Short Cuts Juli 07, erste Hälfte
Mit neuen Alben von Throbbing Gristle, O'Death, Tuomo, Keren Ann, The Editors …
Throbbing Gristle:
Part Two The Endless Not
(Mute/EMI)
News from the Wreckers of Civilization
Kann man ein Throbbing Gristle-Album überhaupt zwischen lauter „Popmusik“ vorstellen? Natürlich kann man – genauso, wie ein David Lynch-Film auch inmitten anderer Filme besprochen wird. Mittlerweile wird der Vergleich, etwas (Buch, Film, Platte) sei „wie ein David Lynch-Film“ inflationär verwendet, hat den Begriff „kafkaesk“ abgelöst und drückt die Unmöglichkeit beziehungsweise Hilflosigkeit aus, etwas schwer zu Beschreibendes, Rätselhaftes, Beklemmendes dennoch in Worte fassen zu wollen.
David Lynchs Filme und Throbbing Gristles Musik eint ihre Monolithik, die man entweder goutieren kann oder nicht, entweder befindet sich auf deiner DNA eine Notiz, die dich für TGs brachiale Industrialexperimente empfänglich macht, oder eben nicht. Die Band wurde in den späten siebziger Jahren wegen ihrer offensiven, pornographischen, aktionskunstähnlichen Liveauftritte als „Wreckers of Civilization“ beschimpft, ein Begriff, über den sich jeder Punkrocker gefreut hätte. Throbbing Gristle haben über ihr Bandkonzept gesagt, „We're interested in information, we're not interested in music as such. And we believe that the whole battlefield, if there is one in the human situation, is about information.“
Jetzt gibt es – 26 Jahre nach der letzten gemeinsamen Throbbing Gristle-Platte, die Veröffentlichung von „The Endless Not“ wurde endless verschoben – neue Informationen von Cosey Fanni Tutti, Chris Carter, Peter „Sleazy“ Christopherson und Genesis Breyer Orridge, former known as Genesis P. Orridge. Man kann TG's kultisches Getue, die in Handarbeit hergestellten „totemic gifts“, die in limitierten Auflagen dem neuen Album beiliegen, lächerlich finden. Man kann es plakativ finden, Mount Kailash (Tibet, Dach der Welt), als Covermotiv zu wählen, den heiligen Berg, der aus religiösen Gründen nicht bestiegen werden darf. Aber all die Zeichen und Accessoires verdeutlichen, dass das Konzept Throbbing Gristle nur als in sich geschlossenes System funktioniert, alle Entwicklungen (in welche Richtung auch immer) müssen ausserhalb stattfinden: in Nebenprojekten wie Chris & Cosey, die heute als CarterTutti firmieren, GPO's Band Psychic TV, die heute als PTV 3 leicht konsumierbaren Elektro spielen, und in Peter Christophersons Neoindustrial-Band Coil. „The Endless Not“ ist ein bisschen wie der Mount Kailash, du sollst ihn nicht erklären/besteigen, denn der Berg/das Album ist. Und spendet trotz aller Schroffheit und Unnahbarkeit Trost. Die Platte beginnt mit „Vow of Silence“, einem Track mit dynamischem Fiepen, Pumpen und Stampfen, zu dem sich seltsame Stimmen und Geräusche einfinden. Eine durchaus tanzbare Rhythmik entsteht aus dem wabernden, organischen Noise, der kaum noch schmerzt. Throbbing Gristles komplette Negation modischer Sounds klingt für heutige, tekkno- und industrialgeschulte Ohren nämlich beinah liebenswert altmodisch. „Rabbit Snare“, der zweite Track, ist extrem verlangsamter Barjazz, mit Cosey Fanni Tutti am Cornett, dazu „croont“ Genesis „Are You Scared – dare to love me“ und klingt dabei so sagenhaft tonlos und brüchig, dass man durchaus geneigt ist zu glauben, Nachrichten aus einem anderen Universum zu empfangen. „Almost a Kiss“ besteht fast vollständig aus unheimlich hallenden Schritten, die kein Ziel haben, „The Worm Waits its Turn“ ist der heimliche Hit der Platte, ein verhaltener, aber unüberhörbarer Dancebeat bricht sich hier Bahn, der durchaus clubtauglich ist – wer hätte das gedacht?
