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September 2007
Christina Mohr
für satt.org

DISCO 3000
07

Olaf Kübler &
Jan Hammer Trio:
Turtles


Olaf Kübler
Olaf Kübler




Olaf Kübler &
Jan Hammer Trio:
Turtles

Enja, Soulfood 2007

Olaf Kübler & Jan Hammer Trio: Turtles
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Olaf Kübler Quartett:
Olaf Kübler - Tenorsaxofon
Christoph Spendel - Piano
Wolfgang Schmid - E Bass
Guido May - Drums

Olaf Kübler Quartett Live:
13.9.07: Frankfurt/Main, Jazzkeller
14.9.07: Neuburg/Donau, Birdland
15.9.07: München, Unterfahrt

Der vor wenigen Tagen 70 Jahre alt gewordene Jazz-Saxofonist Olaf Kübler ist eine Legende, alles andere wäre maßlos untertrieben. 1937 in Berlin-Spandau geboren, landet der kleine Olaf nach den Kriegswirren mit seiner Familie in Gießen an der Lahn, der mittelhessischen Universitätsstadt, die er später in seinen Memoiren “Shanghai an der Lahn” nennen wird. Küblers Vater ist ein strammer, unverbesserlicher Nazi, der nicht damit zurechtkommt, dass der Krieg “verloren” ist und bringt sich um. Die Mutter bleibt mit drei kleinen Kindern zurück, von denen eins, Olaf, sehr früh die wilde, heiße Musik aus den USA für sich entdeckt, die vom Sender AFN gespielt wird – Olaf Kübler ist 16 Jahre alt und weiß genau, daß er Musiker werden will und nichts anderes sonst. Eine “ordentliche” Lehre schließt er zwar ab (was er im Übrigen auch allen jungen Musikern rät: “was lernen und 'ne reiche Frau heiraten”), kauft vom ersten selbstverdienten Geld aber sofort ein Tenorsaxofon, das Spielen bringt er sich selbst bei: “Sowas wie Musiklehrer gab es nach dem Krieg nicht, und schon gar nicht für Jazz!” Die Gießener Soldatenbars sind seine ersten Bühnen, der jugendliche Autodidakt kommt gut bei den GIs an, die sich bei der Honorierung der Musiker generös zeigen. “Meine Mutter war natürlich dagegen, dass ich in den 'Negerbars' spiele”, erinnert sich Kübler. “Aber ich fand, weil ich so viel Geld dort verdiente, konnte sie mir gar nichts verbieten!” Jazz ist nach dem Krieg nicht angesagt in Deutschland, die Menschen wollen lieber Heile-Welt-Musik hören. Jazz gilt als verrufen und verrucht, die Nachrichten über amerikanische Jazzmusiker, die entweder kriminell, drogensüchtig oder tot sind, sorgen nicht gerade für Akzeptanz bei den Wirtschaftswunderbürgern. “Obwohl Jazz in den USA schon vor dem Zweiten Weltkrieg längst 'Pop' war – man erinnere sich nur an Benny Goodman und andere! Nur in Deutschland wollte man immer nur Tango oder Volksmusik hören.” Mitte der sechziger Jahre zieht Kübler nach München und taucht tief in die Jazzszene rund um den legendären Club “Domicile” in Schwabing ein. Er spielt mit allen Größen dieser Tage, nimmt 1967 am Montreux Jazzfestival teil, lernt Klaus Doldinger kennen, mit dem ihn bald eine enge Freundschaft verbindet und produziert außerdem die Krautrockband Amon Düül – ein bewegtes Leben bis hierhin, aber es geht genauso wild und bunt weiter. 1973 beginnt seine Zusammenarbeit mit Udo Lindenberg, in dessen Panikorchester er spielt: “Udo spielte am Anfang ja Schlagzeug, aber weil er so ein kränklicher, schwacher Kerl war, schaffte er das auf Dauer nicht. Als er verkündete, er gehe jetzt nach Hamburg, um Rock'n'Roll-Star zu werden, hat ihm das kein Mensch geglaubt.” Zehn Jahre lang gehört Kübler zum Panikorchester, diese Zeit hat in ihm eine herzhafte, tiefe Abscheu gegen das Pop- und Rockbusiness genährt: “Alle Popstars haben eine Profilneurose. Die drehen alle durch wegen des vielen Geldes, der Drogen und der Weiber. Udo kam ja auch in die Klapse, weil er das alles gar nicht ausgehalten hat.” Olaf Kübler, nicht nur musikalisch, sondern auch verbal höchst versiert und für seinen Wortwitz bekannt, bezeichnet sich als maßgeblich verantwortlich für einen Großteil der berühmten Lindenberg-Sprüche. Er gewinnt sogar einen Prozeß gegen seinen ehemaligen Kollegen Udo, weil dieser gar nicht erst vor Gericht erscheint – und Kübler weiterhin für sich beanspruchen kann, der Erfinder von “Johnny Controlletti” und vielen anderen Lindenberg-Figuren zu sein. In den frühen achtziger Jahren spielt Kübler auch mit Marius Müller-Westernhagen zu dessen “Stinker”-Zeiten und mit Police, die “ja auch alle vom Jazz her kommen – aber mit Jazz wird man ja nicht berühmt. Die Jungs wollten aber unbedingt berühmt werden, also wurden sie zu einer Popband. Die haben sich jahrelang überhaupt nicht angeguckt und jetzt wollen sie nochmal richtig absahnen!” Kübler schimpft gerne und ausgiebig über sogenannte “Rockstars” und man hört ihm gerne dabei zu, vor allem, wenn er sich über Bono lustig macht, der sich “für päpstlicher als den Papst” halten und durch sein zweifelhaftes Engagement nur seine jämmerliche Sucht nach Aufmerksamkeit und Ruhm befriedigen will. Ebenfalls ein Dorn im Auge sind ihm jugendliche Superstars wie Tokio Hotel, “die von ihren geldgierigen, unverantwortlichen Eltern ohne Ausbildung auf die Bühne gejagt werden – von denen hat doch nur der Sänger, dieser androgyne wie-heisst-er-noch-gleich eine Chance auf eine Solokarriere. Die anderen sind total austauschbar, genauso wie bei solchen Bands wie Juli, die doch nur wegen ihrer hübschen Sängerin erfolgreich sind. Auf die Jungs im Hintergrund kommt es doch überhaupt nicht an!” Für Kübler ist Jazz eine Art vorbeugendes Mittel gegen Rockstar-Allüren, kommt es dem typischen Jazzer doch einzig auf die Musik an und nicht auf Glam und Bühnenshow. Dass man Kübler nicht ganz so bierernst nehmen sollte, verrät seine wieder neu aufgelegte Autobiografie “Sax oder nie! Die Bekenntnisse des Johnny Controlletti”, erschienen bei Panama Publications. Kübler hat sie nämlich alle selbst durchgemacht, die Höhen und Tiefen des Musikbusiness, und kann deshalb auch frohen Mutes schimpfen. Absolut hörenswert ist es jedenfalls immer, wenn Kübler in sein Tenorsaxofon bläst – ob heutzutage bei Liveauftritten mit seiner Band, oder auf älteren Plattenaufnahmen.


