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August 2007
Christina Mohr
für satt.org

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Short Cuts August 07, zweite Hälfte


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Bei manchen Platten gibt es so viele interessante Details und asides zu berichten, dass man darüber fast die Musik vergessen könnte – «Andorra» von Caribou ist so ein Fall. Der Londoner Dan Snaith begann im Jahr 2000 zunächst unter dem Alias Manitoba Musik zu machen. Lange durfte er nicht so heissen, denn «Handsome» Dick Manitoba, ehemaliger Dictators-Sänger, verklagte Snaith und erwirkte, dass nur er, Dictators-Manitoba, das Recht auf diesen Namen hat. Snaith suchte sich Caribou als neuen Künstlernamen aus und darf diesen offensichtlich auch behalten, obwohl es in Nordamerika jede Menge Rentiere gibt, die man als Caribous bezeichnet und ausserdem hatten die Pixies mal einen Song, der so hiess …. Dan Snaith sollte lieber schon mal anfangen, sich nach einem Alternativnamen umzusehen. Ergebnisorientierte Forschung ist ohnehin sein Metier, denn Snaith beherrscht nicht nur -zig Instrumente, sondern ist ganz nebenbei Doktor der Mathematik und noch dazu erst 28 Jahre alt. Klarer Fall von Wunderkindism, aber von der sympathischen Sorte. Der Titel «Andorra» bezeichnet für Caribou einen mythischen Ort, er stellte sich vor, dass Andorra ein ganz besonderer Platz sein muss – und wurde bitter enttäuscht, als er tatsächlich hinfuhr und feststellte, dass Andorra ein seelenloser Ski-Urlaubsort mit tausenden von Duty-Free-Shops ist (wir wissen natürlich nicht, ob Caribou weiss, dass Max Frisch das Drama «Andorra» schrieb, ohne den wirklichen Staat Andorra im Sinn gehabt zu haben – aber das wäre noch ein weiterer Strang, den wir hier nicht weiterführen wollen). Ach ja, die Musik, beinahe hätten wir sie wirklich vergessen – und das wäre unverzeihlich, denn «Andorra» ist nichts weniger als ein kleines Wunder: mehr als 600 Tracks hatte Snaith/Caribou auf seinem Computer gespeichert, aus denen er spielerisch und genialisch zugleich die neun Songs zusammenbaute, die auf der Platte zu hören sind. Snaith bastelt aus Keyboards, Glöckchen, Flöten und unzähligen anderen Instrumenten eine unvergleichliche Wall of Sound, wahre Tower of Songs, die die Hörer nicht erdrücken, sondern beflügeln und erheben. Aus tausend Spuren entwickeln sich grossartige Songs, denn Snaith vergisst vor lauter Basteln niemals die Melodie, im Gegenteil, die Melodien sind das Wichtigste, jedes einzelne Stück setzt sich nach kürzester Zeit für immer im Gedächtnis fest. Der Opener «Melody Day» klingt wie von Engeln und besonders begabten Vögeln gezwitschert, das zauberhafte Liebeslied «She's the One» wartet mit Beach Boys-Harmonien und Satzgesang auf – überhaupt schimmern die Beach Boys häufig durch Caribous sonnige Songs, die mit positiven Psychedelika abgeschmeckt sind und überdies rezeptfrei zu haben sind. Mit «Niobe» wird am Schluss ein Ausflug in technoid-elektronische Gefilde gemacht und beweist, dass man mit Caribou sogar tanzen gehen kann.


» www.caribou.fm


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Funny van Dannen, Mitbegründer der Lassie Singers, hat mit seinem zehnten Album „Trotzdem Danke“ auf dem Label der Toten Hosen angedockt – und ist damit endlich „angekommen“, wie es scheint. Schliesslich stammen einige Hits der Hosen aus van Dannens Feder, unter anderem die Schmähhymne „Bayern“ und „Schön sein“, so dass es nur folgerichtig ist, dass „Trotzdem Danke“ unter gleicher Flagge erscheint wie die Hosen-Platten. Der gelernte Werbegrafiker FvD ist ein ziemlich hyperaktives Multitalent, seine skurrilen Bücher wie „Neues von Gott“ erreichen hohe Auflagen, seine Konzerte sind regelmässig ausverkauft – und doch ist FvDs Mainstreamkompatibilität eher überraschend, seine Songs lassen sich nur schwer mitsingen (ausser „Nana Mouskouri“ vielleicht), die Texte und Gedichte sind sperrig, der Witz (sofern er beabsichtigt, welche zu machen) erschliesst sich keinesfalls sofort. Das ist auch auf „Trotzdem Danke“ nicht anders, 24 Stücke sind drauf, die man am besten in kleinen homöopathischen Dosen geniesst, weil einem die Zeit ansonsten arg lang werden kann. Natürlich gibt es Höhepunkte wie „Oma“, das ganz am Schluss zu hören ist. In diesem Lied wird das Geheimnis der geliebten Grossmutter gelüftet, die in ihrer Jugend Pornodarstellerin war. Auch „Genug gute Menschen“, „Mütter“ und „Rivermelodie“ sind Kleinode, gewebt aus Zynismus, Ennui und vielleicht sogar aus Liebe. Bei den Aufnahmen geholfen hat eins seiner vier Kinder: der älteste Sohn mit dem schönen Namen Dionysos.