» www.throbbing-gristle.com
O'Death:
Head Home
(CitySlang)
O'Death klingen zwar, als wären sie trinkfeste Iren, die fünf Berserker kommen aber aus New York City, von wo aus sie aufgebrochen sind, um ihren infernalischen Rummelplatzpunk in den Kosmos zu schicken. Namen, die als Vergleiche für O'Death fallen (müssen), sind die Pogues, Violent Femmes, Tom Waits, 16 Horsepower und Gun Club. Denkbar ist, dass sich O'Death nach dem gleichnamigen Song von Camper van Beethoven benannt haben (“My name is death and I excel I can open the gates to Heaven or Hell …”), auch wenn diese Idee nur spekulativ ist, liegt der Verdacht doch nahe: Camper van B. kultivierten vor vielen Jahren die Mixtur aus Folk und Punk, O'Death werfen noch ein paar Holzscheite in dieses Feuer, „Höllenfolk” und “Appalachian Punkrock” wird ihre Musik mittlerweile genannt. Mit Banjo, Fiddle, Gestampfe und Geschrei entfesseln O'Death einen reinigenden, bacchantischen Lärm, der den Teufel mit dem Beelzebub austreibt. Folklore aus aller Welt beeinflusst die Musiker, man kann afrikanische, irische, europäische und indianische Klänge ausmachen, der punkrockige Ansatz hält alles zusammen. “Head Home” wird eröffnet mit “Down to Rest”, einem etwas getrageneren Stück, das für kurze Zeit die Illusion einer Folkplatte entstehen läßt, dieser Eindruck wird durch die folgenden Stücke zerschmettert, die sich durch pure Energie und hohen Mitsing- beziehungsweise -grölcharakter auszeichnen. “Only Daughter” fällt etwas aus dem Rahmen und beschwört den Geist des jungen Neil Young herauf, die Stimme von Greg Jamie ist dafür hauptsächlich verantwortlich: hell und schneidend, intensiv und eindringlich klingt er und steht schon jetzt in einer Reihe mit Jeffrey Lee Pierce, Gordon Gano und – eben Neil Young.
O'Death spielen am 3. und 4. Juli in Berlin (erst im White Trash, tags darauf im Festsaal Kreuzberg), die Stadt wird nach diesen Auftritten nicht mehr dieselbe sein.
» odeath.net
» myspace.com/odeath
Tuomo: My Thing
(Jupiter/Soulfood)
Nicht immer ist es eine gute Idee, wenn jugendliche Musiker Stilrichtungen vergangener Epochen für sich entdecken. Ob Robbie Williams und Roger Cicero versuchen, etwas vom Glam der Swing-Crooner abzubekommen, oder Sasha alias Dick Brave hüftsteifen Rock'n'Roll der Gründerzeit spielt, es bleibt der Ruch des Abgekupferten, Nachgemachten. Ganz anders sieht das beim finnischen (!) Soulman Tuomo aus. Tuomo spielte Keyboards in mehreren Soul- und Jazzbands wie Quintessence, dem Emma Salokoski Ensemble und Q-Continuum, verfeinerte stetig seine Songschreiberqualitäten und gewann in diesem Jahr sogar den Sony Jazz Music Prize. Tuomo ist aber kein unsympathischer Streber, der mit auswendig gelernten Skills überzeugen will: er hat sich mit Haut und Haar dem Soul vom Schlage Curtis Mayfields und Isaac Hayes' verschrieben, man ihm hört ihm die Liebe und den Respekt vor den grossen Vorbildern an, aber die enorme Qualität der eigenen Songs verhindert, dass sein Soloalbum „My Thing“ zur Retrorevue gerinnt.
Der Einstieg in die Platte ist geschickt und grossartig: „My Wish“ präsentiert Tuomo, nur von einer sparsam gezupften Gitarre begleitet, seine sahnige, zartheisere Stimme, die Vergleiche mit D'Angelo nicht scheuen muss. Der darauffolgende Titeltrack eröffnet ein ganz anderes Feld, flirrender Urban-Street-Soul geht direkt in die Beine, unglaublich fast, dass dieser Sound aus Finnland stammen soll - Detroit, Chicago oder New York City würde man viel eher vermuten. Dazu singt Tuomo sein Credo „Just let me do my thing / give me a song and let me sing.“ Tuomo spielt den Soul in all seiner Bandbreite aus, „Since or Before“ beginnt percussion-betont und atmosphärisch, dann setzen Streicher ein (dirigiert von Riku Niemi), die den Himmel öffnen. „Don't Take it too Hard“ ist mitreissend, überschäumend, funky, mit Jackson-Five-Drive und vielen Bläsern – ein klarer Hit. In „26“, einer eingängigen, poppigen Ballade, schaut Tuomo ein bisschen wehmütig zurück, „Do you remember back when we were 26? I used to feel like I was so much older …“ Das Album ist durchgängig fett produziert, butterweich und honigsüß. Liefen Tuomos Songs im Formatradio, wäre die Welt ein schöner Ort.
