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Der New Yorker Jazzposaunist Josh Roseman ist kein Vertreter der „reinen Lehre“: er hat mit so unterschiedlichen Leuten wie John Zorn, Me'Shell Ndegeocello, Uri Caine und vielen anderen gespielt und er liebt es, Jazz mit verschiedensten Genres zu mischen und zu unterwandern. Sein Album „Cherry“ aus dem Jahr 2000 war eine Sammlung abgedrehter Rock-Coverversionen, die darauffolgende Platte „Treats for the Nightwalker“ (2003) ist ein Acid-Funk-Psychedelik-Hybrid, der jegliche Klassifizierungsversuche ad absurdum führt. Mit dem auf Enja Records erschienenen Livealbum „New Constellations: Live in Vienna“ schlägt Roseman erneut eine ganz andere Richtung ein, oder kehrt zu seinen Wurzeln zurück, je nach Sichtweise. Roseman reiste nach Jamaika, besuchte das legendäre Studio One, in dem die wichtigsten Ska- und Reggaeplatten aufgenommen wurden. Erklärtes Ziel der inspirierenden Reise war ein Livealbum, das Roseman mit seiner Band in Wien realisierte. Er huldigt damit seinem grossen Vorbild, dem 1969 verstorbenen Ska-Posaunisten Don Drummond und verbeugt sich vor Ska-Meistern wie Roland Alphonso und den Skatalites, den Abyssinians und den Paragons, deren Stücke er neu interpretiert. Es ist verblüffend, wie smooth Jazz und Ska in Rosemans Bearbeitungen ineinanderfliessen, Jazz war noch nie so tanzbar, Ska und Rocksteady hingegen klangen noch nie so satt und warm. Ska-Classics wie Don Drummonds „Thouroughfare“ und „I Wanna Be With You“ von John Holt geraten zu wilden, ausgelassenen Improvisationen, bei denen man schwer aufpassen muss, dass man beim Moonstomp nicht stolpert. Roseman verfremdet/overdubbt das Lennon/McCartney-Stück „I Should Have Known Better“ fast bis zur Unkenntlichkeit, aber auch Eigenkompositionen wie „Olsen Twins Subpoena“ und „B4 and After“ überzeugen voll und ganz. Josh Roseman gelingt das grosse Kunstwerk, aus traditionellen Musiken einen ganz neuen, eigenständigen Stil zu kreieren, der den Jazz-Snob genauso begeistern wird wie Two-Tone-Fans. Lest hier das satt.org-Interview mit Josh Roseman: CM: Wann und warum hast du dich entschlossen, ein Ska-Jazz-Album aufzunehmen? JR: Ich verdanke und „schulde“ dieses Album meiner Mom, die mich tief in die karibische Musik eingeführt hat, aber auch in afrikanische Musik und Jazz. Ich war immer begeistert davon, wie sehr sie die Musik in sich aufgesogen hat, ich habe viel von ihr gelernt. Mit allen Platten, die ich aufnehme, möchte ich eine karmische Schuld zurückzahlen …. CM: Ist es einfach für dich, Jazz mit anderen Stilrichtungen zu mixen? Du wirst zitiert: "A lot of people do different genres of music whereas with me it's all music - it's all stuff I've grown up listening to, and it's all appealing for me …" JR: Ich bin von Hippies erzogen worden, das war toll. Der einzige Nachteil ist, dass ich keine Ahnung habe, was andere Leute denken. Das nervt … CM: Was hältst du von Hardcore-Jazzfans, die es nicht mögen, wenn man Jazz mit anderen Genres mixt?