Funny van Dannen live 2007:

» www.funny-van-dannen.de


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„You Will Understand“ ist nach „No Need To Laugh“ von 2006 das zweite Album des Münchner Multiinstrumentalisten Oliver Lichtl a.k.a. Uphill Racer. Seine zart-melancholischen Songskizzen brachten ihm Vergleiche mit Badly Drawn Boy, The Notwist, Tunng und Beck ein, die durchaus in die richtige Richtung führen. Doch dem 26-jährigen Bayern gelingt es noch besser als den oben genannten, Atmosphäre zu erzeugen: mit Akustikgitarre, Bass, Piano, Synthesizer, Schlittenglöckchen und seiner klaren, hellen Stimme entwickelt er sanft geschwungene Melodiebögen und einen schwebenden Sound, der urban und naturverbunden zugleich scheint. Uphill Racer glaubt an das Album als Gesamtkonzept, der einzelne Song ist für ihn nur eine Farbe aus dem Regenbogen: schön, aber unvollständig. Und deshalb sollte man „You Will Understand“ unbedingt als Ganzes geniessen: der Opener „Spiral“ beginnt beinahe klassisch, feinzieseliert und erhebend. Etwas erdiger geht es mit „Nelly Cash“ weiter, das dezente Spuren zum amerikanisch geprägten Gitarren-Indiepop à la Lemonheads legt, Uphill Racer fügt ein paar behutsam gebrochene Beats hinzu und fertig ist einer der zauberhaftesten Songs des Spätsommers. „Falling to the Earth“ lädt mit kontemplativen Loops und zurückhaltenden Streichern zum Innehalten ein - Uphill Racer macht in jedem Moment genau das Richtige: er legt uns die Decke um die Schultern, wenn es frisch wird und öffnet die Fenster, wenn die Sonne scheint. Ein Freund. You Will Understand.


» www.uphillracer.de
» myspace.com/uphillracer


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Diese Short Cuts-Ausgabe wird von männlichen Musikern mit seltsamen Künstlernamen dominiert – Till the Morninglight zum Beispiel ist ein singender Koch aus Kreuzberg mit dem Vornamen Till. Da sein Album „Leave Your Home“ auf Staatsakt erscheint und der Türen-Mann Ramin Bijan an der Entstehung desselben beteiligt war, liegt die Vermutung nahe, dass sich hinter Till the Morninglight eine Spassmütze allererster Kajüte verbirgt. Das kann natürlich gut sein und wir wissen auch nicht, was er den Gästen in seinem Restaurant serviert, aber „Leave Your Home“ ist eine anrührende Country-Pop-Folk-Platte mit zarten Anleihen bei Indie-Legenden wie Aztec Camera und Prefab Sprout, die einen keinesfalls auf den Arm nimmt. Leichtfüssig, aber nicht leichtgewichtig klingen die zwölf gitarrenbetonten Songs, die durch den Einsatz von Cello, Harfe und Piano liebevolle Details aufgetupft bekommen. Die Bandbreite reicht von melancholischen Balladen wie „You Know How to Bribe the Stars“ bis zu Violent-Femmes-inspirierten Saloon-Schwofern wie „Roads“ und waschechtem Lagerfeuer-Countryfolk wie „Let Yourself Go“. „Come to Me“ ist ein urbanes, orgelunterfüttertes Chanson, das laufen sollte, während man in der Bar auf seine neue Bekanntschaft wartet und „Could You Be There“ mit seiner beschwingten Melodie und den fröhlichen Handclaps hellt die Stimmung wieder auf, falls man in besagter Bar alleine blieb ….