» myspace.com/organkane
Keren Ann
(Delabel/EMI)
Keren Anns Biographie liest sich wie ein Lehrstück über multinationale Beziehungen: geboren in Tel Aviv als Tochter einer Holländerin und eines russischstämmigen Israeli, aufgewachsen in Den Haag, als Jugendliche nach Paris gezogen. Dort angekommen, verfeinert sie ihre Gitarrenkünste, lernt Klarinette und Mundharmonika spielen, knüpft erste Kontakte zur Pariser Musikerszene und beginnt, erste Aufnahmen ihrer zarten Folk-Jazz-Popgespinste zu machen. Sie lernt Benjamin Biolay kennen, mit dem sie bald eine enge Freundschaft verbindet, bis heute kooperieren die beiden und treten gern gemeinsam auf. Keren Anns große Vorbilder Francoise Hardy, Joni Mitchell und Bob Dylan schimmern durch ihre Musik, aber es gelingt ihr – ähnlich wie Leslie Feist – eine sehr eigenständige, zauberhafte, zeitlose Mischung zu kreieren, die von ihrer sanften, aber kräftigen Stimme getragen wird. Kerens letztes Album „Nolita“ und die dazugehörige Tournee waren sehr erfolgreich und machten sie auch in Deutschland bekannt. Die neue Platte, schlicht „Keren Ann“ betitelt, verdient mindestens genauso viel Beachtung: die neun Songs sind verträumt, schwebend, luzid, von Streichern und engelsgleichen Backgroundstimmen untermalt. Der Opener „It's all a Lie“ atmet den Geist von Mazzy Star, „Lay Your Head Down“ klingt fröhlich, gleichzeitig wehmütig und „In Your Back“ mit seinen zarten Geigen dürfte auch den bärbeissigsten Rocker auf ihre Seite ziehen.
„It ain't no Crime“ ist ein rumpelndes, trotziges Liebeslied, das eine unerlaubte Beziehung verteidigt, „Where No Endings End“ ist ein sanfter, getragener Folksong, der Keren Anns Stimme besonders gut zur Geltung bringt. Keren Anns Platte ist eine melancholisch-freundliche Begleitung durch das Jahr, für jede Stimmung, fürs ganze Leben.
» myspace.com/kerenann
The Editors: An End Has A Start
(PIAS/rough trade)
Puh, das neue Album der Editors ist eine zwiespältige Angelegenheit. Das berüchtigte zweite Album ist allein schon eine schwere Aufgabe, noch schwieriger kann es werden, wenn man als klare Referenzband gilt, deren Vorbilder Wavebands der Mittachtziger sind. Die erste Editors-Platte, „The Back Room“ von 2005, überzeugte durch die zurückhaltende, fast raue Produktion; Wehmut, Trauer und trotziger Lebensmut gingen Hand in Hand. Vorbilder wie The Chameleons oder Joy Division waren unüberhörbar, ebenso wie eine fast schüchtern zu nennende Introvertiertheit. Interpol – die oft ins Feld geführt werden, wenn man über The Editors spricht – gelingt es souverän, die Übervorbilder Joy Division zwar zu zitieren, aber niemals Überhand gewinnen zu lassen. The Editors wollen fehlende Souveränität durch umso tiefere Verbeugungen vor bewunderten Bands wettmachen: für „An End Has A Start“ haben sie ganz tief in die Pathoskiste gegriffen, oder soll man gleich „in den Sarg“ sagen? Der Tod ist allgegenwärtiges Motiv der Platte, beginnend mit „Smokers Outside the Hospital Doors“ über „Escape the Nest“ bis zum letzten Song, „Well Worn Hand“. Musikalisch herrschen bombastische Strukturen vor, die an Big Country, U2 und die Simple Minds während ihrer „Don't You Forget About Me“-Phase erinnern – also so, wie auch Coldplay (sehr erfolgreich) zu Werke gehen. Will man als junge Band in diesen Reihen stehen? Das müssen The Editors entscheiden, wenn sie sich an die Arbeit zum dritten Longplayer machen. Denn bei allen Vorbehalten ist unüberhörbar, dass The Editors fantastische, mitreissende Melodien entwickeln können, zum Beispiel beim Titeltrack, der live eine ganz besondere, hypnotische Wirkung entfalten dürfte. „The Weight of the World“ klingt genauso schwer und bedrückend, wie es der Titel andeutet, mit “Spiders“ ist sogar ein leicht angefunkter tanzbarer Hit an Bord – Variationen sind also durchaus möglich im Editors-Universum. Man muss sie nur finden innerhalb dieser Breitwandproduktion.
» www.editorsofficial.com
» myspace.com/editorsmusic