JR: Es gibt eine Studie, die belegt, dass kulturelle Charaktereigenschaften genetisch bedingt sind – also politische Vorlieben und solche Dinge. Solche Untersuchungen nähren in mir den Glauben, dass all diese verschiedenen Blickwinkel notwendig sind, um das Bewusstsein des Einzelnen und des Kollektivs „gesund“ zu erhalten. Die Menschheit muss diese Art von Tendenzen über Millionen von Jahren halbbewusst entwickelt haben, deswegen gibt es heute Hardcore-Fussballfans, Bandenkriege und so weiter … Eine Nebenbemerkung: was ich wirklich faszinierend finde, ist die Entwicklung von Ansichten und Vorlieben über lange Zeiträume hinweg – Jimi Hendrix hat mal gesagt: "Castles made of sand, melts into the sea eventually." Als ich kurz davor war, nach New York City zu ziehen, hatten alle Mitmusiker Ornette Colemans andere Bands, in denen sie elektronische Musik spielten. Diese Bewegung hatte einen weitreichenden Einfluss auf den Jazz. Jetzt gibt es natürlich jede Menge Musiker, die sich mit modernen Technologien beschäftigen – und herausfinden wollen, was man damit so anfangen kann. Musik ist so eine Art Gebrauchsgegenstand, wie fliessendes Wasser – wunderbar, darin zu baden, aber sehr schwierig im Detail zu untersuchen. CM: Warum war es dir so wichtig, nach Jamaika zu reisen und Studio One zu besuchen? Gibt es bei dir eine besondere Beziehung zu Reggae, Rocksteady und Ska? JR: Schlussendlich hat das Kind in mir einen idealisierten Reggae-Posaunisten erschaffen. So bin ich gross geworden und alles, was ich bis heute gemacht habe, hat mich in diese Richtung geführt. CM: Bist du wegen Don Drummond Posaunist geworden? JR: Der Klang der Posaune hat mich schon als kleines Kind geprägt – mein Vater spielt auch Posaune und in unserem Haus wurde immer viel Reggae, Ska und Jazz gehört und gespielt. Ich betrachte die Posaune als ein Instrument, für das man höchsten Einsatz geben muss: wenn alles gut läuft und man die Posaune wirklich spielen kann, ist der Klang unglaublich kraftvoll und kriecht dir bis tief in die Knochen. Als ich anfing, professionell Musik zu machen, spielte ich zunächst Bass, aber ich war fasziniert vom Klang und Charakter der „Bone“/Posaune. Ich wollte ihr Potential erkunden – das war und ist eine sehr interessante Reise. Die Posaune hält mich am Boden, lässt mich realistisch bleiben und bewahrt mich davor, komplett von der Technik absorbiert zu werden. Ohne meine Posaune wäre ich nicht mehr als ein Goldfisch in der Badewanne – ein Goldfisch mit einer (Computer-)Maus. CM: Gibt es einen speziellen Ska- oder Rocksteady-Track, der dich besonders für diese Musik eingenommen hat? JR: Der erste Reggae-Song, bei dem ich „WTF“ („What the Fuck!“) rief und erstaunt war, was man mit dem Horn alles anstellen kann, war ein kurzes Solo von Vin Gordon auf „Running Away“, ein Track von Bob Marleys Album „Kaya“. Das Solo ist sparsam und kurz, hat aber einen sehr kräftigen, geheimnisvollen Sound. Gordon ist ein unglaublich guter Virtuose, leider ist er nicht sehr bekannt, aber er spielt Posaune wie Dizzy Gillespie Trompete. CM: Es gibt diesen berühmten Satz, "If you don't know how to call it, call it Jazz" – was sagst du dazu? JR: Die meisten Musiker in NYC finden, dass das Wort „Jazz“ überhaupt nichts bedeutet. Duke Ellington und Miles Davis verwendeten auch nicht den Begriff „Jazz“, um ihre Musik zu beschreiben. Wenn man das im Kopf behält, wird der von dir