* Ja genau, der Jan Hammer, der in den achtziger Jahren das Miami-Vice-Theme komponierte und damit zu veritablem Weltruhm gelangte. Siehe auch: janhammer.com

Bei Enja Records erscheint jetzt ein Album, das 40 Jahre lang unveröffentlicht blieb: 1968 trat Kübler im Münchner Domicile mit dem tschechischen Jan Hammer* Trio auf. Kübler war 30 Jahre alt, seine Mitmusiker Jiri “George” Mraz, Jan Hammer, Cees See und Michael Dennert waren gute zehn Jahre jünger – 1968 war das Jahr des Prager Frühlings, die tschechischen Musiker waren nach München geflohen und hausten in winzigen Buden über dem Club, in dem sie abends spielten. Kübler war damals schon ein bunter Hund der Jazzszene, für das Jan Hammer Trio war es eine Ehre, daß er mit ihnen auftrat. Drei Monate lang spielte die Combo jeden Abend im Domicile, doch nur ein Auftritt wurde aufgenommen – Kübler behielt eine Kopie, die erst jetzt von Enja wiederentdeckt wurde. Die zehn Stücke auf “Turtles” sind ein stimmungsvolles Zeitdokument, man spürt förmlich, welche aufrührerische und befreiende Wirkung der Jazz vor allem auf die jungen Tschechen ausübte – Jan Hammer am Piano und Jiri Mraz am Bass brechen immer wieder aus den Strukturen aus, um dann wieder zum von Küblers Saxofonspiel bestimmten Gesamtgefüge zurückzukehren. “Turtles” klingt keine Sekunde lang angestaubt oder gar “vintage”, wie es der Sticker auf dem Cover verkündet, sondern beweist lebhaft, weshalb Kübler bis heute vom Jazz nicht lassen kann und will. “Ich spiele jeden Tag”, sagt er, “wenn ich das mal nicht mehr mache, bin ich wahrscheinlich tot.”



» www.olafkuebler.de