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Juli 2007
Robert Mießner
für satt.org

DISCO 3000
05

Durch den Dschungel

Duke Ellington “Money Jungle” (1962)
Battles “Mirrored” (2007)

Duke Ellington:
Money Jungle

(Blue Note 1962)

Duke Ellington: Money Jungle
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Battles: Mirrored
(Warp 2007)

Battles: Mirrored
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Die Stadt ist außer Rand und Band. Eine einzige Kakophonie aus Verkehrslärm und Gesprächsfetzen, Sirenen und Reklameschildern. Es ist, als sei sie von Dämonen bewohnt, die hinter der scheinbaren Ordnung der Häuserzeilen lauern und ihre Bewohner in heilloser Hatz durch die Straßen jagen. Für Money Jungle wünschte sich Duke Ellington, der legendäre Bigband-Leader, Komponist und Arrangeur, die Musik möge das Bild einer entfesselten Metropole entwerfen. Max Roach, der Schlagzeuger, ohne den Bebop und Hardbop schwer möglich gewesen wären, der Politik und Stilbewusstsein mit Verve verknüpfte, erinnerte sich gegenüber Peter Ruedi in der Schweizer Weltwoche: “Wir sollten uns die Wolkenkratzer als Baumstämme vorstellen, und aus den Fenstern des Empire State Building quillt das Geld, aus allen Gebäuden, es füllt die Straßen. Das sei der Money Jungle, und die Schlangen, die durch diesen Dschungel zischten, seien die Leute, die Musiker ausbeuten, die Agenten.” Charlie Mingus, der eruptive und expressive Bassist, eine so sensible wie unberechenbare Figur, konnte von all dem mehr als ein Lied singen.

Beste Voraussetzungen also für ein Gipfeltreffen der Spitzenklasse. Die Aufnahmen zu Money Jungle sollen nicht ohne Spannungen verlaufen sein. Tradition kollidierte mit Avantgarde. Das Resultat, seit 2001 ist es dank Produzentenlegende Michael Cuscuna in einer vorzüglichen, um bis dato unveröffentlichte Bonustracks ergänzten Neuauflage erhältlich, ist eine bis heute dramatische, nervenzerreißende und faszinierende Platte. Mehr als einmal klingt Ellingtons Klavier, als habe sich der große alte Mann von Cecil Taylors Stakkatostil anstecken lassen (Money Jungle, Wig Wise, Caravan), an anderen Stellen setzt er zarte, impressionistische Töne (Warm Valley, Switch Blade). Mingus und Roach geben Ellington, von ihnen verehrt, den rhythmischen Rahmen. Wenn nötig kochend und rastlos, von nahezu schlafwandlerischer Eleganz, wo es angezeigt erscheint. Wer bei diesem Album in Ruhe sitzen bleibt, dem kann kein Arzt mehr helfen.

Was das alles mit den Battles, jener mit Vorschusslorbeeren und Lob überhäuften Supergroup aus New York zu tun hat? Auf dem Debütalbum des Quartetts um Tyondai Braxton (Gitarre, Keyboards, Gesang, Sohn des Avantjazzers Anthony Braxton übrigens), Dave Konopka (Gitarre, Bass), Ian Williams (Gitarre, Keyboards) und John Stanier (Schlagzeug, ehemals Helmet) wird der Großstadtdschungel endgültig zum apokalyptischen Szenario. Asphalt schmilzt, Handy, Laptop und iPod, die elektronischen Krücken der Neuzeit, beginnen ein irrwitziges Eigenleben. Reden in tausend sich überlagernden Stimmen. Der Rhythmus ist der eines Furors, rasend, erregt. Der Gesang, zumeist eine einzige Lautmalerei, erzählt nicht, er illustriert das Chaos, in dem die Ruhepunkte selten sind und dadurch umso mehr strahlen. Mirrored hat nach seinem Erscheinen widersprüchliche Kritiken erhalten, gleichermaßen Begeisterung und Ratlosigkeit hervorgerufen. Von Kälte, Kalkül und Kunsthandwerk spricht die Liga der Verächter. Mit Songtiteln wie Prismism und Ddiamondd, mit einem Album, auf dem das Wort Konzept großgeschrieben wird, machen es ihnen die Battles auch leicht. Der Witz ist nur, dass diese Kopfmusik im eigentlichen Sinne Tanzmusik ist. Für die städtischen Tropen und Subtropen.



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