» www.staatsakt.de
» myspace.com/tillthemorninglightmusic


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Man schrieb das Jahr 1977, als sich in Leeds die Kunststudenten Jon Langford, Andy Corrigan, Mark White, Tom Greenhalgh, Kevin Lycett und Ros Alien zusammenschlossen, um künftig als Mekons (nicht „The“) Platten aufzunehmen. Am Anfang waren den Mekons, die zum Teil aus dem Umfeld der Gang of Four stammten, die Texte und eine deutlich linksgerichtete politische Haltung wichtiger als musikalische Perfektion, weshalb sie rasch als Punkband einsortiert wurden. Doch die Mekons begannen bald – neben ihrem Engagement für die streikenden britischen Bergarbeiter und vielem mehr - mit verschiedensten Stilrichtungen zu experimentieren, das Album „Fear and Whiskey“ von 1985 zum Beispiel ist deutlich countrybeeinflusst und platzierte die Mekons in der trinkfreudigen Nachbarschaft von Cliff Barnes & The Fear of Winning oder den Beasts of Bourbon. Die meisten Mekons zog es in den frühen neunziger Jahren in die USA, was ihrem kreativen Output keinerlei Abbruch tat. Jon Langford profilierte sich als bildender Künstler, aus dem Mekons-Nest entstanden vielerlei musikalische Nebenprojekte, unter anderem The Three Johns, Waco Brothers, Gaye Bikers on Acid, um nur ein paar zu nennen. Trotzdem erschienen weiterhin Mekons-Platten, die häufig ein übergreifendes Thema behandelten. Das Album „me“ von 1998 beispielsweise beschäftigt sich mit dem übersteigerten Egozentrismus der Yuppie-Ära. Ihre awareness haben sich die Mekons auch im 30. Jahr ihres Bestehens erhalten: das neue Album heisst „Natural“, streift die aktuelle Öko- und Klimadebatte zwar nur am Rande, hätte aber niemals besser gepasst als heute. Angeblich zog sich die Band 2004 nach einer anstrengenden Tournee in die englische Countryside zurück, um dort, fernab von städtischer Hektik, mit viel Whiskey im Blut den Bäumen und Felsen zuzuhören. Die hatten offenbar eine Menge zu erzählen, denn „Natural“ ist voll von rätselhaften und gruseligen Geschichten von unheilbringenden Vögeln und ungelüfteten Geheimnissen, wie sie in „White Stone Door“ besungen werden. Archaisch-folkloristische Klänge herrschen vor, hauptsächlich Geige und Gitarre untermalen das storytelling der Mekons, dem man am besten in einer klaren Vollmondnacht lauscht.


» www.mekons.de


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Und noch eine Band, der man gerne automatisch ein „The“ unterjubelt, obwohl sie ganz bewusst auf den Artikel verzichtet: Liars aus New York verwirren und verstören seit ihrer Gründung im Jahr 2000 das Publikum mit beherzten Stilexperimenten und dreissigminütigen Soundcollagen wie „This Dust That Makes the Mud“. Wie auch die Mekons lieben Liars Konzept- und Themenalben, ihr letztes, „Drum's not Dead“ von 2006 handelte von den fiktiven Charakteren Drum und Mount Heart Attack, zu jedem der zwölf Songs gab es auf der dazugehörigen DVD drei (!) Kurzfilme. Für ihre neue Veröffentlichung hat sich die Band um den australischen Sänger Angus Andrew von jeglichem Ballast in Form überbordender Überbaue befreit. Zunächst fällt auf: die Albumtitel werden immer kürzer. Ausgehend vom Debut „They Threw Us All in a Trench and Stuck a Monument on Top“ über „They Were Wrong, So We Drowned“ und „Drum's Not Dead“ scheint es nur logisch, dass die neue Platte einfach nur „Liars“ heisst. Die musikalische Folge der Umorientierung ist ein Song-für-Song-Album, jedes Stück steht für sich selbst, verweist auf keinen umfassenden Kontext. Stilistisch regiert allerdings wie gewohnt genialische Vielfalt, Liars besannen sich auf die Lieblingsbands ihrer Jugend und nahmen unter der akustischen Ahnengalerie von The Jesus & Mary Chain, The Cure, Siouxsie & The Banshees und den Beach Boys elf Songs auf, die vom Erasure- und Depeche Mode-Produzenten Gareth Jones abgemischt wurden. Liars featuren psychedelischen Rock im Opener „Plaster Casts of Everything“ und dem wabernden, amorphen „Clear Island“. Sie beziehen sich auf End-Achtziger-Ravebands wie die Stone Roses, denen sie in „Houseclouds“ huldigen, dem fragilen Dancebeat aber moderne Elektronik hinzufügen, so dass man nicht das Gefühl bekommt, eine Cassette von 1989 zu hören. Zwischen den Cramps und TJAMC schreddert und scheppert „Freak Out“ mit ordentlich Hall und polterndem Schlagzeug, „Pure Unevil“ ist eine gänzlich anti-hippieske Travestie eines Beach Boys-Songs, Industrialgeräusche verbreiten sich auf „Sailing to Byzantium“, „What Would They Know“ feiert Bristoler TripHop, „Leather Prowler“ ist ein Disco-Elektro-Hybrid, der aus Zeit und Raum gefallen ist. Diversität und die dunkle Stimme Andrews sind die Klammern, die „Liars“ zusammenhalten und zu einer der spannendsten und überraschendsten Platten dieses Sommers machen.


» www.liarsliarsliars.com


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Wer von Avril Lavignes Wandlung von der Teen-Skateboard-Punkrockerin zur herzigen Poplady enttäuscht ist, ist mit New Years Days neuem Album „My Dear“ gut bedient. Die kalifornische Pop-Punk-Rockband um Sängerin Ashley Costello brettert elf Songs lang Riff auf Riff, dazu gibt's sehr jugendliche Texte über Liebe, Schlussmachen, Verlassenwerden, etc. Als Ganzes etwas eintönig, aber Songs wie „Sunrise Sunset“, das die Vorzüge des Lebens in Kalifornien preist („I will always have the ocean to help deal with these emotions“) oder „My Sweet Unvalentine“ können einen schon aus liebeskummerbedingter Lethargie reissen.


» www.NewYearsDayRocks.com
» myspace.com/NewYearsDay