genannte Slogan zu einem dieser Banner, die man hinter kleinen Flugzeugen herwehen sieht. Was man halt so sieht, wenn man am Strand liegt, nichts von Bedeutung. CM: Was ist dein Lieblingsort in NYC? JR: Seit einiger Zeit geben wir Konzerte im Erdgeschoss unseres Studios – das ist mein Lieblingsort zur Zeit. Der zweitliebste Platz ist kein fester Ort, sondern „the real NY experience“ - einfach durch die Stadt laufen und etwas unvorhersehbares entdecken, was oft passiert, vor allem bei uns in Brooklyn. CM: Ist es für einen jungen Jazzmusiker wichtig, als „sideman“ bei berühmten anderen Musikern gespielt zu haben – du hast mit John Zorn, Dave Holland und Steve Coleman gespielt, um nur ein paar zu nennen. Was muss man tun, um einen eigenen Stil zu entwickeln? JR: Zur Zeit gibt es massenhaft fantastische, umwerfende junge Musiker in NYC, die gerade mal Anfang Zwanzig sind – starke Generation. Ihr Hauptproblem wird sein, ihre Musik gut promoten zu können, vor allem, weil es die „alte Garde“ des Business so gut wie überhaupt nicht mehr gibt. Bald wird man Musik wie Raumspray überall versprühen und es wird niemanden kümmern. Ernstgemeinte Antwort – es gibt keine Antwort. Ganz ehrlich, ich glaube, man muss einfach den Weg einschlagen, der deinen persönlichen Stil und Ausdruck am besten trifft, auch wenn man sich dafür zwanzig Jahre in die Catskills zurückziehen muss, wie es Roswell Rudd gemacht hat. Und wenn es dir gelingt, ein Zusammengehörigkeitsgefühl mit verschiedenen anderen Musikern zu erreichen, ist das auch sehr hilfreich. Es ist unmöglich, etwas innerhalb eines Vakuums zu machen. CM: Erlebt Jazz gerade eine Renaissance? JR: Ich glaube, Jazz war nie „out“ - man kann eher die Frage stellen, wie der Rest der Welt so tickt. Die meisten New Yorker würden sagen, dass wir uns in einer Sub-Depression befinden, obwohl das gar nichts mit der Qualität der aktuellen Musik zu tun hat – die ist erstaunlich hoch. Und auch die schlimmsten Depressionsphasen können eine sehr produktive Zeit sein, irgendjemand wird schon auftauchen und den gesamten Sauerstoff aus dem Raum saugen, so wie Standard Oil. CM: Bist du lieber im Studio oder spielst du gerne live? JR: Am liebsten nehme ich live auf. Wenn die idealen Bedingungen herrschen, kann man richtiggehend fühlen, wie alle im Raum dasselbe wollen. Ich liebe es, wenn die Grenze zwischen der Bühne und dem Publikum verschwimmt! CM: Welche Konzerte hast du zuletzt besucht? Und welche Platten gekauft? Wozu tanzt du gern? JR: Das letzte Konzert, das ich besucht habe, war Jacob Sacks' Band mit Dan Weiss, Jacob Garchik und Ben Gerstein – wirklich abgefahrene Posaunen! Und sehr geschmackvoll! Wenn ich Ligeti höre, tanze ich im Kopf … Mein Körper übernimmt das Geschehen, wenn ich selber spiele, ich hoffe immer nur, dass niemand daran Anstoss nimmt. Kürzlich habe ich eine grosse Ladung gebrauchte Vinylscheiben im Laden an der Ecke gekauft, unglaublich billig – die Platten wurden tatsächlich nach Gewicht verkauft. Ich glaube, die letzte im Stapel war entweder von Jethro Tull oder den Impressions. CM: Warum habt Ihr das Livealbum in Wien aufgenommen? JR: Sie haben uns eingeladen! Vielen Dank an Joe Zawinul und seine Leute! CM: Letzte Frage: wirst du bald nach Deutschland kommen? JR: Ja! Hoffentlich bald! Im Geiste plane ich schon die Konzerte, aber mir fehlt noch das Visum … |
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