jazzsängerin reinsten Wassers, bei näherem Hinhören stimmt das aber nicht: nach eigenen Aussagen hört sie fast nie Musik anderer Leute, sondern macht selber welche, singt, spielt Piano, Akkordeon und Keyboards; ausserdem ist sie Dozentin an einer Musikhochschule. Ihr fällt es leicht, zwischen Jazz, Pop, Avantgarde und Elektro zu changieren, musikalische Grenzen akzeptiert sie nicht. Mit ihren früheren, hochgelobten Platten („Blush“, „Home Sweet Home“) ersang und erspielte sie sich ein Publikum, das ihr auf ihrem charakteristischen, nicht festgelegten Weg gern folgt. Ihre Stimme ist kraftvoll, warm und prägnant (also durchaus jazz-affin), kann aber auch Kapriolen schlagen wie Björk oder Kate Bush. Für ihr neues Album hat sie aber doch Musik anderer Menschen gehört, auf „Magic Words“ interpretiert sie Standards wie „Slow Hot Wind“ von Henry Mancini, „In the Wee Small Hours“ von Frank Sinatra, Jazzklassiker wie „“When I Fall in Love“ von Nat King Cole und Pophits wie „In the Summertime“ von Mungo Jerry. Für jeden Song kreiert sie ein verblüffend neues Arrangement, arbeitet gern nur mit Posaune und Piano und verschwendet keinen Ton nur des Effektes wegen. Dabei entstehen eindringliche, teils rauhe, teils anschmiegsame angejazzte Miniaturen, die sich – wie von Hyldgaard intendiert – jeglicher Klassifizierung entziehen.


» susihyldgaard.dk